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„Jetzt kuschen die Päpste“

Die Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirft Rot-Grün vor, zu sanft mit Russlands Präsident Putin und seiner Tschetschenienpolitik umzugehen

taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Außenminister Fischer ist gerade dabei, das Verhältnis mit den USA zu reparieren. Soll er sich anschließend mit Russland anlegen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Fischer muss aber auch gegenüber Präsident Putin das Thema Menschenrechte überhaupt ansprechen und thematisieren. Deshalb muss man sich ja nicht gleich mit Russland überwerfen. Hier ist eine geschickte Diplomatie gefragt.

Sie haben die Regierung in dieser Woche aufgefordert, „mit Präsident Putin Tacheles zu reden“. Besonders diplomatisch klingt das nicht …

Was mich einfach aufregt, sind die unnötigen Zugeständnisse an Putin. Weder von der Bundesregierung noch von den Grünen habe ich Kritik gehört, nachdem jetzt auf Druck der russischen Regierung das Treffen der EU von Kopenhagen nach Brüssel verlegt wurde. Dieses Zurückweichen finde ich unerträglich. Trotz der Gewalt, die es natürlich auch von Seiten der Tschetschenen gibt, darf man Putin keinen Freibrief ausstellen für weitere Menschenrechtsverletzungen.

Schröder und Fischer haben doch gerade deutlich eine politische Lösung des Konflikts gefordert. Ist das ein Freibrief?

Also, es ist ja richtig, wenn sie das hier im Bundestag sagen, dass sie eine politische Lösung wollen. Aber das bewirkt null, gar nichts. Die Bundesregierung muss Russland klar machen, dass sie Menschenrechtsverletzungen nicht duldet. Stattdessen hat sie seit dem 11. September den Eindruck erweckt, als ob Russland eine Art Menschenrechtsrabatt gewährt wird. Das muss sie ändern.

Mit öffentlichen Zurechtweisungen? Lehrt nicht gerade die Erfahrung mit Bush, dass autoritäre Präsidenten dann erst recht auf stur schalten?

Bei jeder Gelegenheit nachgeben kann es aber auch nicht sein. Das muss doch bei Putin den Eindruck verstärken, dass das Thema hier keinen Stellenwert hat.

Wollen Sie Putin mit Konsequenzen drohen?

Wirtschaftliche Sanktionen sollte man, wenn überhaupt, nur als Letztes im Hinterkopf behalten. Aber man könnte eine EU-Konferenz zur Menschenrechtssituation nach dem 11. September organisieren, mit Beteiligung gemäßigter Gruppen aus Tschetschenien. Es geht darum, Zeichen zu setzen, dass das Thema hier einen hohen Stellenwert hat – das ist es ja gerade, was Putin unbedingt verhindern will. Doch wenn es darauf ankommt, kuschen die selbst ernannten rot-grünen Menschenrechtspäpste.

Tragen Sie jetzt nicht ein bisschen dick auf? Ihr Parteifreund Klaus Kinkel ist als Außenminister auch nicht gerade als Russlandkritiker in Erscheinung getreten. 1995 sagte er, die Einflussmöglichkeiten seien begrenzt, der Tschetschenienkonflikt eine „innerrussische Angelegenheit“ …

Dass da auch nicht immer die Menschenrechte den Stellenwert hatten, wie ich das jetzt formuliere, gebe ich gerne zu. Man kann aber nicht sagen: Weil damals vielleicht zu wenig gemacht wurde, macht man jetzt auch nichts. Natürlich kann ich nicht garantieren, was eine andere Regierung tun würde. Wir haben jetzt vier Jahre Rot-Grün und in diesen vier Jahren kann man nicht zusehen, was unter anderem in Tschetschenien passiert. Da sehe ich die Opposition auch in einer Kontrollfunktion.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF

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