„Weine mit i-Pünktchen“

Seit Juli ist es offiziell: Weine dürfen durch Mostkonzentration mit Vakuumverdampfung und Umkehrosmose auch in Deutschland „getunt“ werden. Ein Gespräch mit Rheingauwinzer Matthias Corvers über die neue Technik im Keller

von MANFRED KRIENER

taz: Herr Corvers, seit fünf Jahren praktizieren Sie die Mostanreicherung mit Vakuumverdampfer und Umkehrosmose. Zuerst im Probebetrieb mit Sondergenehmigung, jetzt mit dem Segen des Weingesetzes. Warum haben Sie sich zu diesem umstrittenen Verfahren entschlossen?

Matthias Corvers: Ich bin von Natur aus neugierig und vielen Dingen aufgeschlossen. Deshalb habe ich die Mostkonzentration versuchsweise ausprobiert. Ich habe in den ersten zwei Jahren beide Verfahren getestet und die Ergebnisse verglichen.

In diesen Jahren waren auch ohne Konzentration gute Weine zu machen.

Ich wusste, dass die Mostkonzentration weltweit ein Thema ist, da kann sich Deutschland nicht abkoppeln. Das Verfahren ist ja zunächst nur eine Alternative zur Anreicherung der Moste mit Zucker, die bei uns und in anderen Ländern vor der Gärung überall praktiziert wird. „Chaptalisierung“ nennt das der Franzose. Dadurch wird der Alkoholgehalt des Weins erhöht, und er bekommt mehr Fülle. Wir praktizieren jetzt gewissermaßen eine Selbstanreicherung. Wir geben nichts dazu, sondern ziehen mit der Umkehrosmose Wasser aus dem Most heraus und heben den fruchteigenen Zucker an.

Die Chaptalisierung ist ein überall akzeptiertes, uraltes Verfahren, um schwächeren Weinen auf die Beine zu helfen. Warum jetzt diese neue künstliche Methode?

Die ist nicht künstlich. Es gibt genug Vergleiche, bei denen die Natur bei Früchten oder Pflanzen Wasser entzieht. Das Verfahren ist über dreißig Jahre alt. Für uns ist es ganz einfach: Wir können damit guten Weinen noch ein i-Tüpfelchen draufsetzen. Wir machen die Mostkonzentration nur bei kräftigen, volumenreichen Weinen. Das sind entweder Kabinette oder sogar leichte Spätlesen um die 85 Öchsle. Mit unreifen oder schwachen Weinen funktioniert die Konzentration nicht. Die Weine werden einfach gehaltvoller, kräftiger, dichter. Mineralstoffgehalt und Aromen werden konzentriert, beim Rotwein auch die Farbe.

Setzen Sie die Maschine bei jedem Jahrgang ein, selbst wenn er sehr gut ausfällt wie 2001, oder nur in schwachen und mittleren Jahren?

In schwächeren Jahren weniger oder gar nicht. Durch die Konzentration werden leider auch die unreifen Töne verstärkt, deshalb macht dies bei einfachen Qualitätsweinen keinen Sinn. Da würde ich die ohnehin dominierende Säure noch stärker hervorheben.

Warum lässt man die Trauben nicht einfach am Stock ausreifen? Das wäre die natürlichste aller Anreicherungen. Dann brauche ich weder Zucker noch Umkehrosmose.

Das machen wir ja in unserem Betrieb. Wir verwenden ausschließlich runde, reife Moste für die Konzentration.

Im Streit um die Mostkonzentration war ein Hauptargument der Befürworter, dass die Maschine vor allem in verregneten Jahren nützlich sein könnte, weil sie das Wasser aus den Beeren herausholt. Sie sagen jetzt das genaue Gegenteil: Ich brauche gutes, reifes Ausgangsmaterial.

Richtig. Eine Ausnahme wäre ein später Regen. Nehmen Sie an, es hängen schon herrlich reife Trauben am Stock, und plötzlich verregnet es Ihnen die Ernte. Dann kann ich dieses Wasser wieder herausziehen. Aber sonst nehme ich nur gute Moste. Aus einem VW-Käfer können Sie nie einen Mercedes machen. Aber wenn sie einen Mercedes haben, können Sie den aufpolieren zu einem tollen Fahrzeug.

Die Mostkonzentration ist ein weiterer Eingriff in die Natürlichkeit der Weine, die mehr und mehr wie „gemacht“ wirken und nicht wie „gewachsen“.

Da ich nur Wasser entnehme, ist die Konzentration weniger Beeinflussung als der Zuckerzusatz.

Wo ist bei Ihnen die Grenze? Die Amerikaner geben gern mal ein bisschen Aroma in den Wein, etwas Tanninpulver, dann wird entalkoholisiert, ein Säckchen mit Eichenholzchips in den Tank gehängt. Das geht alles in Richtung Coca-Cola-Fabrikation. Wo ist für Sie die Grenze?

Die Zugabe künstlicher Aromen finde ich unakzeptabel. Ich kann das Aroma durch Barriquefässer beeinflussen, ich kann es durch Holzchips beeinflussen, aber bitte nicht durch Vanillearoma.

Wie reagiert die Kundschaft auf die konzentrierten Weine? Kommunizieren Sie das offensiv?

Wir machen das offensiv. 1998 haben wir zum ersten Mal konzentriert. Ab dem 99er-Jahrgang haben wir das den Kunden gesagt. Die Weine sind durch eigene Namen – „Genius“, „Vitus“, „Montanus“ – klar von den anderen Weinen auf unserer Liste abgesetzt, sie sind auch im Preis deutlich teurer, weil sie aufwändiger hergestellt werden. Die Kunden akzeptieren die höheren Preise, die Weine sind schnell ausverkauft.

Sie bieten das Verfahren auch im Lohnbetrieb für andere Weingüter an.

Solch eine Anlage kostet viel Geld, die muss man auslasten.

Wie viele Betriebe im Rheingau wollen ihre Weine konzentrieren?

Eine ganze Reihe von Betrieben zeigen Interesse. Viele trauen sich noch nicht so richtig. Aber mit der jetzt in Kraft getretenen neuen Gesetzgebung wird sich das ändern. Leider verschweigen die meisten Betriebe, dass sie ihre Weine konzentrieren. Wir sind hier im Rheingau die Einzigen, die das ganz offen vertreten.

Wird sich diese Technik durchsetzen?

Sie hat sich längst durchgesetzt. In der Schweiz, in Italien, Frankreich, Österreich wird das von vielen Weingütern schon lange gemacht. Die haben sicher andere Probleme als wir mit unseren frischen, eleganten Weinen, aber sie können von der Technik profitieren.

Wird die Eleganz der Weine durch den Konzentrateur nicht in Frage gestellt? Sie bekommen doch einen ganz anderen Weintyp.

Es bleibt dasselbe Produkt, nur geschmacklich intensiviert. Viele trinken eben lieber ein Glas intensiven volumenreichen Wein als zwei Gläser leichten Wein. Diese Tendenz sehe ich ganz klar.

Vielleicht weil die dicken Weine schon nach einem Glas satt machen.

Sie machen schneller satt, das ist richtig. Aber die Leute wollen Geschmack, Aroma und Frucht intensiver spüren und erleben.

Ist die Mostkonzentration nicht auch ein Reflex auf die vielen Weinwettbewerbe, Verkostungen und Bepunktungen? Da schneiden die muskulösen und lauten Weine besser ab.

Ich lasse mich nicht von außen beeinflussen. Als wir mit der Konzentration begonnen haben, war an Zeitungsberichte und Wettbewerbe nicht zu denken. Im internationalen Weingeschäft mag es diese Beeinflussung geben. Von unseren Weinen wurde übrigens auch ein nicht konzentrierter, ganz normaler schlanker Riesling als Landessieger ausgezeichnet.

MANFRED KRIENER war elf Jahre lang taz-Redakteur und ist nun freier Journalist, er lebt in Berlin