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„Obrigheim ist großer Mist“

Interview HANNES KOCH und PATRIK SCHWARZ

taz: Sie sind binnen weniger Tage vom Parlamentsneuling zur Fraktionschefin im Bundestag aufgestiegen. Kennen Sie im Reichstag überhaupt den Weg zum Klo?

Krista Sager: Ja klar. Ich war bereits als Vorsitzende der Hamburger Bürgerschaftsfraktion bei der Bundestagsfraktion zu Gast. Die Sitzungen dauern ja immer eine gewisse Zeit – und da musste ich den Weg schon mal suchen.

Gegen Sie und Ihre Kollegin Katrin Göring-Eckardt gibt es den Vorwurf, Sie seien von den sieben Mächtigen der grünen Partei mit einem Ziel auserkoren worden: Sie sollen als Fraktionsvorsitzende für Ruhe unter den Abgeordneten sorgen. Wo bleibt da die eigenständige Rolle der Bundestagsfraktion?

Unsere sieben Wildgänse an der grünen Spitze stellen doch eine sehr gemischte Mannschaft dar, die auch versucht, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Ich finde es deshalb nicht ehrenrührig, wenn dieses Team glaubt, die Paketlösung ist für die Fraktion gut.

Außerdem ist die Fraktion natürlich eine Gruppe aus sehr eigenständigen Persönlichkeiten, die alle über einen sehr ausgeprägten eigenen Willen verfügen. Ob man da als Kandidatin eine Mehrheit bekommt, ist nie ausgemacht – aber wenn man dann 42 von 55 Stimmen erhält, kann man davon ausgehen, dass sich die Leute ihren eigenen Kopf gemacht haben.

Genau diese Eigenwilligkeit wird auf der Regierungsbank aber oft als störend wahrgenommen – und Sie sollen sie bändigen.

Ich sehe mich nicht als Zuchtmeisterin. Ich habe auch nicht die Ambition, charakterlich in die Fußstapfen eines Herbert Wehner zu steigen. Katrin und ich bilden schließlich eine weibliche Doppelspitze. Beim Führungsstil werden darum Gespräche, Integration und Kooperation eine größere Rolle spielen.

Frauen sind netter?

Nein, netter nicht. Aber Frauen haben einen anderen Führungsstil, weil sie wissen, dass es nicht besonders beeindruckend ist, wenn sie anfangen zu schreien. Anders als bei Männern schließen die Leute bei Frauen aus Lautstärke, dass sie überfordert sind und schwache Nerven haben.

Wie wollen Sie also verhindern, dass die Fraktion neben der Regierung zur Hilfstruppe schrumpft?

Viele Formulierungen im Koalitionsvertrag sind ein Fuß in der Tür: Die Tür ist noch nicht auf, aber eben auch nicht zu. Beispiele sind die Wehrpflicht, wo wir eine Überprüfung herausgehandelt haben, oder die Weiterentwicklung der Ökosteuer, die 2004 überprüft wird. Da ist es eine originäre Aufgabe der Fraktion möglichst viel herauszuholen – gerade in den Feldern, wo wir keine Minister stellen.

Die Mehrheit der rot-grünen Koalition ist gegenüber 1998 geschmolzen. Auch wenn viele Linke nicht wieder angetreten sind, formiert sich in der Fraktion bereits eine Gruppe unter dem Arbeitstitel „ökologisch-pazifistische Sperrminorität“. Nehmen Sie diese Kollegen ernst?

Es wäre töricht, sie als Kollegen nicht ernst zu nehmen. Das sind alles gestandene Politiker mit ihren politischen Verdiensten, ihren Erfahrungen und Inhalten, die sie im Bundestag zu Recht einbringen wollen.

Aber ich sehe die Differenz zwischen Realos und Fundis heute nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor ein paar Jahren. Wir sind auch inhaltlich viel stärker zusammengewachsen – etwa durch die gemeinsame Arbeit an unserem neuen Grundsatzprogramm, aber auch durch pragmatische Erfahrungen in der Regierungsverantwortung.

