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Dieter macht Mut

Wenn rote Zahlen sich allein durch gute Laune schwarz verfärben: Trotz der wirtschaftlichen Krise, die Verlage und Buchhandel durchmachen, war die Stimmung auf der Frankfurter Buchmesse prima

von GERRIT BARTELS

Der Star dieser Buchmesse war Dieter Bohlen. Bei seiner Buchvorstellung am sowieso recht weitläufigen Heyne-Stand verursachte er einen riesigen Menschenauflauf, der von Bodyguards und Verlagsmitarbeiterinnen mit schwarzen straff sitzenden „Dieter packt aus“-T-Shirts nur mit Mühe in geordnete Bahnen gelenkt werden konnte.

Auch die anschließende Pressekonferenz mit Bohlen und Ghostwriterin Katja Kessler war voll wie keine andere Veranstaltung auf dieser Messe. Wer sich nicht schon Tage vorher akkreditiert hatte, musste draußen bleiben. Trubel, wem Trubel gebührt: Bohlens „echt authentisches“ Sexbuch mit dem Titel „Nichts als die Wahrheit“ verkaufte sich bei Erscheinen am vergangenen Montag innerhalb von drei Stunden 100.000-mal und ging nach einer Woche 250.000-mal über den Ladentisch.

So konnte man auch besser verstehen, dass Christian Strasser, Chef der Verlagsgruppe Ullstein Heyne List, nichts von einer Krise des Buchmarktes wissen wollte; die sei, so ließ er wissen, „eine reine Erfindung des Feuilletons“. Im Vorfeld der Messe wurde zwar von immerhin 43 Millionen Euro Verlust gesprochen, die Strassers Verlagsgruppe zuletzt angehäuft hatte – doch was ist das schon, wenn man einen Erfolgsautor wie Dieter „Modern Talking“ Bohlen in seinen Reihen hat?

So war es in diesen Tagen auf der Buchmesse auf fast jedem Empfang, an fast jedem Stand und in fast jedem Gespräch. Die Stimmung war prima trotz der wuchtigen Krise, die die Verlage, den Buchhandel und nicht zuletzt die Frankfurter Buchmesse mit ihren rückläufigen Ausstellerzahlen erfasst hat. Damit dürfte diese Messe als eine der widersprüchlichsten in die Geschichte eingehen.

Ärmel hochkrempeln, Muskeln zeigen und sich bloß nichts einreden lassen, hieß die Devise. Und sich ein Beispiel an den Amerikanern nehmen: Als die Kollegen aus den USA, am Montag angekommen, sofort losgelegt hätten mit Geschäften, Geschäften und noch mehr Geschäften, da habe für ihn die Welt schon wieder ganz anders ausgesehen, frohlockte Hans-Dieter Übleis, der Geschäftsführer von Droemer/Weltbild, beim Empfang seines Verlags im Frankfurter Hof. Die Amerikaner scherten sich übrigens auch keinen Deut um die Frage Irak und ihre ökonomischen Folgen.

Vielerorts bekam man zum einen den Eindruck, als könnten rote Zahlen allein durch gute Laune zu schwarzen werden, zum anderen, als sei alles nur halb so schlimm: Ein paar personelle Einsparungen, ein paar weniger Titel, dazu keine hohen Vorschusszahlungen für Autoren mehr, und alles wird gut. Bernd F. Lunkewitz vom Aufbau-Verlag zum Beispiel sah die Krise als bereits überwunden an und machte für seinen Verlag eine einfache Rechnung auf: 20 Prozent weniger Hardcover, 20 Prozent mehr Umsatz.

Für Alexander Fest zeigte sich ebenfalls alles in schönster Ordnung, als er beim Rowohlt-Empfang in der Schirn eine salbungsvolle Rede hielt: mehr als 200.000 verkaufte „Korrekturen“ von Jonathan Franzen, der neben Bohlen zum zweiten Star dieser Messe avancierte, ein anderer Bestseller mit Stefan Kleins populärem Sachbuch „Die Glückformel“ und einen Tag später dann der Nobelpreis für Imre Kertész, der haufenweise Bestellungen des Buchhandels nach sich zog. Darauf einen Dujardin! Andererseits passte es wieder nur zu gut, dass nicht nur hinter vorgehaltener Hand davon gesprochen wurde, von Franzen seien bislang 200.000 gedruckt, aber noch lange nicht verkauft.

Auch bei Eichborn wollte sich keiner kirre machen lassen. So meldete zwar die mit 33 Prozent an der Eichborn AG beteiligte Achterbahn-AG („Werner eiskalt“ etc.) Insolvenz an, was zu Gerüchten führte, Eichborn stehe kurz vorm Gang zum Konkursrichter. Am Stand aber wurde ein fast schon brutaler Optimismus zur Schau gestellt. Auf Fragen nach neuen Strategien und etwaigen Krisenbewältigungen zeigte man sich am Messestand geradezu pikiert. Dort pries man lieber das vielseitige Programm des Verlags und verwies auf das kommende gute Weihnachtsgeschäft.

Ebenfalls optimistisch gaben sich manche Händler, die gern auch konkreter ihre Vorstellungen für die Zukunft und ihre Erfolgsrezepte formulierten. Beim Internetbuchverkäufer buch.de priesen Mitarbeiter das erfolgsträchtige Konzept des „Multichanneling“, das buch.de zusammen mit der Thalia-Kette in deren Filialen verwirkliche; hier die Bücher, dort zahlreiche Computer, an denen man diese sofort bestellen könne. „Die Bücher müssen schneller werden“, hieß es, und gemeint war: nach der Bestellung noch schneller beim Kunden ankommen, von einem Tag auf den anderen.

Bei einer 3sat-Diskussionsrunde auf der Buchmesse wiederum wusste ein trotz der Rezession auf dem Buchmarkt erfolgreicher Kölner Buchhändler zu berichten, dass er halt noch mehr in die Tiefe gegangen sei und sich auf die Qualität seines Buchbestands konzentriert habe, statt in Ausstellungsfläche und Quantität zu investieren. Ihm gegenüber saß Volker Neumann, der neue Chef der Buchmesse, und wollte sich zumindest keine Krise „konstruieren“ lassen: Deutschland sei nun mal overstored, und der aktuelle Konkurs von Kiepert oder die Kurzarbeit bei Hugendubel seien nicht zuletzt unternehmerische Fehlleistungen.

Neumann glaubt zu wissen, worauf es in Zukunft verstärkt ankommt: das Buch als Event. Noch mehr Auftrittsmöglichkeiten für das Buch also, gerade auch bei der Messe. Einer wie Jonathan Franzen als richtiges Markenprodukt. Da ist es natürlich gut, wenn auch die Autoren sich fit halten in Fragen ökonomischer Gesetzmäßigkeiten.

So empfand der Debütant Philip Meinhold, der nach Dieter Bohlen am Heyne-Stand seinen Roman „Apachenfreiheit“ vorstellen musste, das vorherige Spektakel als durchaus hilfreich: „Da gibt’s doch dieses schöne Wort ‚Mischkalkulation‘. Wenn Bohlen gut verkauft, werden doch auch eher Bücher wie meine verlegt.“

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