: Bemerkenswerte Synchronisationsleistung
Nun spielen sie wieder: Kurz vor ihrer flutbedingten Wiedereröffnung weicht die Dresdner Semperoper in die gläserne VW-Manufaktur aus
„Wie schön ist es, einen Phaeton zu kreißen / und gleichzeitig Opern herunterzureißen!“, ließe sich frei nach Georg Kreislers „Opernboogie“ pointieren. Während in Reinsträumen die sanften Hände von Weißkitteln die Apotheose des Automobils zusammenstreicheln, erinnern nebenan Prosper Mérimée und Georges Bizet daran, dass es zumindest zu ihren Zeiten noch andere Leidenschaften als die für Luxuskarossen gab. Die Grenzen der Analogie werden indessen schnell sichtbar: Das immer aufwändigere Auto verspricht Freiheit, Carmen lebt sie konsequent bis zum Äußersten. Liebe jenseits der Normen ist im besten Sinne zeitlos; Benzinschlucker im Preis von drei durchschnittlichen Jahresgehältern scheinbar auch, auch wenn man sie als ökologischen Anachronismus empfindet.
Das Hochwasser hat der gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden unverhofft eine Aufwertung beschert, um die sich der Konzern von Anfang an bemüht hatte. Gerade wegen der Akzeptanzprobleme des Automobilwerkes mitten in der Innenstadt wollte man so etwas wie die Semperoper des Fahrzeugbaus werden. Nicht nur die Kunststadtkulisse benutzen, sondern selbst zum Tempel aufsteigen. Die quasireligiöse Einweihungszeremonie im Dezember des Vorjahres wies darauf hin. Mit dem bemühten „Philosophischen Quartett“ des ZDF startete der nächste Versuch, die Haben-Ideologie durch Sein-Gespräche zu sublimieren. Nun also große Oper in der großen Vorhalle.
Gewiss, die Semperoper stand ebenso wie das Dresdner Staatsschauspiel unter Druck, möglichst schnell wieder zu öffnen. „Spielen, spielen, nochmals spielen!“, mahnte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt und dachte an 300.000 Euro wöchentliche Verluste von Eintrittsgeldern. Da wollte man jetzt also die zwei Wochen bis zur provisorischen Wiedereröffnung des flutgeschädigten Stammhauses mit der „Carmen“ nicht mehr warten und wich PR-wirksam in die VW-Fabrik aus. Übrigens hängt Konkurrent DaimlerChrysler als Hauptsponsor der Oper kurioserweise auch mit drin. Damit soll das dankenswerte Inszenierungsangebot von Harry Kupfer nicht geschmälert werden.
In nur fünf Probenwochen studierte er seine Berliner Hopp-hopp-Version der „Carmen“ von 1991 ein. Ihre Dresdner VW-Adaption hat Reize, die zugleich die Fragwürdigkeiten begründen. Richtig authentisch wird es, wenn Kupfer den Glaskasten als das nimmt, was er ist und was die Kulisse des ersten Aktes auch verlangt: eine Fabrik. Werktätige in Kitteln bevölkern Treppen und Flure, dazwischen irgendwelche VIPs, Pfaffen, Bodyguards und Wehrpflichtige. Der Meister der Massenszenen konnte sich lustvoll austoben. Wenn allerdings Akteure mit dem Luxus-Phaeton oder einem uralten VW-Kleinbus angefahren kommen und Montageteile über die Bühne getragen werden, kratzt sich der Kritiker eher am Kopf.
Jenseits aller Kritik stehen die Sänger mit Ulrike Helzel an der Spitze und vor allem Dirigent Massimo Zanetti. Bei schwierigsten räumlichen und akustischen Bedingungen vollbrachten sie dank ausgefeilter Monitortechnik auch eine bemerkenswerte Synchronisationsleistung mit der Staatskapelle. Das Ende lässt sich überinterpretieren: Tod vor glutroter Weltkugel, sonst kommt VWs „Visionskugel“.
MICHAEL BARTSCH
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