: Ich stehe in der Zeitung, also bin ich
Bei der IWF-Jahrestagung werden wieder einmal Medien und Globalisierungskritiker aufeinander treffen. Beide brauchen einander, beide gebrauchen einander. Krawalle machen Schlagzeile – und die kritische Distanz bleibt auf der Strecke
von KATHARINA KOUFEN
Ich denke, also bin ich, schrieb Descartes vor 350 Jahren. Meine Nachricht steht in der Zeitung, also bin ich, sagen die Nachrichtenmenschen von heute. Ist das die moderne Selbstvergewisserung der eigenen Existenz?
Die „Bewegung“, die heute oft – und fälschlicherweise – mit Attac gleichgesetzt wird, gibt es schon lange. Doch begann ihre Existenz in der Wahrnehmung der meisten Menschen mit Attac-Bildern im Fernsehen und mit Attac-Interviews in der Zeitung. Andere Bündnisse, Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen ackern seit Jahren gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF) oder gegen repressive Einwanderungspolitik – und doch werden sie „in der Öffentlichkeit“ kaum wahrgenommen. „People’s Global Action“ zum Beispiel oder die „Bundeskoordination Internationalismus“ (Buko), der Zusammenschluss entwicklungspolitischer Gruppen – sie alle kämpfen, von den Medien weitgehend unbeachtet. Fazit: In der heutigen Medienwelt suggeriert Öffentlichkeit Bedeutung. Diese mediale Bedeutung nehmen Leser, Fernsehzuschauer und Radiohörer als Realität wahr. Erst aus der medialen Bedeutung wird Prominenz.
Die Bewegung braucht die Medien und sie gebraucht sie für ihre Zwecke. Die Presseleute von Attac wissen, wie man Pressemitteilungen verschickt und wie man sich in Szene setzt. Sie wissen, dass Pressemmitteilungen nie am Nachmittag verschickt werden dürfen, dass sie nie zu lang und vor allem nie zu klein gedruckt sein dürfen, sonst liest sie niemand. Auch Journalisten nehmen, was man ihnen vorwirft – am liebsten in passenden Häppchen. Gute PR-Leute wissen, dass man Gehör findet, wenn man seine Forderungen passend zu solchen Anlässen lanciert, die Medienmenschen wichtig finden. Gutes Timing ist angesagt: Weltbanktagungen, WTO-Treffen, Bundestagsitzungen. Oder die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds an diesem Wochenende.
Nun handelt es sich hier keineswegs um ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Eher um eine Art Symbiose: Die Medien mögen Attac, weil sie hinter kritischen O-Tönen ihre eigene Meinung verstecken können. Weil Attac so kurz und griffig klingt und außerdem wie „Attacke!“. Und weil Attac greifbare Forderungen stellt. Nicht wie viele Vorgängerbewegungen „schafft den Kapitalismus ab“ oder „schafft eine bessere Welt“, sondern: „Führt eine Spekulationssteuer ein!“ Das lässt sich dem geneigten Leser oder Zuschauer leichter vermitteln.
Doch beruht das Verhältnis nicht nur auf gegenseitigem Nutzen. Medien und Bewegung beeinflussen sich auch gegenseitig. Die friedliebendsten Attac-Lobbyisten wissen, dass sie umso mehr Aufmerksamkeit erhalten, je mehr Gewalt, Steine und Tränengas es bei den Demonstrationen gegen offizielle Ereignisse gibt.
Den Journalisten auf dem G-8-Gipfel in Genua im Sommer vergangenen Jahres war klar: Ziehen „nur“ ein paar tausend Demonstranten friedlich durch die Altstadt, bleibt es bei einem kleinen Artikel irgendwo auf den hinteren Seiten der Zeitung. Dass die Proteste gegen den Gipfel zur Schlagzeile in allen Zeitungen wurde, zum Aufmacher in „Tagesschau“, „Heute-Journal“ und bei den Privaten, das ist dem Tod des jungen Italieners Carlo Giuliani zu „verdanken“ – so zynisch es klingt. Das wurde den Medien in den Wochen nach Genua oft vorgeworfen, und zwar zu Recht.
Damit keiner den anderen missbraucht, müssen die Medien sich auch über ihre Nähe oder Distanz zur Bewegung klar werden. Eine Tageszeitung zum Beispiel ist nicht das Sprachrohr der Bewegung. Die Aufgabe der Medien muss es sein, Forderungen von Attac kritisch zu hinterfragen. Sie dürfen sich nicht der Sypmathie halber dazu verleiten lassen, hohle Floskeln einfach so stehen zu lassen.
Aber natürlich darf eine Zeitung die Ziele der Bewegung gutfinden und ihre Berichterstattung entsprechend gestalten: Sie kann die Attac-Sommerakademie zum Thema auf Seite drei machen. Sie kann einen langen Artikel über eine Demonstration schreiben, statt die Berichterstattung auf eine Kurzmeldung zu beschränken.
Und natürlich kann eine Zeitung durch die Sichtweise beeinflussen, die sie auf die Themen hat. Im Idealfall nämlich kommen die Leser über die Zeitungslektüre zu ihrer Meinung. Und schließen sich Attac oder einer anderen Gruppe an – oder verwerfen genau diese Idee aufgrund der Berichterstattung. „Bild dir deine Meinung“ – auch wenn dieser Spruch von der Bild-Zeitung pervertiert wurde: Er ist ein Leitzsatz für jeden Zeitungsmacher.
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