: Der Verwandelte
von JUTTA HEESS
Jörg Börjesson zieht drei Fotos aus seiner Tasche und legt sie auf den Tisch. Auf dem ersten ist ein gut gelaunter Jugendlicher zu sehen, in kurzen Turnhosen und mit kräftigen Oberarmen. Stolz spannt er seinen Bizeps an. Zwei Jahre später wirkt derselbe junge Mann schon viel massiger, die Arme und Beine sind zu fetten Muskelpaketen geworden. Und nach drei weiteren Jahren gleicht er einem aufgepumpten Autoreifen – der Brustkorb sieht aus, als könnte er jeden Moment platzen. Dreimal Jörg Börjesson, am Schluss mit solariumgebräunter Haut und blond gefärbter Föhnfrisur. Der typische Bodybuilder eben. Nur wer genau hinschaut, kann die dunklen Schatten unter den stechenden Augen erkennen. Damals, 1990.
Heute sieht der 36-Jährige anders aus: Er hat zwar eine athletische Figur und breite Schultern, aber die Muskelberge sind verschwunden. Er ist blass, auch die Haare haben wieder ihre natürliche, dunkelbraune Farbe. Über das Foto vom Endstadium seiner sportlichen Karriere sagt er: „Voll panzermäßig, man erkennt mich heute nur noch an meinem Tattoo auf dem Unterarm.“ Und an diesen Augen. Sie sind kristallblau und durchdringend und geben Jörg Börjesson einen entschlossenen Blick. Lächeln wird er kaum an diesem Nachmittag in der Ruhrgebietstadt Dorsten, sondern konzentriert seine Geschichte erzählen, an deren Anfang es so gut lief und an deren Ende kleine weiße Pillen sein Leben verändert hatten.
Er bestellt ein Wasser und trinkt in kleinen Schlucken. „Chronische Gastritis, die Substanzen haben meinen Magen ruiniert.“ Es klingt nüchtern, wie er das sagt, kein bisschen weinerlich. Kurz darauf, seine Augen blitzen zornig, ballt er die rechte Faust und erklärt: „Ich muss etwas tun, es dürfen nicht noch mehr Menschen in diese Falle tappen.“ Die Falle, die Jörg Börjesson meint, schnappte in seinem Leben vor 18 Jahren zu. Damals entdeckte er Bodybuilding. Er war glücklich, endlich eine Sportart gefunden zu haben, die er betreiben konnte, denn er litt seit seiner Kindheit an Asthma. Fußball, Schwimmen, Judo – alles hatte er ausprobiert, aber die Krankheit ließ diese körperlichen Anstrengungen nicht zu. Gewichte stemmen im neu eröffneten Fitnessstudio in Dorsten-Wulfen konnte er jedoch. Ziemlich schnell merkte der schmächtige 18-Jährige, dass er athletischer wurde. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Freude am eigenen Körper.
Wut über seine Naivität
Ein Jahr später, im Sommer 1985, kam ein in der damaligen Bodybuilderszene bekannter Wettkampfathlet ins Dorstener Studio. Er referierte über Training, Posing und Ernährung – und zog dabei kleine weiße Pillen aus seiner Sporttasche. „Nimm das mal“, sagte er auch zu Jörg Börjesson. „Damit kannst du noch besser Muskeln aufbauen.“ Börjesson war skeptisch und fragte nach, ob das womöglich Doping sei. Doch mit den Worten „das Zeug ist sauber“ ließ er sich beruhigen. „Niemals hätte ich körperliche Schäden für ein paar Muskeln in Kauf genommen“, sagt er heute.
Jetzt sieht er nachdenklich aus, mit einer tiefen Falte zwischen den Augenbrauen. Man spürt seine Verzweiflung darüber, dass er belogen wurde. Und seine Wut über sich selbst, den ehrgeizigen, naiven Sportler.
Er kaufte regelmäßig seine Starkmacher bei dem Athleten. Bis zu 500 Mark bezahlte Jörg Börjesson für eine Ration, die etwa sechs Wochen hielt. War das Geld knapp, musste er eben eine zeitlang auf seine Eiweiße, Aminosäuren und Vitamine verzichten. Dachte er zumindest. Mittlerweile weiß er, dass er anabole Steroide zu sich genommen hat, die seinen Körper auch heute noch verrückt spielen lassen. Damals aber verliehen sie ihm Kraft und Muskeln. Im Bankdrücken stemmte er 170 Kilo, Kniebeugen machte er mit über 200 Kilo Gewichtszulage. Auf Bodybuildingwettkämpfen errang er vordere Plätze. „Es war ein Leistungsrausch, ich war besessen.“
Fünf Jahre lang schwebte Jörg Börjesson im Kraftfieber. Bei einer Körpergröße von 1,80 Meter wog er bis zu 110 Kilo. Für Wettkämpfe hat er regelmäßig rund 15 Kilo abgenommen – damit die Muskeln ausdefiniert waren. Und immer hat er zusätzlich die männlichen Hormone geschluckt. So lange, bis sein Körper rebellierte. Als er eines Tages an der Beinpresse trainierte, tropfte Blut aus seiner Nase, in den folgenden Monaten hatte er regelmäßig Nasenbluten.
