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Alle Macht den Kiezen

Als letztes Bundesland will auch Berlin Bürger direkt an kommunaler Politik beteiligen. Bürgerentscheide sollen bei niedriger Wahlbeteiligung und auf Kiezebene wirksam sein. Opposition signalisiert grundsätzlich Zustimmung zur Verfassungsänderung

von TILMAN GÜNTHER

Berlin will auf kommunaler Ebene mehr Demokratie wagen. In den Bezirken sollen die Bürger per Bürgerentscheid über verkehrsberuhigte Zonen, Spielplätze oder Ampeln abstimmen. Auf einen entsprechenden Gesetzentwurf haben sich SPD und PDS geeinigt. „Er ist gedacht für Initiativen von unten“, betont SPD-Pressereferent Thorsten Metter.

Die zahlenmäßigen Anforderungen bei der Bürgerbeteiligung sollen möglichst niedrig angesetzt werden. Schon ein Prozent der Wahlberechtigten soll per Unterschrift ein Bürgerbegehren beantragen können. Daraufhin sollen Wahllisten in den Bezirksämtern ausgelegt werden, auf denen sich fünf Prozent der Bürger für einen Bürgerentscheid aussprechen müssen. In der dritten Stufe legt das Bezirksamt einen Abstimmungstag fest. Die Abstimmung ist gültig, wenn sich zehn Prozent der Wahlberechtigten beteiligen, die einfache Mehrheit entscheidet.

Da jeder Bezirk die Größe einer eigenen Großstadt hat, ist eine Verkleinerung der Wahlgebiete auf einzelne Quartiere in der Diskussion. So soll sichergestellt werden, dass Bürgerentscheide nicht durch Desinteresse gelähmt werden. „Wir wollen, dass die entscheiden, die wählen gehen, und nicht die, die nicht hingehen“, erklärte PDS-Verwaltungsexperte Peter Zotl.

Prinzipiell dürfen Bürger dann über alles direkt entscheiden – außer über unmittelbare Eingriffe in den Bezirkshaushalt, Personalfragen und alle Vorhaben, die den Bezirkshaushalt sprengen würden. Zudem darf über ein Thema nur einmal pro Legislatur abgestimmt werden.

Den Entwurf zur notwendigen Verfassungsänderung hat die rot-rote Koalition den anderen Fraktionen im Abgeordnetenhaus vorgelegt. Sie benötigt die Stimmen der Opposition für eine Zweidrittelmehrheit. „Wir planen einen Allparteienantrag“, betont Zotl. Der endgültige Entwurf soll Anfang 2003 ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. „Ich gehe davon aus, dass die Entscheidung zeitnah durchgeht“, erklärte Metter.

Grüne, FDP und CDU bewerten die Initiative grundsätzlich positiv. Die Grünen wollen jedoch zusätzlich ein Stimmrecht auch für Ausländer und Minderjährige. So seien alle Einwohner an der Entscheidungsfindung beteiligt. Auch halten sie ein zweistufiges Verfahren für ausreichend.

Die Einführung kommunaler Bürgerbegehren hatten SPD und PDS im Koalitionsvertrag vereinbart. Danach sollen auch die hohen Hürden für Bürgerentscheide auf Landesebene gesenkt werden. Hier müssen für ein Volksbegehren zur Zeit noch zehn Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben, einem Volksentscheid müssen 33 Prozent zustimmen. In der Koalition gibt es noch keine Vereinbarungen für die Änderung der so genannten Volksgesetzgebung. Neben einer Zweidrittelmehrheit im Parlament wäre hierfür ein Volksentscheid notwendig. In der PDS denkt man darüber nach, eine solche Abstimmung an die Europawahlen 2004 zu koppeln.

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