: Birnen, Biedenkopf und Barbaren
Die Themenvielfalt der taz ist groß. Das zeigt sich auch an diversen Büchern, die taz-AutorInnen in diesem Jahr geschrieben haben. Vier Tage vor der Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt am Main stellt die taz Werke ihrer MitarbeiterInnen vor
Wer heute in Politik und Finanzfragen mitreden will, wer Aktien kauft und seine Rente plant, braucht ein Grundwissen wirtschaftlicher Zusammenhänge. Da helfen trockene Fachbücher und Wirtschaftslexika, die sich nur an den Experten richten, oft nicht weiter. Anschaulich, präzise und kompetent werden Begriffe erklärt, sachlich Daten und Fakten präsentiert, kritisch Hintergründe beleuchtet. taz-Meinungsredakteur Dietmar Bartz stellt Meinungen und Diskussionen aus der Wirtschaft vor und weist auch auf die Schattenseiten der Branche hin. Diese aktualisierte und erweiterte Ausgabe von „Die Wirtschaft verstehen“ enthält jetzt zusätzlich Kurzessays zu den wichtigsten Fragen der Wirtschaft. Rund 700 Stichworte, über 1.000 Verweise und ein systematisches Verzeichnis weiterer Begriffe machen dieses Lexikon zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle, die es genau wissen wollen.
Dietmar Bartz: „Wirtschaft von A bis Z. Kompakt, aktuell, übersichtlich“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. 560 S., 24,90 €
Du stehst an einer Autobahnauffahrt irgendwo auf dem Land und möchtest am liebsten alles hinter dir lassen. Die weißen Betonkübel in den Straßen der Neubausiedlung, die Bushaltestelle, an der du nach der Schule mit den anderen herumhängst, und das Kino, das „Solitaire Motion Center“ heißt und nur Filme zeigt, die du nicht sehen willst: Ab dafür. – Kolja Mensing, Literaturredakteur der taz, hat ein Buch über das Aufwachsen in der Provinz geschrieben. „Wie komme ich hier raus?“, erzählt zunächst von dem Traum, der Kleinstadt mit ihrer verschlafenen Fußgängerzone, dem tristen Eiscafé und den säuberlich verputzten Einfamilienhäusern den Rücken zu kehren und nie wieder zurückzukommen. – Doch was passiert, wenn dieser Traum in Erfüllung geht? Steffi und Michael, Jörg und Kerstin haben es geschafft, genau wie Boris Becker und Franka Potente. Sie haben die Provinz hinter sich gelassen und in den Neunzigerjahren erst Berlin und dann die ganze Welt erobert. In ihrem Leben soll es ab jetzt nur noch vorwärts gehen – auch wenn sie jedes Jahr Weihnachten wieder in den Zug steigen und „nach Hause fahren“. Nach Hause? Der Provinz entkommt man nicht …
Kolja Mensing: „Wie komme ich hier raus? Aufwachsen in der Provinz“. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002. 180 S., 8,90 €
Harry Rowohlt erzählt taz-Irlandskorrespondent Ralf Sotschek aus seinem Leben inmitten einer bemerkenswerten Familie voller Hochachtung und honigsüß, manchmal spöttisch und sarkastisch, aber immer hinreißend. Er erzählt von seinem Großvater Fränzken Pierenkämper, der 1917 einer der führenden Köpfe im Arbeiter- und Soldatenrat von Wilna war; von seiner Mutter, der extravaganten wie extrovertierten Schauspielerin, die einmal Tischdame von Goebbels gewesen war; von seinem Vater, der mit dem Rowohlt-Verlag fünfmal pleite ging, eine Tradition, die Harry Rowohlt als Erstes wiederbelebt hätte, wäre er in den Verlag eingetreten – und von seiner Schauspielerei in der „Lindenstraße“. Harry Rowohlt schweift dabei gerne ab, aber sein kompetenter Gesprächspartner Sotscheck hält ihn auf Kurs und steuert selbst jede Menge absurde Begebenheiten bei.