Ende 1989 erzählte er seinem Vorbild von den Beschwerden. Der, sagt Börjesson, habe ihm vorgeworfen, falsche Mengen eingenommen zu haben, und gewarnt: „Rede mit niemandem darüber und sage nicht, dass das Zeug von mir ist.“ Börjesson konnte nach einiger Zeit wegen starker Magen- und Gelenkschmerzen nicht mehr trainieren, außerdem tat ihm die Brust weh.
Irgendwann ging er schließlich zum Arzt. Die Diagnose: kaputte Magenschleimhaut, lädierte Gelenke, Bandscheibenvorfall und eine abnormale Vergrößerung der Brust. Den Kontakt zu dem Pillenverkäufer brach er ab, auch später hat er ihn nie zur Rede gestellt. Er sagt, er wollte einfach nichts mehr mit diesem Menschen zu tun haben.
Jörg Börjesson beschreibt nur knapp, wie es sich als Mann anfühlt, große Brüste zu haben. „Es ist schrecklich, sehr schmerzhaft.“ Einmal habe ihn sein kleiner Sohn gefragt: „Papa, bist du ein Mann oder eine Frau?“ Kurz darauf beschloss er, sich operieren zu lassen. Im Februar entfernten ihm die Chirurgen im Elisabeth-Krankenhaus in Recklinghausen 400 Gramm Brustgewebe. „Ich bin froh, dass diese Operation gemacht wurde, jetzt kann ich wenigstens wieder T-Shirts tragen.“ Er muss jedoch in Zukunft regelmäßig wegen Brustkrebsgefahr zur Vorsorgeuntersuchung.
Sein Schicksal setzt er nun zur Aufklärung ein. Seit knapp vier Jahren hält er Vorträge an Schulen, in Jugendzentren und Fitnessstudios und warnt junge Sportler vor dubiosen Substanzen. „Die wenigsten wissen, was sie ihrem Körper antun, wenn sie Hormone nehmen“, sagt er.
Börjesson schlägt die Bodybuildingzeitschrift Flex auf. An jedem gut sortierten Kiosk ist sie zu haben. Und auf fast jeder zweiten Seite, zwischen Bildern von posierenden Muskelprotzen, werden „Nahrungsergänzungsmittel“ angepriesen: „Test-100 - das ultrastarke Pro-Steroid“, „Power Prohormone“, „Tribolan – der originale Testosteronbooster bulgarischer Gewichtheber“. Alles über das Internet zu bestellen. Dabei verstößt der Verkauf dieser Mittel gegen das deutsche Arzneimittelgesetz. Einige der überwiegend ausländischen Anbieter fügen deshalb kleingedruckt an: „Manche Produkte, die in dieser Anzeige beschrieben werden, sind in manchen Ländern verboten.“ Oder: „Bei der Einfuhr von Export-Artikeln in Deutschland liegt die Verantwortung bzw. Haftung beim Besteller.“ Jörg Börjesson ballt die Faust.
Die reinsten Mutanten
Im Frühjahr war er auf der Fitness-und-Bodybuilding-Messe in Essen, um Kontakte für seine Aufklärungsarbeit zu knüpfen. Er stieß auf die gleichen Mittel, die er in den Zeitschriften entdeckt hatte. „Genau diese Substanzen wurden an einem Stand dem nichts ahnenden Publikum angepriesen“, erzählt er. „Die Dosen im Regal waren allerdings leer. Als ich eine Liste mit Nebenwirkungen am Stand auslegte, wurde ich sofort weggejagt.“
Von Betroffenen, die sich nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, hat er für seine Arbeit viel Zuspruch bekommen. Er wünscht sich eine ordentliche Trainerausbildung und Aufklärung in Fitnessstudios. „Das Dopingproblem im Freizeitsport ist ein viel größeres als im Leistungssport. Und bei Bodybuildingmeisterschaften gibt es immer noch keine Dopingkontrollen. Da treten die reinsten Mutanten auf.“ Sein Einsatz, so sagt er, sei seine Art der Verarbeitung der Vergangenheit. „So besessen wie ich damals im Sport war, so besessen bin ich jetzt von dem Willen, etwas zu ändern.“ Und wieder hat er diesen eindringlichen Blick.
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