: Eine taktische Kurskorrektur
Mit seiner Rede vor der UN-Versammlung richtet sich Bush auch ans eigene Volk. Er weiß, dass viele US-Bürger einen Krieg im Alleingang ablehnen
aus New York ANDREAS ZUMACH
Die USA werden sich für das weitere Vorgehen gegen Irak um eine Resolution des UN-Sicherheitsrates bemühen. Das wird US-Präsident George W. Bush heute in seiner Rede vor der UNO-Vollversamlung offiziell verkünden. Dabei wird Bush nach Informationen von US-Diplomaten allerdings die Position der USA nicht aufgeben, wonach militärische Maßnahmen gegen Irak bereits durch frühere Resolutionen des Rates völkerrechtlich gedeckt seien – beziehungsweise durch das „Recht“ der USA auf „präventive Selbstverteidigung“ gegen eine angebliche Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen oder durch von Bagdad unterstützte Terroristen.
Diese Position hatten Vizepräsident Richard Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice in den vergangenen Wochen mehrfach öffentlich formuliert und zugleich für ein unilaterales militärisches Vorgehen der USA gegen Irak plädiert – mit dem Ziel, das Regime von Saddam Hussein zu beseitigen. Selbst der in den Medien zumeist als „gemäßigt“ beschriebene Außenminister Colin Powell betonte vor wenigen Tagen das „Recht“ der USA, notfalls auch ohne ein neues Mandat des UN-Sicherheitsrates militärisch präventiv gegen Irak vorzugehen.
Derartige Erklärungen führender Mitglieder der Bush-Administration führten zur Einschätzung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Washington werde auf keinen Fall eine neues UNO-Mandat für einen Krieg gegen Irak anstreben. Daher sei die Ablehnung einer deutschen Kriegsbeteiligung selbst bei Vorliegen eines UNO-Mandats eine auf Dauer und über den Wahltermin hinaus durchhaltbare politische Position. In London hingegen machte das Kriegsgeschrei aus Washington Bushs engstem Verbündeten, Tony Blair, zunehmend das Leben schwer, weil es die Oppostion in der regierenden Labour-Partei gegen einen Irakkrieg stärkte.
Wesentlich auf Drängen des britischen Premierministers hin wird George W. Bush daher heute eine – zumindest vorläufige – Kurskorrektur verkünden: hin zu einem multilateral abgestützten Vorgehen gegen Irak. Der US-Präsident zielt mit seiner heutigen Rede allerdings auch auf das eigene Volk im Vorfeld der Kongress-Zwischenwahlen am 6. November. Die US-Regierung hat wohl registriert, dass sämtliche Umfragen unter der US-Bevölkerung eine größere Ablehnung eines Irakkrieges auswiesen, wenn die Frage gestellt wurde, ob die USA diesen Krieg im Alleingang und ohne UNO-Mandat führen sollen.
Zwischen den USA und anderen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates laufen bereits seit einigen Tagen informelle Sondierungsgespräche über eine neue Irak-Resolution. Dabei zeichnet sich ab, dass die Bush-Administration zunächst mit folgender Maximalforderung in die offiziellen Verhandlungen gehen wird:
– 1. Die neue Resolution muss die „anhaltende Verletzung“ früherer Resolutionen durch den Irak feststellen, namentlich der Waffenstillstandsresolution 687 vom April 1991.
– 2. Der Regierung in Bagdad wird eine Frist gesetzt (voraussichtlich Mitte oder Ende November), bis zu der sie die Rüstungsinspektionsteams der UNO (Unmovik) wieder ins Land lassen muss.
– 3. Die Unmovik erhält einen „robusten“ militärischen Begleitschutz, der ihre uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und Inspektionstätigkeit im Irak notfalls auch gegen den Widerstand irakischer Sicherheitskräfte durchsetzt.
– 4. Für den Fall, dass Bagdad die Unmovik bis zu der gesetzten Frist nicht ins Land lässt, werden die UN-Mitgliedsstaaten zu militärischen Maßnahmen gegen Irak ermächtigt.
Washington weiß genau, dass die beiden letzten Forderungen im Rat zumindest bei Russland und China auf Ablehnung stoßen würden und dass mindestens einer dieser beiden ständigen Ratsmitglieder einen entsprechenden Resolutionsantrag der USA durch ein Veto blockieren würde. Russische und chinesische Diplomaten haben in New York unmissverständlich klar gemacht, dass ein Ultimatum an Irak – und damit ein Automatismus bei der Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen (wie in der Golfkriegsresolution 678 vom November 1990) – für ihre Regierungen diesmal unter keinen Umständen in Frage kommt. Moskau und Peking wären lediglich bereit zu einer Fristsetzung an Bagdad mit der Maßgabe, dass sich der Sicherheitsrat nach ergebnislosem Ablauf der Frist erneut mit der Angelegenheit befasst und über eventuelle Maßnahmen gegen Irak erst dann befindet.
Für die Bush-Administration wäre eine UNO-Resolution, die zunächst nur eine Fristsetzung Mitte/Ende November für die Rückkehr der UNO-Waffeninspekteure in den Irak enthält, vorläufig völlig ausreichend. Sie könnte damit bis zu den Kongresswahlen am 6. November außen- wie innenpolitisch Entschlossenheit, internationale Führungskraft und die Bereitschaft zu multilateraler Abstimmung demonstrieren.
Lässt Irak die Frist verstreichen, entsteht eine neue Situation. Der UNO-Sicherheitsrat steht dann in einem politischen Zugzwang, weitergehende Beschlüsse zu fassen. Täte er dies nicht, hätte Washington nach wie vor die – nie aufgegebene – Option, auch unilateral oder allein mit Großbritannien militärisch gegen Irak vorzugehen.
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