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Marokko startet Feldzug gegen Islamisten

Aus Angst, dass bei Marokkos kommenden Parlamentswahlen die „Bärtigen“ ähnlich punkten wie vor zehn Jahren in Algerien zum Auftakt des dortigen Bürgerkrieges, steckt Marokkos Regierung radikale Islamisten ins Gefängnis

MADRID taz ■ Marokkos König Mohamed VI. räumt auf. Drei Wochen vor den Parlamentswahlen schickt er die Polizei los, um auf Islamisten Jagd zu machen. Insgesamt 80 wurden bisher verhaftet. Die meisten von ihnen sollen der Gruppe „Salafia Djihadia“ angehören, die in den Elendsgürteln der großen Städte Anhänger wirbt. Den Verhafteten werden „sechs Morde aus religiösen Gründen“ aus den Jahren 1998 bis 2002 vorgeworfen.

Für die gemäßigten Islamisten der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) sind diese Anschuldigungen nur ein Vorwand. Mit der „Verfolgungskampagne gegen angebliche terroristische Gruppen“ solle verhindert werden, dass die PJD beim bevorstehenden Urnengang am 27. September Zulauf bekomme, verlautet aus der Parteizentrale. Die PJD zog vor fünf Jahren erstmals mit 14 Abgeordneten ins Parlament ein. Jetzt wird ihr mehr Erfolg vorausgesagt. Der große Verlierer könnte die bisher regierende Union der Sozialistischen Volkskräfte (USFP) des heutigen Ministerpräsidenten Abdarrahmane Youssoufi sein. Denn die soziale Lage vor allem in den großen Ballungsgebieten hat sich in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. 56 Prozent der Marokkaner sind Analphabeten und jeder Dritte ist nach offiziellen Angaben ohne Arbeit. Für die von Youssoufis „Regierung des demokratischen Wandels“ angekündigten Programme zur Hebung der Schulbildung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fehlen die finanziellen Mittel. 80 Prozent des Staatshaushaltes werden vom Schuldendienst und der Verwaltung aufgebraucht.

Die Unzufriedenheit im Land wächst. Wer nicht die Emigration nach Europa plant – 75 Prozent der Marokkaner würden gerne auswandern –, sucht Zuflucht in radikalreligiösen Ideen. Der Einzug der PJD ins Parlament vor fünf Jahren ist nur die Spitze des Eisberges. In vielen armen Quartieren sind die Islamisten die Einzigen, die es verstehen, die Not zu lindern. Vor allem die Gruppe Al-Adl Wal-Ishanne (Gerechtigkeit und Geistlichkeit) um Scheich Abdessalam Yassine versteht sich auf eine Mischung aus Sozialarbeit und Religion. Studenten aus den großen Unis in Casablanca und Rabat organisieren zusammen mit arbeitslosen Akademikern im Namen der illegalen, aber geduldeten Organisation Alphabetisierungskurse, Gesundheitsposten, Lebensmittelspenden – aber auch Koranschulen und klandestine Gebetsräume.

Nach Angaben der unabhängigen Tageszeitung L’Economiste „entziehen sich heute 50 Prozent der offiziellen Gebetshäuser der Kontrolle des Religionsministeriums“. Drinnen wird der Aufstand gepredigt – draußen werden Schriften und Kassetten radikaler Imane aus Palästina und Saudi-Arabien verbreitet. Ob für Palästina oder gegen ein neues Familiengesetz: PJD, Al-Adl Wal-Ishanne und Gruppen wie Salafia Djihadia haben in den letzten Monaten bewiesen, dass sie bis zu einer Million Menschen auf die Straße bringen können.

„Wer die Religion für Wahlzwecke missbraucht, greift damit nicht nur die Religion, sondern auch die Demokratie und die Nation an“, warnt Religionsminister Abdelkebir Aloui, während Innenminister Driss Jettou um internationales Verständnis für die Razzien wirbt: „Der Islamismus ist kein rein marokkanisches Problem. Es betrifft die gesamte arabisch-muslimische Welt und bestimmte europäische Länder.“ Jettou weiß, dass er damit nach den Anschlägen vom 11. September in den USA, dem Attentat im tunesischen Djerba und dem zehnjährigen blutigen Bürgerkrieg in Algerien bei vielen im Westen auf offene Ohren stößt.

REINER WANDLER

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