Nicht verloren, auch kein Sieg

Die Grünen haben mit ihren Stimmenzuwächsen kein viertes Ministerium gewonnen. Aber ihre vorhandenen Kompetenzen wurden ausgeweitet

von ULRIKE HERRMANN
und BERNHARD PÖTTER

Die Stimmung war gut, als die rot-grünen Partner ihren Koalitionsvertrag unterzeichneten. Viermal beklatschte sich die Regierung selbst und freute sich über den Kanzler, der seine Truppe „ambitioniert“, „engagiert“ und „anspruchsvoll“ nannte.

Die Stimmung zwischen Rot und Grün ist angeblich sogar so euphorisch, dass sich die Verhältnisse umgekehrt haben: Galt früher das Private als politisch, so soll diesmal das Politische auch privat sein. Kanzler Schröder jedenfalls behauptete, dass man nun zu einer „durch persönliche Freundschaft gekennzeichneten Partnerschaft“ gefunden habe. Und lächelte gütig. Allerdings nehmen an dieser neuen Freundschaft weiterhin nur drei grüne Minister teil. Seit gestern steht endgültig fest, dass die grünen Stimmengewinne kein viertes Ressort eingebracht haben. Stattdessen wurde versucht, mehr Zuständigkeiten zu ergattern. Wie erfolgreich war diese Strategie?

Ergebnislos war sie bei Außenminister Joschka Fischer. Er konnte keine weiteren Referate in sein Ressort umsiedeln, sondern nur erreichen, dass ihm das Kanzleramt nicht auch noch die Europapolitik abspenstig macht.

Weitgehend unverändert bleibt es auch bei den Staatssekretären. Ursprünglich sollten die Ressorts „entflochten“ werden, so dass nur noch grüne Staatssekretäre in grünen Ministerien wirken; Gleiches sollte bei der SPD gelten. Doch bald fiel der Nachteil dieser „Reinrassigkeit“ auf: Man hätte den Koalitionspartner nicht mehr durch interne Kenntnisse kontrollieren können. Also blieb es beim Alten.

Immerhin, erster grüner Sieg, wurde die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck zur Integrationsbeauftragten aufgewertet und ist nun in Personalunion auch Staatssekretärin im Familienministerium. Doch bedeuten ihre vielen neuen Titel nicht, dass sie auch Einfluss hätte. Es gilt, das Zuwanderungsgesetz umzusetzen. Wie die Ermessensspielräume gesetzlich zu füllen sind, das werden aber vor allem die Innenminister der Länder entscheiden, wo die Grünen personell nicht vertreten sind.

Zweiter Zugewinn der Grünen: Sie dürfen künftig den Bundesbeauftragten für den Datenschutz stellen. Die Amtszeit von Joachim Jacob (SPD) läuft Mitte nächsten Jahres aus. „Echte Macht“ hat der Datenschützer jedoch nicht, das geben auch Grüne zu. Allerdings setzten sie auf die „starke Öffentlichkeitswirkung“ des Amtes. Denn das Medienecho ist stets immens, sobald der oberste Datenschützer die Sammelwut der Bundesbehörden kritisiert. Im Gegenzug konnte die SPD allerdings erreichen, dass der Koalitionsvertrag die „Weiterentwicklung“ der biometrischen Erfassung festschreibt.

Einen wirklichen Sieg hat hingegen Verbraucherschutzministerin Renate Künast erzielt. Ihr wurde ein „Initiativrecht“ zugestanden, sodass sie nun alle anderen Ressorts zwingen kann, sich mit Verbraucherthemen zu befassen – allerdings benötigt sie für ihre Initiativen immer noch den Segen des Kanzleramts (siehe auch Wirtschaft Seite 9). Da Künast unter „Verbraucherthema“ auch Dienstleistungen wie etwa Finanzgeschäfte, Werbepraktiken oder die neuen Bahnpreise versteht, wird sie ihren Kollegen viel Arbeit machen.

Auch über die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen entscheidet künftig nicht mehr die Gesundheits-, sondern die Verbraucherschutzministerin. Noch ist jedoch unklar, ob die zuständige Abteilung im Robert-Koch-Insitut in Künasts Ministerium umzieht oder nur die Entscheidungsebene verlegt wird.

Umweltminister Jürgen Trittin gewinnt ebenfalls an Macht. Er ist nun zuständig für die erneuerbaren Energien – obwohl gestern noch unklar war, ob und welche Referate aus dem Wirtschafts- ins Umweltministerium wechseln. Nun kann man die Förderprogramme für Energie aus Sonne, Wind und Biomasse weitaus zügiger abarbeiten, und auch bei den Fördergesetzen für diese Energien hat jetzt der Umweltminister die Federführung.

Richtig Geld bewegt der Umweltminister mittelfristig mit einem eher unscheinbaren Kompetenzzuwachs: mit der „Deutschen Bundesstiftung Umwelt“, die in den letzten zehn Jahren über ein Fördervolumen von 920 Millionen Euro verfügen konnte. Seit langem kritisieren allerdings Umweltschützer, die DBU fördere vor allem technischen Umweltschutz und sei traditionell eine CDU-Hochburg. Hier wollen Trittins Beamte stärkeren Einfluss ausüben.

Sieg oder Niederlage? Für Joschka Fischer zumindest ist klar: Der Koalitionsvertrag bündelt die „ganze Weisheit“ der Realos.