Sie haben keine Angst vor dem direkt gewählten Linksmatador Christian Ströbele?

Wieso sollte ich denn? Abgeordnete wie Christian Ströbele oder Irmingard Schewe-Gerigk stehen nicht in Fundamentalopposition zum Mitregieren in dieser Koalition. Sie haben hohe Ansprüche, was beim Regieren herauskommen muss. Das muss in der Fraktion nicht unbedingt schaden, im Gegenteil.

In der letzten Legislatur wurden Abgeordnete ziemlich in die Mangel genommen, wenn die Mehrheit knapp wurde.

Behaupten Sie, stimmt aber nicht. Bei extremen Entscheidungen, wie wir sie in der Afghanistandebatte erlebt haben, kann es natürlich auch mal extreme Polarisierungen geben. Aber als grüne Abgeordnete haben wir alle gemeinsam von unseren Wählern einen klaren Auftrag bekommen: Rot-Grün soll über vier Jahre in schwierigen Zeiten das Land konstruktiv regieren. Über diesen Auftrag gibt es, glaube ich, in der Fraktion keine zwei Meinungen.

Bringen Sie denn den Koalitionsvertrag überhaupt über Ihren Parteitag? Die grüne Verhandlungskommission hat immerhin zugestimmt, einen alten Wunsch der Atomlobby zu erfüllen. Mit Ihrer Zustimmung genehmigt Jürgen Trittin nun, die Laufzeit des Rentner-AKW Obrigheim um zwei Jahre zu verlängern.

Obrigheim ist großer Mist, das weiß jeder. Unserer Verhandlungskommission mache ich dafür keine Vorwürfe. Unverständlich ist vielmehr, mit welcher Geschlossenheit die SPD in den Koalitionsverhandlungen eine Extrawurst für die Atomindustrie gebraten haben wollte – und sogar das Scheitern der Koalition riskiert hat.

Der Überhang von 5,5 Terawattstunden von einem alten AKW auf ein ebenfalls altes war das Maximale, was in sehr schwierigen Verhandlungen mit der SPD herauszuholen war.

Hat Gerhard Schröder den Geist von Rot-Grün schon verraten, ehe das neue Kabinett überhaupt vereidigt ist?

Nein, darum geht es nicht. Aber die Sozialdemokraten haben sich selbst keinen Gefallen getan. Die SPD muss sich doch damit auseinander setzen, dass die Grünen erstmalig auf Bundesebene nicht nur in ein rot-grünes Wählerpotenzial eingebrochen sind, sondern in die sozialdemokratische Stammwählerschaft.

In meiner Heimatstadt Hamburg zum Beispiel haben uns diesmal gestandene Sozialdemokraten die Zweitstimme gegeben. Wenn die SPD die Absicht verfolgen sollte, diese Wähler irgendwann wieder zurückzugewinnen, sind Entscheidungen wie die zu Obrigheim der falsche Weg. Diese Menschen wollen den Atomausstieg und fragen sich, warum macht der Bundeskanzler solche Zugeständnisse?

Machen Sie Gerhard Schröder sein Ehrenwort an den Energieboss Goll zum Vorwurf?

Wir haben jetzt einen Kompromiss, aber ich sagte bereits, die SPD hat sich selbst damit keinen Gefallen getan.

Kritik am „Chef“, wie Joschka Fischer gern sagt, haben sich grüne Koalitionäre schnell abgewöhnt.

Der Respekt vor der Person ist das eine, das andere sind politische Meinungsverschiedenheiten, die man auch mit dem Bundeskanzler haben darf.

Mit wie viel Widerstand rechnen Sie auf dem Parteitag?

Es wird in Bremen sicher kritische Stellungnahmen zu Obrigheim geben. Das ist ja auch verständlich.

