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„Auch Friedman wird das nicht ändern“

Wie Jürgen W. Möllemann unwidersprochen antiisraelische Propaganda betrieb – auch nach Westerwelles so genanntem Machtwort

KÖLN taz ■ Der Star des Abends wurde von den rund 150 Besuchern im Neusser Swissôtel frenetisch gefeiert. Unter großem Applaus begrüßten die Veranstalter den „ganz besonderen Gast, Sportler, mutigen Kämpfer, Verteidiger der Demokratie und Politiker mit Visionen“. Und Jürgen W. Möllemann entsprach ihren Erwartungen. Nachdem er zunächst seinen wegen antisemitischer Ausfälle umstrittenen Landtagskollegen und Freund Jamal Karsli im Publikum herzlich begrüßt hatte, kam der damalige Chef der nordrhein-westfälischen FDP umgehend zu seinem Lieblingsthema: dem Nahost-Konflikt.

Wie gewohnt attackierte Möllemann Israel und setzte sich für die palästinensische Sache ein. Dann, beinahe beiläufig, plauderte er über eine Aktion, die er für die Woche vor der Bundestagswahl geplant hätte: Ein Flugblatt zu der Sache wolle er in einer Auflage von über 8 Millionen herausbringen. Scharon und Friedman würden darin auch auftauchen. Er werde dafür zwar wohl wieder Prügel kriegen, das sei er jedoch gewöhnt, teilte Möllemann dem hocherfreuten Auditorium mit.

Das wird wieder Prügel geben

Organisator jener denkwürdigen Veranstaltung am 6. September – zehn Tage vor der Verteilung des berüchtigten Flyers – war eine deutsch-arabische Wählervereinigung. Das Publikum war in seiner überwiegenden Mehrheit arabischer Herkunft. Viele seien „aus dem medizinischen Sektor“ gekommen, erinnert sich Johannes Kinna. „Ich hatte den Eindruck, dass das alles sehr betuchte Leute waren“, erzählte der 56-Jährige der taz. Der stellvertretende Ortsvorsitzende der FDP in Dormagen war einer der wenigen an diesem Abend, die nicht aus diesem Kreis stammten. Er war mit Freunden ins Swissôtel gekommen, um „den Möllemann zu sehen“. An die Ankündigung des Flyers kann sich Kommunalpolitiker Kenna, seit zwei Jahren Parteimitglied, ganz genau erinnern: „Der hat uns auch erzählt, dass das Faltblatt drei Fotos enthalten wird.“ Die Brisanz der Mitteilung habe er damals jedoch nicht erkannt. „Bei mir hat da nichts geklingelt“, räumt Kenna ein, der auch bis heute „nichts Aufregendes“ an dem Flyer entdecken kann.

Etwas länger schon dabei ist Achim Rohde. In der FDP seit 1961, führte der inzwischen 66-Jährige von 1985 bis 1995 die FDP-Landtagsfraktion. Auch Rohde, heute FDP-Ratsherr in Neuss, war im Swissôtel. Die Flyer-Ankündigung habe er „schon als eine wichtige Information für mich angesehen“, sagte er der taz. Nein, er habe niemanden vor der Aktion davor gewarnt. Im Gegenteil: Den „Folder“, von dem Möllemann gesprochen habe, hielt Rohde „für mehr als notwendig“. Der frühere Redenschreiber Walter Scheels kann die Aufregung darüber nicht verstehen, spricht von einer „Hetzjagd“ und hofft auf eine Zukunft für Möllemann in der FDP.

Kenna und Rohde waren an diesem Abend nicht die einzigen anwesenden FDPler. Denn natürlich wollte auch die Spitze der Neusser FDP, angeführt von der Vorsitzenden Heide Broll, ihren Landeschef nicht verpassen. Ebenfalls dabei war die Führung der Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker in NRW (VLK): der Vorsitzende Wilfried Kruse und sein Geschäftsführer Tim Köhn.

Der macht das nicht tatsächlich

Köhns Arbeitsplatz befindet sich im selben Haus wie die Büros des FDP-Landesverbandes. Mit ihm im VLK-Vorstand: Ulrike Flach, bisherige Stellvertreterin Möllemanns, sowie der neue Landtagsfraktionsvorsitzende Ingo Wolf. Doch die Spitzen der Landespartei wollen von Möllemanns „Alleingang“ erst am 11. September erfahren haben – als es schon zu spät war. An diesem Tag habe Möllemann mit ihnen gesprochen, beteuern Flach und auch FDP-Landesschatzmeister Andreas Reichel. Auch aufgrund des Gesprächs, so behauptet Reichel bis heute, hätte er noch „nicht zwingend davon ausgehen“ können, „dass er es tatsächlich macht“. Das Faltblatt war da allerdings bereits gedruckt. Nur ein einziger – bis Redaktionsschluss noch unbekannter – Liberaler reagierte und warnte Guido Westerwelle nach dem 6. September mit eben jenem Brief vor der Aktion, den Westerwelles Untergebene nicht weitergegeben haben sollen. Auch noch nachdem der FDP-Chef Anfang Juni mit seinem „Machtwort“ die Antisemitismusdebatte für beendet erklärt hatte, durfte für Möllemann „sein“ Thema auf kaum einer seiner unzähligen Wahlkampfveranstaltungen fehlen – nicht selten in Anwesenheit des Vorsitzenden und anderer Spitzenliberaler.

Doch nicht einmal der Möllemann-Intimfeind Walter Döring störte sich daran. Nein, der FDP-Bundesvize und baden-württembergische Landeschef intervenierte nicht, als der Schnauzbärtige bei einem gemeinsamen Auftritt in Friedrichshafen am Bodensee Mitte August mal wieder Scharon attackierte und versprach, dies auch weiterhin zu tun. „Und auch Michel Friedman wird das nicht ändern können“, tönte Möllemann. Das sei die Passage in seiner Rede mit dem lautesten Beifall gewesen, berichtet ein Augenzeuge. Döring schwieg dazu – es war ja schließlich Wahlkampf.

PASCAL BEUCKER

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