tischgespräche
: WALTRAUD SCHWAB auf der Brustkrebs-Gala

A cappella an Tisch 17

Für mich gilt Tisch 17. Platzierung heißt das. „Warum gerade da?“, frage ich. „Wegen der interessanten Frauen“, antwortet die Empfangsdame. Eine Allerweltsreplik, die dem Schicksal immer vorauseilt. Oben angekommen, sitzt noch keine am vorgesehenen Platz. Vielleicht liegt’s am Ort, wo der Tisch steht: Abseits nahe der Treppe, nicht direkt im Foyer des Theaters des Westens mit seinen Jugendstilfensterns, den Barockspiegeln und Gipsreliefs weiblicher Körper, die sich über die Wände ziehen: jugendlich schön, rundbrüstig verführerisch. Perfekte Kulisse für Ministerinnen, Senatorinnen und Aktivistinnen, um sich für mehr Respekt für brustkrebskranke Frauen einzusetzen. Gala – Fest der großen Worte. Geht es nach Ulla Schmidt, Renate Künast und Heidi Knake-Werner, wird sich alles zum Besseren wenden. Diese Hoffnung allerdings kollidiert mit der Arroganz der Ärzte, von der Ina Deter zu berichten weiß. Seit Januar gehört sie zu den Betroffenen. Während sie Piafs Lieder singt, ist ihre Stimme voll alter melancholischer Wut.

Zurück zu Tisch 17. Von hier ist die Bühne nicht zu sehen. Mit den Tischnachbarinnen aber stört der Blick auf den Sicherungskasten und die Treppe nicht weiter. Da ist Gerlinde. Ein neues Mitglied des Bundestages. Aus Passau. „Wo die Flut war?“ Gerlinde klärt auf: Passau sei Hochwasser gewohnt. In der Schlange am Büfett erfahre ich mehr über sie: CSU, 49 Jahre, vier Kinder. Das erste hat sie mit 16 gekriegt. Zu jener Zeit ein Skandal. Die Schule durfte sie trotzdem fertig machen.

„Da bist du eine Ausnahme“, sagt Astrid, ebenfalls an Tisch 17 platziert. Die frühere Bankkauffrau organisiert nun Reisen ins Indianerland. „Wo ist Indianerland?“ und „Kann man davon leben?“ Es gehe um Einklang mit der Natur, klärt die Reiseleiterin auf, die zudem erlebnispädagogisch tätig ist.

„Natur“ ist das Stichwort für Rita. Sie hat Brustkrebs. Ein dreiviertel Jahr wurde der Befund vom Arzt verharmlost. „Ich habe daran glauben wollen“, sagt sie. Seit zwei Jahren versucht sie zu überleben. Jeden Tag raffe sie sich neu auf. Ein Lächeln, eine Blume, eine Hand, die sich ihr auf den Arm legt, ein Blick in die Weite, daran hangelt sie sich entlang. „Ich habe mich von meinem Mann getrennt.“ Wie eine Elfe sieht sie aus: zart und ätherisch. Als sie ihr Alter verrät, 49, glaubt ihr keine am Tisch.

Indianerland, CSU, Krebs. Dazu Aktivsportlerin, gestandene Frau, Elfe und Journalistin. „Ich habe Regine Hildebrand mal von einer Schule herunter abgeseilt“, erzählt Astrid. „Vor zwei Jahren ist mein Mann gestorben“, sagt Gerlinde. Sie will unbedingt in den Gesundheitsausschuss. Da hätte die CSU sonst nur Seehofer, und der hätte nicht immer Recht. Überhaupt Gerlinde: „Zuerst hab ich die Ausbildung meines Mannes, dann die meiner Söhne abgewartet.“ Irgendwann wollte sie was Eigenes. „Da hab i a Fahrraderl-Gschäft g’hobt“. Später waren die Umstände dagegen. „Des is scho was, wenn ma zuerst a eigens Geld verdient und dann wieder net.“ In der Zwischenzeit verpassen wir sämtliche Ansprachen. „Toll, dass ich mal eine CSUlerin treffe“, schreie ich gegen Gitte Haennings zu laut gesungenem Jazz an, „etwas, das mir als feministischer Berliner Snob bisher nicht eingefallen ist.“

Am Ende ist alles a cappella. Deter singt „Neue Männer braucht das Land“, Haennings „Ich will alles, ich will alles“. Wir sind aufgestanden, um sie zu sehen und bereit, jederzeit loszutanzen. Unsere Körper wiegen sich schon im Takt.