Die Delegierten sollen ihren Unmut an der politischen Konkurrenz auslassen statt an der eigenen Führung?

Diese wirklich sehr zugespitzte Situation zu Obrigheim hat allein die SPD zu verantworten. Das muss sie jetzt auch vor ihren Wählerinnen und Wählern rechtfertigen. Unsere Verhandlungskommission hat noch eine Optimierung hingekriegt. Das ändert nichts daran, dass das Ergebnis Mist ist. Ich bin aber überzeugt, dass unsere Delegierten trennen können, wie sie Obrigheim bewerten und wie den Koalitionsvertrag.

Das lässt sich doch nicht trennen –oder dürfen die Delegierten Obrigheim ablehnen?

Das kann man trennen. In einer Vereinbarung, die über vier Jahre grüne Chancen eröffnet, gibt es einen Punkt, der nicht gut ist. Trotzdem ist es richtig, diesen Weg zu gehen. Der Koalitionsvertrag ist nach wie vor ein ausgesprochener Atomausstiegsvertrag, ein Energiewendevertrag. Dort ist zum Beispiel festgeschrieben, dass Deutschland sich auf europäischer Ebene einsetzen wird, den Euratom-Vertrag aufzukündigen. Auch Jürgen Trittins zusätzliche Kompetenzen für erneuerbare Energien beschleunigen letztlich den Ausstieg aus der Atomenergie.

Wackliger als der Koalitionsvertrag ist die geplante Abstimmung über eine neue Satzung: Fritz Kuhn und Claudia Roth drohen, ihre Ämter als Parteichefs niederzulegen, wenn sie nicht zugleich im Bundestag sitzen dürfen. Ist das Erpressung?

Nein, auch Menschen, die für die Grünen hervorgehobene Positionen anstreben, haben das Recht, sich zwischen zwei Positionen zu entscheiden, wenn ihnen nichts anderes übrig bleibt.

Im Wahlkampf gab es einen Spitzenkandidaten, und auch die Kandidatinnen für den Fraktionsvorsitz wurden im kleinen Kreis ausgeheckt. Müssen die Grünen heute nicht viel eher als zu Oppositionszeiten aufpassen, dass sich die Macht nicht in zu wenigen Händen konzentriert?

Wir haben doch die Macht unverändert auf eine breite Zahl von Führungsleuten verteilt, das zeigen ja auch die Doppelspitzen in der Partei wie der Fraktion. Eine Lehre aus der Opposition ist aber, dass man gerade bei einer breiten Spitze darauf achten muss, die verschiedenen Ebenen zusammen zu denken. Am besten gelingt das, wenn Leute Politik von zwei Seiten gleichzeitig sehen können, also die Erfahrung des Parlaments verbinden mit den Bedürfnissen der Partei. In Hamburg, wo Amt und Mandat nicht länger getrennt sind, haben wir damit gute Erfahrungen gemacht.

Wenn am Montag das Regieren losgehen soll, fehlt also nur noch eins: das Geld?

Wenn Hans Eichel meint, dass es eine neue Lage gibt, dann wird er sicher darüber informieren. Dann kann man gegebenenfalls darauf reagieren. Das ändert aber nichts daran, dass die vereinbarten Prioritäten auch Bestand haben werden.

Woher sind Sie da so sicher? Die Grünen haben teure Versprechungen gemacht.

Von der Kinderbetreuung und den Gesamtschulen über die Programme für erneuerbare Energien bis zum Jump-Plus fur auszubildende Jugendliche haben wir dafür gesorgt, dass sie gegenfinanziert sind. Diese Projekte stehen im Koalitionsvertrag nicht unter Finanzierungsvorbehalt.

Das neue Defizit macht Ihnen keinen Strich durch die Rechnung?

Nein, das ist kein Koalitionsvertrag, der darauf ausgelegt ist, Politik mit der Gelddruckmaschine zu machen.

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