friedensdemos
: Protest ohne Adressaten

Das Interesse an der Politik der Vereinigten Staaten war hierzulande schon mal größer. Hunderttausende gingen in Deutschland auf die Straße, als die Amerikaner in Vietnam Krieg führten oder in der Bundesrepublik neue Mittelstreckenraketen aufstellten. Gegen einen drohenden Irakkrieg jedoch protestierten am Wochenende nur 10.000 Demonstranten – und das auch noch verteilt auf 90 Städte.

Kommentarvon RALPH BOLLMANN

Mit mangelndem Pazifismus in Europa ist dieser Fehlschlag nicht zu erklären. Man muss auf unserem Kontinent schon lange suchen, um jemanden zu finden, der die Kriegspolitik des US-Präsidenten George W. Bush vorbehaltlos befürwortet. Und die europäischen Regierungen mühen sich nach Kräften, einen Waffengang zu verhindern – wenn auch auf unterschiedlichen Wegen.

Gegen wen also sollte sich die moralische Empörung, die bei Demonstrationen üblicherweise zum Ausdruck kommt, überhaupt richten? Gerhard Schröder und Joschka Fischer sind gerade erst mit dem Wählerauftrag angetreten, sich einem möglichen Irakkrieg zu verweigern. Aus freien Stücken gehen die Bürger aber nur dann auf die Straße, wenn sie sich von der eigenen Regierung in einem wichtigen Anliegen nicht vertreten fühlen.

Deshalb war es einst kein Ausdruck moralischen Versagens, dass sich all die Vietnam- und Pershing-Demonstranten beim sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nicht rührten. Von den Diktatoren im Kreml hatte man eben nichts anderes erwartet. Die Kriegsgräuel in Vietnam wurden dagegen als Versagen des eigenen, des westlichen Lagers begriffen. Einem ähnlichen Muster folgt der deutsche Blick auf den Nahostkonflikt. Israelische Politiker werden hierzulande sehr viel harscher kritisiert als arabische Potentaten – gerade weil das demokratische Israel als Teil des eigenen Verantwortungsbereichs begriffen wird.

Demonstrationen gegen Mächte, die als fremd empfunden werden, gibt es normalerweise nur in Diktaturen – als Akt der inszenierten Empörung, die das eigene Regime stabilisieren soll. So zogen 1999 hunderttausend Menschen vor die Pekinger US-Botschaft, nachdem die Nato versehentlich die chinesische Vertretung in Belgrad bombardiert hatte. Demokratischen Ländern sind solche Kundgebungen fremd. Nichts unterstreicht die politische Entfremdung zwischen Amerikanern und Europäern deshalb mehr als der Umstand, dass die Deutschen nicht mal mehr gegen die US-Politik auf die Straße gehen.

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