Staatstheater, zweiter Akt

Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Zuwanderungsgesetz. Die Auslöser des Bundesrats-Eklats, Stolpe, Koch und Schönbohm, lassen sich vertreten. Hinter den Kulissen feilschen Union und SPD längst um Verordnungen und Geld

von LUKAS WALLRAFF

Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird heute darüber verhandelt, ob das neue Zuwanderungsgesetz rechtmäßig zustande gekommen ist. Weil sechs unionsregierte Bundesländer einen „Normenkontrollantrag“ gegen das Gesetz stellten, müssen die höchsten Richter nun in einen politischen Streit eingreifen, der vor sieben Monaten im Bundesrat eskalierte.

Dort war es bei der Abstimmung am 22. März zu heftigen Tumulten gekommen, nachdem der damals amtierende Präsident Klaus Wowereit (SPD) eine Mehrheit für das Gesetz festgestellt hatte. Mehrere Ministerpräsidenten der Union, allen voran Hessens Regierungschef Roland Koch, hämmerten auf ihre Tische und protestierten laut. Ihrer Meinung nach hätte Wowereit das Votum Brandenburgs für ungültig erklären müssen, weil sich die Koalitionäre von SPD und CDU unterschiedlich geäußert hatten. „Das ist ja unglaublich!“, schrie Koch: „Das ist glatter Rechtsbruch!“

Koch lässt sich heute in Karlsruhe durch seinen Justizminister vertreten. Auch Wowereit bleibt lieber in Berlin. Besonders gespannt darf man aber auf den Auftritt des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) sein, der nach der Bundesratssitzung verriet: „Das war Theater, aber legitimes Theater.“ Müller gab zu: „Die Empörung hatten wir verabredet.“

Doch auch die beteiligten SPD-Politiker gerieten in Erklärungsnot. So hatte es zwischen dem damaligen Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und seinem Stellvertreter Jörg Schönbohm (CDU) offenkundig Absprachen gegeben, wie man die übliche Enthaltung bei Uneinigkeit umgehen könnte. Denn Brandenburgs Stimmen wurden für die Mehrheit gebraucht, die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wollte. Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) wiederum übte Druck auf Schönbohm aus, diese Mehrheit zu verhindern.

Als Wowereit Brandenburg zur Stimmabgabe aufrief, stimmte ein SPD-Minister mit „Ja“, Schönbohm mit „Nein“. Daraufhin fragte Wowereit zweimal nach. Stolpe bekräftigte die Zustimmung, Schönbohm verwies zunächst auf seine Ablehnung mit dem Satz: „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident.“ Beim zweiten Mal schwieg er.

Die Vertreter der SPD-regierten Länder werden heute wahrscheinlich die „Richtlinienkompetenz“ des Ministerpräsidenten geltend machen. Für die Union wird der Prozessbevollmächtigte Josef Isensee dagegen auf das „eigene Stimmrecht“ Schönbohms im Bundesrat verweisen. „Käme es allein auf die Entscheidung des Ministerpräsidenten an, so wäre die Gleichheit der Mitglieder aufgehoben“, schrieb Isensee in einem Rechtsgutachten. Ganz so sicher scheint sich die Union aber nicht zu sein, ob Schönbohm seine Ablehnung „rechtzeitig und deutlich angezeigt“ hat, wie Isensee meint. „Wenn er noch einmal Nein gesagt hätte, wäre das sicherlich hilfreich gewesen“, sagte CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der taz.

Die Karlsruher Richter stehen unter enormem Zeitdruck. Schließlich soll das umstrittene Gesetz schon am 1. Januar in Kraft treten. Das Gericht hat deshalb eine Entscheidung vor dem Jahreswechsel in Aussicht gestellt. „Davon können Sie ausgehen“, sagte eine Sprecherin.

Parallel zu dem Rechtsstreit geht der politische Kleinkrieg um das Zuwanderungsgesetz munter weiter. Innenminister Otto Schily (SPD) braucht erneut die Zustimmung des Bundesrats, um die notwendigen Rechtsverordnungen pünktlich zu verabschieden. Doch die Chancen stehen schlecht. Bremens CDU-Innensenator Kuno Böse forderte eine Verschiebung um ein halbes Jahr. Der Sprecher von Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) sagte der taz: Wenn Schily die Zustimmung der Union haben wolle, müsse er bei den Integrationskosten ein „deutlich besseres Angebot“ machen.