Harry Rowohlt: „In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege“. Edition Tiamat, Berlin 2002. 222 Seiten, 17 €
Anfang der Achtzigerjahre erschien auf Deutsch Thomas Pynchons Roman „Gravity’s Rainbow“ über die V2-Produktion. Es gibt dort ein Kapitel über „Byron – die unsterbliche Glühbirne“. Mit der Zeit entstand daraus eine regelrechte Glühbirnenforschung, an der sich immer mehr Leute beteiligten. Ende der Achtzigerjahre kam taz-Autor Helmut Höge in Kontakt mit dem Weddinger Erfinder Dieter Binninger, der eine unsterbliche Glühbirne entwickelt hatte und sich gerade anschickte, Teile der Glühbirnenproduktion des Ostberliner Kombinats Narva zu übernehmen. Kurz vor seiner Privatisierung stürzte Binninger mit dem Flugzeug ab. Höge übernahm im Auftrage des neu gegründeten Narva-Betriebsrats die Herausgabe der Betriebszeitung Lichtquelle. Diese Bemühungen bewirkten bei der Treuhandanstalt schließlich die Zustimmung zu einem „Narva-Modell“, das den letzten 1.500 „Arbeitern im Licht“ zwei Jahre Lohnfortzahlung garantierte, bei „Nullstunden-Kurzarbeit“, das Werk selbst konnte dadurch jedoch nicht gerettet werden. Und dann drehte der englische Filmemacher Andrew Hood einen sehr schönen Film über „Binningers Birne“, und der Wiener Verlag Selene bat Höge um Zusammenstellung eines „Glühbirnenbuches“. Was Höge mit Peter Berz, Assistent von Prof. Kittler bei den Kulturwissenschaftlern der Humboldt-Universität, und Markus Krajewski, der seine Examensarbeit über die AEG verfasste, denn auch getan hat. Das Buch ist ein Muss für jeden Glühbirnenforscher!
Helmut Höge, Peter Berz und Markus Krajewski (Hrsg.): „Das Glühbirnenbuch“. Edition Selene, Wien 2002. 312 S., 25 €
Über „Ein Lied kann eine Brücke sein“ von taz.mag-Redakteur Jan Feddersen sagt die deutsche Grand-Prix-Legende Joy Fleming: „Auch wer nur kompetent über den Grand Prix lästern möchte, sollte zuerst dieses Buch lesen.“ Kompetent, wie gesagt. Feddersens Nachfolger von „Merci, Jury!“ ist ein Standardwerk nicht nur für eingefleischte Grand-Prix-Fans, denn zum ersten Mal wird umfassend die deutsche und internationale Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson seit der ersten Austragung 1956 in Lugano dargestellt. „Ein Lied kann eine Brücke sein“ enthält alle Startlisten, Teilnehmer- und Punktetableaus, es gibt Sympathie- und Antipathie-Statistiken (bekam Deutschland jemals Punkte von Österreich?) wieder und stellt alle deutschen, österreichischen und schweizerischen Teilnehmer vor. Das Buch enthält darüber hinaus zahlreiche Interviews, die Feddersen unter anderem mit Ralph Siegel, Katja Ebstein, Nicole, Michelle, Udo Jürgens, den Olsen Brothers und Joy Fleming geführt hat.
Jan Feddersen: „Ein Lied kann eine Brücke sein“. Hoffmann und Campe, Heidelberg 2002. 429 S., 25 €
Zwischen der japanischen und der chinesischen Wirtschaftsweise wird man eines Tages differenzieren, wie man heute den angelsächsischen vom rheinischen Kapitalismus unterscheidet. Diese Meinung vertreten Georg Blume und Chikako Yamamoto, die seit 1997 für die taz aus Peking berichten, in ihrem neuesten, mit einem Vorwort von Helmut Schmidt versehenen Buch „Modell China. Im Reich der Reformen“. Blume und Yamamoto zeichnen ein differenziertes Bild der wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche Chinas, das in großer Geschwindigkeit und mit ebenso großem Selbstbewusstsein zur möglicherweise bedeutendsten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Großmacht dieses Jahrhunderts heranwächst. Die Gefahren für Chinas Entwicklung sehen sie in der Starre des politischen System. So entstehe heute mit den Anwälten ein neuer Berufsstand, der für die Entwicklung des Rechtsstaats notwendig sei. Doch noch setzten sich Parteisekretäre über das Recht hinweg und könnten unliebsame Richter entlassen. So habe China zwar wirtschaftlich eine Chance, doch weitere Erfolge seien nicht sicher.
Georg Blume und Chikako Yamamoto: „Modell China. Im Reich der Reformen“. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 144 S., 9,90 €
Ein Standardwerk für alle, die regelmäßig mit Medien und deren wirtschaftlicher Bedeutung zu tun haben. „Wer beherrscht die Medien?“ listet die 50 weltweit größten Medienkonzerne. taz-Medienredakteur Steffen Grimberg hat dazu die Charakterisierungen der britischen Konzerne beigesteuert. Auf wenigen Seiten werden die wichtigsten Daten präsentiert. Jedes Medienunternehmen wird zunächst anhand von wirtschaftlichen Kenndaten ganz knapp auf eineinhalb Seiten vorgestellt. Ausführlich widmen sich die Autoren dann in einzelnen Kapiteln Unternehmensgeschichte und -profil, geben einen Überblick über den Konzernaufbau sowie internationale Verknüpfungen und Beteiligungen. Besonderes Augenmerk richtet das Buch auf das Engagement der Medienkonzerne in Deutschland und Europa, ein weiteres Kapitel gibt einen Ausblick auf weitere Geschäftsentwicklungen. Das Medienkompendium wird jährlich neu aufgelegt und von dem Dortmunder Journalistikprofessor Günther Rager und dem Medienwissenschaftler Dr. Lutz Hachmeister herausgegeben.
