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Wende nach Verfolgungsjagd

Leiter einer Beratungsstelle für Folteropfer ist wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt. Doch das Gericht überprüft zunächst einmal die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes gegen Flüchtling

von HEIKE KLEFFNER

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat sich mit ihrer Anklage gegen den Leiter der Beratungsstelle für Folteropfer Xenion offenbar verhoben. Sie wirft dem Psychologen Dietrich Koch und einer weiteren Mitarbeiterin Widerstand gegen die Staatsgewalt vor, weil sie vor zwei Jahren einen Polizeieinsatz gegen einen Flüchtling in der Beratungsstelle bremsten. Doch gleich zu Prozessauftakt vor dem Amtsgericht Moabit wurde das Verfahren gestern auf unbestimmte Zeit vertagt. Den Grund erläuterte Kochs Verteidiger Rüdiger Jung: „Das Gericht will die Rechtsmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens prüfen.“

Ende November 2000 waren Polizeibeamte auf der Suche nach einem kurdischen Flüchtling mit gezogenen Dienstwaffen in die Räume von Xenion eingedrungen. Der damals 17-jährige Davut K. war auf dem Weg zur Behandlung bei einer Fahrscheinkontrolle aufgefallen. Auf die Drohung, ihn der Polizei zu übergeben, reagierte K. panisch. Der junge Kurde war Anfang 2000 nach schwersten Folterungen nach Deutschland geflohen. Im Fall einer Abschiebung in die Türkei musste er mit erneuten Misshandlungen rechnen.

Dass Davut K. zu Xenion fliehen würde, hatten die Polizisten aufgrund eines bei der Kontrolle sichergestellten Terminzettels geschlossen. Sie drangen gegen den Willen des Xenion-Leiters Koch und trotz mehrfacher Warnungen in die Beratungsstelle ein. Davut K. sprang daraufhin aus einem Fenster im dritten Stock. Seine lebensgefährlichen Verletzungen mussten monatelang im Krankenhaus behandelt werden.

Inzwischen ist Davut K. anerkannter Asylbewerber. Nach dem Fenstersprung musste das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Ablehnung von K.s Asylbegehren überprüfen und kam zu dem Schluss, dass seine Angaben über Verfolgung und Folter der Wahrheit entsprachen.

Dietrich Koch zweifelt nicht daran, richtig gehandelt zu haben, als er die Beamten aufhalten wollte. „Ich liefere keinen Klienten aus, zumal ich wusste, wie viel Angst Davut K. vor einer Abschiebung hatte.“

Die Polizisten hatten gegenüber Koch behauptet, es läge ein Haftbefehl gegen seinen Klienten vor und sich beim Eindringen in die Praxis auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) berufen. „Es gab aber keinen richterlichen Haftbefehl“, erklärt Verteidiger Jung, „sondern lediglich ein Festnahmeersuchen der Ausländerbehörde.“ Das müsse das Gericht nun zunächst anhand der Ausländerakte von Davut K. überprüfen. Dann müsse geklärt werden, wie die Polizei in derartigen Fällen vorgehen darf. „Unabhängig davon sollten Polizisten anders in eine Therapieeinrichtung reingehen, als bei einer Schlägerei in eine Eckkneipe“, resümiert Jung. Inzwischen habe die Innenverwaltung immerhin Gesprächsbereitschaft signalisiert. Der Anwalt rechnet mit einem Freispruch.

Dass das Verfahren gegen Koch bislang nicht eingestellt wurde, liegt offensichtlich an dem Druck der Generalstaatsanwaltschaft. Großes Interesse am Ausgang des Verfahrens zeigten auch viele Mitarbeiter von Beratungsstellen und Therapieeinrichtungen für Migranten, die gestern ins Gericht kamen. Schließlich geht es auch um die Frage nach dem Schutz von Behandlungsräumen.

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