: Walfleisch für’s Volk
Die Nazis propagierten die Gemeinschaftsküche der Volksgenossen. Vollkornbrot und Walfleisch sollten die deutsche Familie nähren
von GUNTHER HIRSCHFELDER
Im Nationalsozialismus hatte auch die Esskultur ihren Beitrag zur Propagierung der Volksgemeinschaft zu leisten. Das kulturelle System des Essens wurde dabei planmäßig genutzt. Winterhilfswerk und Eintopfsonntage, Straßensammlungen und fleischlose Tage sollten die Beteiligung aller am nationalen Aufbau ausdrücken.
Umgekehrt konnte man über das Essen definieren, wer nicht zur Volksgemeinschaft gehörte. Das kam zum Ausdruck durch Restaurantverbote für Juden und Zigeuner oder öffentliche Diskriminierung von Sozialdemokraten und Farbigen oder einfach nur durch Denunziation von verdächtigen Personen in Gaststätten. Äußerst subtil wurden diese Methoden in den Dreißigerjahren in Schulen angewandt: Wer im Verdacht stand, nicht arisch zu sein, durfte zunächst nicht an der gemeinsamen Schulspeisung teilnehmen.
Esskultur und Versorgung der Nation wurden bereits in der frühen NS-Zeit zur nationalen Aufgabe erklärt. Der Reichsparteitag 1936 formulierte die „Nahrungs- und Wehrfreiheit“ als vorrangiges Ziel des Vierteljahresplans. Ein wesentliches Mittel zur Durchsetzung dieses Ziels bestand in einer staatlich gelenkten Brotpolitik, die um die Verbreitung des damals kaum bekannten Vollkornbrotes bemüht war.
Seit den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte die Gruppe um die so genannten Brotreformer ein Verfahren entwickelt, um ein natürliches und gesundes Brot herzustellen. Die neue Brotsorte setzte sich aber zunächst allenfalls zögernd durch. Die Nationalsozialisten integrierten den neuen Brotgedanken schließlich in ihre Ideologie: Vollkornbrot sei gesund, nahrhaft und helfe gegen Karies, es sei gewissermaßen ein Nahrungsmittel, das den deutschen Volkscharakter in besonderem Maße unterstreiche.
1939 wurde die Vollkornbrotpolitik reichsweit institutionalisiert und ein Reichsvollkornbrotausschuss gegründet. Das Vollkornbrot entsprach den NS-Hygienevorstellungen. Das typisch arische Brot wurde den Volksgenossen über das Kartensystem zugeteilt, während Nichtarier vom Verzehr ausgeschlossen blieben.
Im weiteren Verlauf der NS-Herrschaft blieb die Brotpolitik bedeutend. Bis zum Ende schied das Brot zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Vollkornbrot hier – „Russenbrot“ dort.
Begrenzten Erfolg hatte die Verbrauchslenkung schließlich auch im Bereich der Versorgung mit Fisch. Von Beginn an zielte die nationalsozialistische Agrar- und Gesundheitspolitik auf eine zumindest nach damaligen Gesichtspunkten gesunde Ernährung. Propagiert wurde eine möglichst fettarme Kost mit relativ geringem Anteil tierischer Produkte.
Die eingespielten deutschen Mahlzeitensysteme kannten in den küstennahen Regionen einen hohen Fischanteil, aber im Binnenland beschränkte sich der Konsum von Fisch stärker auf die Fastenzeit und auf die Freitage. Bereits unter Reichskanzler Bismarck hatten die Behörden versucht, den Seefischkonsum anzukurbeln, aber diese Bemühungen zeitigten ebenso wenig durchschlagenden Erfolg wie die Initiativen in der Weimarer Zeit. Die nationalsozialistischen Dienststellen verfügten freilich über durchsetzungsfähigere Methoden der Lenkung.
Sie organisierten den Umbau der Fischindustrie. Die Bevölkerung zögerte noch, aber die Versorgungskrise des Winters 1935/36 sorgte schließlich dafür, dass Fisch als Eiweißlieferant und als Ersatz für Fleisch an Bedeutung gewann. Der Vierjahresplan von 1936 sah dann eine Verdoppelung der deutschen Fischfänge bis 1940 vor.
Dass dieses Ziel nicht verwirklicht werden konnte, hatte drei Gründe. Zunächst konnte die zivile Flotte nicht rasch genug ausgebaut werden. Darüber hinaus gestattete die Organisation des Einzelhandels nicht, den Handel mit Fisch problemlos zu integrieren. Und schließlich erwiesen sich die Beharrungskräfte des tradierten Mahlzeitensystems wiederum als zu stark.
Besser ließen sich die Neuerungen dort durchsetzen, wo sie nicht in die Mahlzeitensysteme eingreifen mussten, sondern lediglich Ersatzstoffe bereitstellten. Das betraf vor allem die Produkte, welche die Walfangflotte erzeugte. Um Devisen zu sparen und um die Fett- und Eiweißversorgung den Kriegsvorbereitungsplänen anzupassen, beteiligte sich Deutschland seit 1936 wieder am Walfang. Dem Projekt wurde großer Stellenwert eingeräumt.