Lutz Hachmeister/Günther Rager (Hrsg.): „Wer beherrscht die Medien? Die 50 größten Medienkonzerne der Welt“. C. H. Beck, München 2002, 2. Auflage. 422 S., 15,50 €
„Das System Biedenkopf. Der Hof-Staat Sachsen und seine braven Untertanen Oder: Wie in Sachsen die Demokratie auf den Hund kam. Ein Report“ – nicht länger, aber auch kein bisschen kürzer lautet der vollständige Titel des Buches von Michael Bartsch, taz-Korrespondent in Dresden. Es ist eine spannende Fallstudie zu der Frage, wann aus ehrbaren Demokraten Despoten werden, wenn sie in den Mantel der Macht schlüpfen. Kenntnisreich analysiert Bartsch den Zustand politischer Herrschaft in Deutschland und verdeutlicht, warum das System Biedenkopf kein Einzelfall ist. Und nach dessen Rücktritt eben auch nicht erledigt ist. Das ist Bartschs Fazit: Die Biedenköpfe kommen und gehen – das beschriebene Problem allerdings bleibt.
Michael Bartsch: „Das System Biedenkopf. Der Hof-Staat Sachsen und seine braven Untertanen Oder: Wie in Sachsen die Demokratie auf den Hund kam. Ein Report“. edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2002. 240 S., 12,90 €
130.000 polnisch- und 100.000 russischsprachige Bürger – Berlin ist längst auch eine osteuropäische Stadt. Und die Osterweiterung der EU steht um zehn neue Mitgliedsstaaten unmittelbar bevor. taz-Redakteur Uwe Rada versucht mit seinem Buch „Berliner Barbaren“, das in diesem Jahr schon in 2. Auflage erscheint, die vielen Facetten dieser Osteuropäisierung der deutschen Hauptstadt zu beschreiben. Polnisch und Russisch gehören längst zum Alltagston. Doch anstatt die Chancen einer Grenzstadt zum Osten (die polnische Grenze ist gerade mal 80 Kilometer entfernt) zu begreifen, so Radas Beobachtung, schottet man sich in Berlin lieber ab. Östlich von Oder und Neiße sieht es dagegen ganz anders aus, denn dort rückt Berlin immer näher. Was den einen freilich neue Möglichkeiten eröffnet, gilt anderen schon als Bedrohung. Die Süddeutsche Zeitung urteilte: „Wer Radas Buch gelesen hat, bekommt eine Ahnung von der politischen und kulturellen Geografie Berlins, von seiner tatsächlichen Lage.“
Uwe Rada: „Berliner Barbaren. Wie der Osten in den Westen kommt“. BasisDruck Verlag, Berlin 2002, 2. Auflage. 248 S., 19,40 €
„Verrückt nach Leben – Berliner Szenen in den zwanziger Jahren“ heißt das Buch von taz-Mitbegründerin Ute Scheub, das im Jahr 2002 in zweiter Auflage im Rowohlt-Verlag erschien. Ausgestattet mit zahlreichen historischen Fotos, geht es um das Leben der vielen Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, die damals im kulturvernarrten Berlin ihr Eldorado fanden: Vicki Baum und Gabriele Tergit, Helen Hessel und Dinah Nelken, Hannah Höch, Anita Berber, Marlene Dietrich, Claire Waldoff, Charlotte Wolff, Valeska Gert, Trude Hesterberg. Sie alle prägten das Bild der „Neuen Frau“, die mit Bubikopf, kniekurzem Rock oder Smoking die Metropole eroberte. Diese Frauengeneration, die sich unter schwierigsten sozialen Verhältnissen das Recht auf Studium und Berufstätigkeit erkämpft hatte und Karriere und Kinder zu vereinbaren versuchte, machte Berlin etwas mehr als eine Dekade lang zu einer „Stadt der Frauen“.
Ute Scheub: „Verrückt nach Leben. Berliner Szenen in den zwanziger Jahren“. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002, 2. Auflage. 192 S., 9,50 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen