: Ein Jahr Schwarz-Schill
Die Quittung bei der Bundestagswahl ist mehr als ein Indiz: Der versprochene Politikwechsel des Hamburger Rechts-Senats funktioniert nicht. Bürgermeister Ole von Beust, umgeben von einer stattlichen Schar Polit-Darstellern, machte strategische Fehler und offenbart Führungsschwäche
von SVEN-MICHAEL VEIT
Nach nur einem Jahr als Regierungschef der Freien und Hansestadt Hamburg steht Ole von Beust vor den Trümmern seiner Politik. Bei der Bundestagswahl vor fünf Wochen sprachen die Hamburger WählerInnen der seit dem 31. Oktober 2001 regierenden Rechts-Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP das Misstrauen aus. Die aus dem Amt gejagte SPD allein erhielt mehr Stimmen als die drei Senats-Parteien zusammen, und die GAL durfte eine Verdreifachung ihrer WählerInnen bejubeln: 58 Prozent für Rot-Grün, nur noch runde 40 für Schwarz-Schill – ein Sturz ins Bodenlose.
So gnadenlos ist in Hamburg erst ein Senat abgestraft worden: Der Bürgerblock von CDU und rechtskonservativer Deutscher Partei unter CDU-Bürgermeister Kurt Sieveking, Vorbild des jetzigen Bündnisses, wurde 1957 nach vier Chaos-Jahren davongejagt – und hatte den Grundstein gelegt für die folgenden 44 Jahre real regierender Sozialdemonarchie.
Geschichte, so will es scheinen, wiederholt sich doch.
Das hat vor allem eine Ursache: Die Symbole des versprochenen Politikwechsels kann der Senat der harten Hände und sozialen Kälte trotz Umverteilung des knappen Geldes nicht finanzieren oder mangels qualifizierten Führungspersonals nicht umsetzen. Rote und Grüne scheiterten voriges Jahr nicht zuletzt daran, dass sie eines nicht zu vermitteln vermochten: Die Angst, ohne sie würde alles noch schlechter. Schwarz-Schill hingegen gelang bisher nur eine Beweisführung: Besser wird nichts. Begründet liegt dies vornehmlich in der strukturellen Führungsschwäche des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust.
Die stattliche Schar von Amateuren, von denen der 47-jährige Machtpolitiker mit dem ewigen Sonnyboy-Image umgeben ist, kann er nicht auf Kurs halten – und manchmal will er es auch nicht. Dass er sich einen gnadenlosen Rechtspopulisten als Jung fürs Grobe hält und einen orientierungslosen Admiral als Speerspitze der Unbildung, stärkt zwar die eigene Partei in der Koalition. Zugleich aber schwächt es die Regierung in ihrer Gesamtheit und damit auch den Chef selbst.
Es rächt sich der strategische Fehler, die Symbol-Ressorts mit Polit-Darstellern zu besetzen: Innere Sicherheit, Bildung und Verkehr waren – neben dem „Wechsel“ als solchem – die drei wichtigsten Themen von CDU, Schill-Partei und FDP im Wahlkampf gewesen. Auf allen drei Feldern steht der Rechts-Senat nackt da. Innensenator Ronald Schill, dessen Partei-Vize Mario Mettbach (Bau und Verkehr) sowie der freidemokratische Bildungssenator Rudolf Lange sind Dilettanten von so hohen Graden, wie sie selbst die sozialdemokratische Filzpartei in ihrem gut vier Jahrzehnte dauernden Erstarrungsprozess hervorzubringen nicht im Stande war.
Keinen Deut ist Hamburg „sicherer“ geworden, in der Polizei regt sich beträchtlicher Widerstand gegen den eigenen Präsidenten und den Senator, die noch andauernde Debatte um das Verfassungsschutzgesetz offenbart neben polittaktischem Unvermögen zuvörderst die schier grenzenlose Fähigkeit, es sich auch mit Wohlmeinenden zu verderben. Mettbach hat noch keinen Stein auf einen anderen gebaut, muss bei den Prestige-Objekten Hafen-City und Olympia mit einem Stehplatz in der dritten Reihe vorlieb nehmen und ventiliert verkehrtpolitisch vornehmlich Ideen, die selbst der ADAC unter „Blödsinn“ abheftet. Nicht einmal die versprochene Entpollerung Hamburgs hat er auf die Reihe bekommen, weshalb Schills Staatsrat Wellinghausen ihm die Zuständigkeit dafür einfach entzog.
Und Lange ist seit langem nur noch peinlich.
Natürlich weiß Ole von Beust das selbst. Kein Zufall also, dass der Bürgermeister sich fast ausschließlich auf vier Parteifreunde stützt, die für ihn unverzichtbar sind: den höchstselbst ausgesuchten Fraktionschef Michael Freytag, seinen getreuen Staatsrat Volkmar Schön und zwei altgediente Polit-Routiniers im Kabinett. Wirtschaftssenator Gunnar Uldall muss für Vorzeigbares wie Airbus sorgen, indem er sozialdemokratische Standortpolitik schwärzlich einfärbt, und ohne Finanzsenator Wolfgang Peiner läuft überhaupt nichts. Anderen Ressortchefs pflegt der staubtrockene Kassenwart bis in die Details hineinzuregieren – in Absprache mit dem Ersten Bürgermeister und gespeist aus dem gemeinsamen Misstrauen in deren Fähigkeiten, in den eigenen Behörden Sparvorgaben durchzusetzen.
Desaster wie Jesteburg jedoch hat das keineswegs verhindert, eher befördert.
Allerdings hat dem Senat eine schwache Opposition außer berechtigter Kritik kaum eine Alternative entgegenzusetzen. Trotz der zahllosen offenen Flanken und zahlreichen Skandale, die Schwarz-Schill sich leistet, haben SPD und GAL ihr Profil kaum schärfen können. Durch den Abgang von GALionsfigur Krista Sager in den Bundestag und den neuen Hauptberuf von SPD-Parteichef Olaf Scholz als Adjutant des Kanzlers wird es für beide Parteien nicht leichter werden, ihre neuen Rollen überzeugend auszufüllen. Dass sie sich weiterhin an der Klatsche für die Rechtsregierung bei der Bundestagswahl ergötzen, mag menschlich verständlich sein; politisch, programmatisch und personell gleichwohl fehlt der überzeugende Gegenentwurf.
Die Zeit des Aufräumens nach der nächsten Bürgerschaftswahl in spätestens drei Jahren wird kommen. Zu wissen, was aus den Ruinen auferstehen soll, wäre entzückend.
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