piwik no script img

weinlese in kreuzbergTraubenlose Geschichte

Stardiebe

Unter Kennern steht der Kreuz-Neroberger, ein Riesling von den Hängen des Kreuzbergs, in keinem guten Ruf. Zu sauer, obwohl unter Idealbedingungen gewachsen: In windgeschützter Südwestlage, mit einer weiß getünchten Brandmauer im Rücken, die das Sonnenlicht auf die Pflanzen reflektiert. Trotz des hohen Säuregehalts im Endprodukt zieht es alljährlich Anfang Oktober Neugierige zum Weingut in der Methfesselstraße, um der Ernte beizuwohnen und den alten Jahrgang zu verkosten. Diesmal gab es Ärger: nicht ein Träubchen weit und breit. Journalisten stöhnten, Fotografen murrten. Keine Trauben, keine Story von Berlins ältestem und größtem Weinberg.

Wie konnte das passieren? Mehltau-Infektion? Traubenfäule? Hagelschlag? Nein, Stare waren es, die Gutsherrn Manfred Schmidt zur Eile getrieben hatten. „Zehn Prozent der Ernte haben Vögel gefressen“, schätzt er beim offiziellen Erntebeginn am Nachmittag. Schon mittags hatten Schmidt und seine Helfer von der Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft inab daher die Reben vom Stock geholt. Bis die Gäste kamen, waren die Trauben schon gewogen: 448,5 Kilo weiße und 150 Kilo rote. Macht zusammen etwa tausend kleine Flaschen Jahrgang 2002. Weinbauer sei in Kreuzberg zwar kein Beruf mit Zukunft, räumt Holger Gumz von der inab ein. Seine Gärtnerlehrlinge hätten trotzdem Spaß am Ernteeinsatz.

Die Presse wurde dann doch noch versöhnlich gestimmt. Mit einem Schlückchen 2001er und ein paar Reben, die der Gutsbesitzer geistesgegenwärtig fürs Foto hatte hängen lassen. Der Vorjahreswein soll gemundet haben, meinten Gäste, gar nicht so sauer.

HANNO CHARISIUS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen