Der Terror mit dem Terror

Lässt sich „Terrorismus“ überhaupt definieren? Der Streit in der UNO ist in vollem Gange

aus New York ANDREAS ZUMACH

Für die Bush-Regierung scheinen die Dinge klar und einfach: Terrorismus ist wie einst der Kommunismus ein eindeutig definierbarer Feind. Und es ist möglich, diesen Feind dauerhaft zu besiegen. Dass der Krieg gegen al-Qaida und Talibankämpfer in Afghanistan nun schon über 11 Monate währt und Ussama Bin Laden, der mutmaßliche Hauptverantwortliche für die Terroranschläge vom 11. September, immer noch nicht lebend gefasst oder tot aufgefunden wurde, konnte dieses einfache Denkmuster bislang kaum erschüttern. Zugleich sind die Bemühungen um eine international verbindliche Definition von Terrorismus heute kaum weiter als vor einem Jahr.

Zwar haben UN-Sicherheitsrat und UN-Vollversammlung jeweils mit einstimmig verabschiedeten Resolutionen auf die Terroranschläge vom 11. September reagiert. Und in nationalen Sicherheitsgesetzen, die zahlreiche Staaten seit dem 11. September verabschiedet haben, wimmelt es nur so vor Begriffen wie „Terrorismus“, „terroristische Organisation“, „Terrorakt“ oder „terroristisches Netzwerk“. Doch bei der gestern eröffneten neuen Generalversammlung der UNO wird erneut nur ein Entwurf für eine völkerrechtlich verbindliche Anti-Terrorismus-Konvention vorliegen, der keine Definiton des Delikts enthält. Über den Entwurf verhandelt ein ständiger Auschuss der Versammlung bereits seit acht Jahren.

Damit hat weiterhin auch der Vorschlag, das bislang auf „Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ beschränkte Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) um das Delikt „Terrorismus“ zu erweitern, keine Chance. Der Definitionsstreit dreht sich um zwei Fragen: Sollen nur Akte einzelner Personen, Gruppen oder Organisationen als „Terrorismus“ eingestuft werden – oder auch Handlungen von Staaten, vertreten durch ihre Regierungen? Und wie lassen sich Anschläge von „Terroristen“ unterscheiden von „legitimer Gewaltanwendung“ durch „Freiheitskämpfer“?

Eine große Staatenmehrheit will die Terrorismusdefinition auf Einzelpersonen und Gruppen beziehungsweise Organisationen beschränken. Nur wenige Länder, die sich selbst als Opfer von Staatsterrorismus sehen, plädieren für die umfassendere Definiton. Dazu gehören Kuba, Irak sowie das mit Beobachterstatus bei der UNO vertretene Palästina. Auch die von der ehemaligen Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongress (ANC) gestellte Regierung Südafrikas hat nicht vergessen, dass das frühere Apartheidregime ANC-Aktivisten mit Briefbomben und anderen terroristischen Maßnahmen bekämpfte.

Quer durch alle politischen Lager und regionalen Gruppen der UNO-Generalversammlung verlaufen die Kontroversen beim Thema Freiheitskämpfer/Terroristen. Der ehemalige Präsident des ANC und Südafrikas, Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, ist ein in aller Welt geachteter Freiheitskämpfer – trotz der Gewaltanwendung des ANC im Kampf gegen das Apartheidregime. Bei PLO-Chef Jassir Arafat, der vor 30 Jahren – so wie heute Ussama Bin Laden – zumindest in der westlichen Welt als Terrorist galt, scheiden sich die Geister. Selbst die beiden engsten Verbündeten in der neuen Anti-Terror-Allianz – die USA und Großbritannien – können sich nicht auf eine Bewertung der nordirischen Untergrundorganisation IRA einigen.

Wie schnell sich Bewertungen verschieben können, zeigt die Entwicklung im Zuge des von der US-Regierung betriebenen Aufbaus einer „internationalen Allianz gegen den Terrorismus“: Russland, China und Indonesien erhalten von den USA und anderen westlichen Demokratien grünes Licht, Freiheitskämpfer, Sezessionisten oder islamistische Oppositionelle ohne Rücksicht auf lästige Menschenrechtsnormen als „Terroristen“ zu bekämpfen.

Indien hat der UNO-Generalversammlung vorgeschlagen, „konkrete Handlungen (wie Flugzeugentführungen, Bombenanschläge etc.) aufzulisten, statt sich um eine abstrakte Terrorismusdefinition zu bemühen“. Die Vorarbeiten dafür hat die Staatengemeinschaft bereits geleistet. Seit 1963 vereinbarten die UNO-Generalversammlung sowie die drei Internationalen Organisationen für die Zivilluftfahrt (ICAO), den Seeverkehr (IMO) und die Atomenergie (IAEO) insgesamt zwölf Konventionen gegen spezifische Formen nichtstaatlicher Gewaltakte wie Flugzeugentführungen, Geiselnahme oder die Verwendung von Plastiksprengstoffen.

In all diesen Konventionen werden die Begriffe „Terrorismus“ und „terroristische Akte“ oder „Terrororganisationen“ verwendet – jeweils ohne Definition. Auslöser dafür waren konkrete Vorgänge wie zum Beispiel Flugentführungen durch die PLO in den 60er- und 70er-Jahren. Doch die Dimension des Terrors vom 11. September erfassen die bisherigen Konventionen nicht. Denn sie beruhen darauf, dass die Taten wegen öffentlich erklärter Ziele verübt werden – also politische Forderungen, Freipressung inhaftierter Gesinnungsgenossen und Ähnliches – und dass die unmittelbaren Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Beides war am 11. September nicht der Fall.