Im Jahr darauf richtete man in Hamburg eine eigene Reichsstelle für Walfangforschung ein. 1938 bestand die Walfangflotte bereits aus sieben Mutterschiffen und 53 Fangdampfern, die im Sommer in die antarktischen Fanggründe ausliefen, um hochtechnisierte Jagd auf Wale zu machen. Die Schiffe waren mit umfangreichen Anlagen ausgestattet, um die Wale auf hoher See weiterzuverarbeiten.
Das Fleisch wurde teils tiefgefroren, teils eingepökelt. Um Fracht zu sparen, wurden die Meeressäuger zunehmend auch zu Fleischextrakt verarbeitet. Besonderes Augenmerk galt der industriellen Nutzung des Fetts. Aufwändige Anlagen zur Fettextraktion und zur Fetthärtung ermöglichten es, bereits an Bord Grundstoffe für die Margarineherstellung zu produzieren. Darüber hinaus sollte das wertvolle Eiweiß der Wale nutzbar gemacht werden. Mit Hilfe neuer Verfahren gelang es, Eiweißersatzstoffe herzustellen. Diese Produkte wurden in Deutschland mit breiten Anzeigenkampagnen beworben und fanden bald Eingang in die Küchen und Backstuben.
Überaus stark wirkte sich der Nationalsozialismus auf das Mahlzeitensystem in der kommerziellen Gastlichkeit und Arbeitswelt, etwa bei Arbeitsessen oder in Kantinen sowie im gesamten öffentlichen Leben aus. So resümierte der stellvertretende Leiter der Fachgruppe Gemeinschaftsverpfleger Hans Kappert im Dezember 1944: „Die Entwicklung des Krieges machte es notwendig, viele Tausende von Männern und vor allem von Frauen neu in den Arbeitsprozess einzubeziehen. Das hatte zur Folge, dass deren Versorgung von der zu Hause gekochten Einzelmahlzeit auf das gemeinschaftliche Essen in der Werks- und Lagerküche oder Gefolgschaftskantine umgestellt werden musste. Vielfach handelte es sich um Vollverpflegung.“
In dem Publikationsorgan Gemeinschaftsverpflegung wurden die Probleme der Großküchenversorgung intensiv diskutiert. In den Großküchen konnten die Menschen mit genau dosierten Mengen versorgt werden. Sie wurden nach genauesten Vorgaben verpflegt, denn es galt, die Arbeits- und Kriegsfähigkeit der Werktätigen zu erhalten. Dazu zählten auch die planmäßige Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen. Die Menschen wurden eher nach den Prinzipien der modernen Agrarwissenschaften als nach den Grundlinien der Ernährungslehre versorgt, denn zur Kultur des menschlichen Essens und Trinkens gehörten Individualität und Freiheit. Am Ende des Zweiten Weltkrieges bestimmte die Nahrungsaufnahme in den Gemeinschaftsküchen den Alltag von etwa einem Drittel aller Deutschen.
Schließlich wirkte sich der Nationalsozialismus auch auf den privaten Sektor aus. In einer vermeintlichen Gemeinschaft des Volkskörpers wurde das Bild einer Gastlichkeit propagiert, die sich am mythischen Bild eines gesunden Urbauerntums orientierte.
So erklärte der nationalsozialistische Kulturhistoriker Friedrich Hussong 1937: „Eine der schönsten Wandlungen aber erleben wir Deutschen gerade jetzt, da wir uns auf die Gaben und Kräfte des eigenen Bodens besinnen und wohl die schönste und stärkste Tischsitte und Tischzucht uns anleben aus einem großen Gedanken zu einem großen Zweck: das neue Tischbrauchtum, wie es in den Gaben für das Winterhilfswerk, in den Eintopfsonntagen, in der Sorgfalt des Kampfes gegen den Verderb zum Ausdruck kommt. Nie war eine Tischzucht so groß entworfen und eine Tischsitte so einmütig angenommen wie diese eines ganzen Volkes, das um den großen Tisch des Lebens enger zusammenrückt, damit auch der letzte Mann noch Raum daran finde. Und vielleicht wird dieses Rückgreifen auf das Eigene gerade uns wiederbringen, was seit Jahrzehnten immer mehr allen abhanden kam: Nationalküche eigener Artung.“
Auch diese Hoffnungen der Nationalsozialisten erfüllten sich letztlich nicht, denn die so genannte deutsche Küche geriet nach der Befreiung im Jahre 1945 in den Sog der Westorientierung und adaptierte viele Elemente fremder Esskulturen.
GUNTHER HIRSCHFELDER, Jahrgang 1961, ist Volkskundler an der Universität Bonn
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