: Bauer Bessane hat nichts zu essen
Warum breitet sich in ländlichen Gebieten Afrikas Hunger aus, wo doch die Leute ihre Felder bestellen? In Senegal lebten die Bauern lange vom Erdnussanbau. Jetzt treiben EU-Exporthürden und die Privatisierung der Erdnusswirtschaft sie in den Ruin
aus Diamaren, SenegalHAKEEM JIMO
Madiaina Bessane lebt mit seiner Familie in dem Dorf Diamaren. Es liegt in der Erdnussregion des Senegal. Die meisten Häuser sind einfache Hütten aus Lehm, bedeckt mit Stroh. Nur wenige haben Wände aus Beton oder Stein. Das sind die Häuser der reicheren Dorfbewohner. Selbst die Bauern in Diamaren leben in unterschiedlichen Welten. Wenn Madiaina Bessane morgens aufsteht, dann weiß er schon, dass seine Familie am Abend wieder nicht satt werden wird. Dagegen besitzen die reicheren Bauern sogar Fernseher.
Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten unter den Bauern von Diamaren. Jeder der rund 300 Einwohner des Dorfes lebt vom Ackerbau. Auch geht jeder noch selbst aufs Feld. Großgrundbesitzer gibt es hier nicht. Und für alle im Dorf ist die Erdnuss die Haupteinkommensquelle.
Erdnüsse sind das wichtigste Agrarprodukt Senegals. Eine Million der 2,4 Millionen landwirtschaftlich genutzten Hektar des Landes sind dafür reserviert. Vor der französischen Kolonisation kannte man in dieser Region die Erdnuss nicht, aber dann wuchs ihr Anbau schnell zu einer Monokultur an. In den Jahren nach der Unabhängigkeit hat der Staat den Erdnussanbau weiter forciert. Bis zu 1,2 Millionen Tonnen wurden pro Jahr geerntet. Als die Preise auf dem Weltmarkt einbrachen, ging zwar die Produktion zurück – sie liegt heute bei etwa einer halben Millionen Tonnen pro Jahr – aber Senegals Regierung hielt die zwei Drittel der Bevölkerung, die von der Landwirtschaft abhängig sind, mit subventionierten Erdnusspreisen über Wasser.
Seit diesem Jahr ist das vorbei. Nun bläst den Bauern der kalte Wind der Liberalisierung entgegen. Die staatliche Gesellschaft Sonagraines, die für die Abgabe neuen Erdnuss-Saatguts gegen Kredit verantwortlich war, ist privatisert worden. Die Sonacos, deren Fabriken die Erdnüsse weiterverarbeiten, zum Beispiel in Öl, bleiben nur noch ein Jahr unter staatlicher Kontrolle. Sonacos kaufte dieses Jahr noch Erdnüsse zum garantierten Preis, aber dann ist auch das vorbei. Dieses Jahr schon herrschte solche Verwirrung, dass viele Bauern zum Schleuderpreis an schnellschaltende Händler verkauften. Auch Madiaina Bessane.
Früher war Madiaina Bessane sogar mal Angestellter bei einer Landwirtschaftsorganisation. Dann wurde er entlassen und musste seine ererbten Felder bestellen. „Jedes Jahr habe ich Erdnüsse geerntet. Aber in diesem Jahr habe ich keine Erdnüsse mehr zum Säen“, erzählt der achtfache Familienvater Anfang vierzig. „Und ich habe kein Geld, mir Saatgut zu kaufen. Ich habe nichts zu essen. Meine Kinder haben nichts mehr zu essen. Und mein Pferd auch nicht.“
Das Pferd bekommt das Stroh von der Erdnuss. Auch deshalb fällt es vielen Bauern schwer, von der Erdnuss zu lassen. Denn dann müssen sie Futterersatz kaufen. Die Augen von Bessane sind matt, während er das Pferd beschirrt.
Bessane hat noch ein paar Kilo Hirse. Die will er heute aussäen. Erdnusssamen hat er keine mehr. Madiaina Bessane musste alle Erdnüsse verkaufen, um Reis kaufen zu können. Zwei Kilo Reis braucht die Familie am Tag. Ein 50-Kilogramm-Sack kostet fast 10.000 CFA-Francs (rund 15 Euro). Die letzte Erdnussjahresernte brachte ihm den Gegenwert von vier Sack Reis.
Kredit oder Samen im Vorschuss bekommt der Bauer bei den privaten Erdnusskonzernen nicht. Die haben eigene Sorgen. Zwar dürfen seit einiger Zeit landwirtschaftliche Produkte aus armen Ländern zollfrei in die EU eingeführt werden. Das sollte Senegal mit seinem Erdnussöl helfen. Aber aus Verbraucherschutzgründen senkte die EU den Grenzwert für Aflatoxin, das Gift des Schimmelpilzes auf der Erdnuss. Der findet sich im Rückstand der Erdnuss, nachdem das Öl aus ihr herausgepresst worden ist. Dieser Rückstand war für Europas Kühe als Futter gedacht. Aber über dieses Futter kommt das Aflatoxin wieder zurück in den Nahrungsmittelkreislauf der Menschen. Viele Labors der privaten Erdnussindustrie können nun die von der EU geforderten teuren Aflatoxin-Untersuchungen nicht garantieren. Als Folge schaffen es viele Tonnen Erdnussprodukte gar nicht mehr nach Europa.
Zudem will Europa immer weniger Erdnussöl aus Senegal. Andere Öle sind billiger. Mit den Milliarden an Agrarsubventionen, die die Entwicklungshilfe für Afrika um ein Vielfaches übertrifft, können es Senegals Bauern nicht aufnehmen.
Madiaina Bessane weiß nicht, was passieren wird, wenn er auch noch die Landwirtschaft verliert. Jobs warten anderswo im Senegal nicht auf ihn. Aber sein Sohn ist bereits aus Diamaren weggegangen.
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