: Klappe zu, Guido ernst
Der Handlungsspielraum des FDP-Vorsitzenden Westerwelle schrumpft täglich, nicht aber die Zahl seiner Feinde
aus Berlin BETTINA GAUS
Wer unter Druck gerät, wünscht sich nichts sehnlicher als einen Befreiungsschlag. Wie kann der aussehen, wenn sich die Hiobsbotschaften häufen? Meistens verhalten sich Leute auch in der Stunde der Not nicht anders als in glücklicheren Augenblicken – der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle bildet da keine Ausnahme. Er soll gestern noch lange darüber nachgedacht haben, ob sich seine angeschlagene Autorität nicht am ehesten mit einer Vertrauensfrage wiederherstellen ließe, gestellt auf der Klausursitzung von Fraktion und Vorstand. Diese Überlegung zeigt ein weiteres Mal, dass Westerwelle den Skandal um das antisemitisch gefärbte Faltblatt seines Parteifreundes Jürgen Möllemann vor allem für ein Problem der Parteihierarchie und nicht etwa für eine eminent politische Frage hält.
Am Ende hat sich Westerwelle gegen den dramatischen Schritt eines Votums der höchsten Gremien entschieden. Dem Vernehmen nach nicht in erster Linie deshalb, weil er hinsichtlich des möglichen Ausgangs besorgt gewesen wäre. Er soll vielmehr darüber beunruhigt gewesen sein, dass die Öffentlichkeit in der Vertrauensfrage ein „letztes Mittel“ sehen könnte – während ihm in seiner eigenen Wahrnehmung durchaus noch weitere Möglichkeiten für die Krisenbewältigung zur Verfügung standen. Zum Beispiel die schon länger angekündigte Vorlage eines neuen, programmatischen Papiers, das Westerwelle selbst entworfen hat.
Auf den ersten Blick ist das ein netter Einfall, der allerdings auf den zweiten Blick nicht so recht zu überzeugen vermag. Der Wahlkampf liegt gerade ein paar Wochen zurück. Warum jetzt? Warum nicht früher? Und wenn jetzt: warum diese Erklärung nicht sofort an die Öffentlichkeit adressieren? Warum muss sie erst hinter verschlossenen Türen den Gremien präsentiert werden?
Vielleicht deshalb, weil Westerwelle gerade diesen Gremien, auf deren Unterstützung er jetzt angewiesen ist, vor seiner Entzauberung als Hoffnungsträger niemals so recht getraut hat. Auf bewährte Kräfte mochte er bislang stets weit weniger setzen als auf neue, prominente Namen. „Es hat viel Bitterkeit ausgelöst, dass er immer von der ‚neuen FDP‘ geredet hat“, sagt ein langjähriges Parteimitglied. „Schauen Sie sich seine Berater an! Zum Beispiel Frau Mathiopoulos.“ Nach der medienwirksamen Präsentation habe man nie wieder von ihr gehört. „Wieso auch? Sie kennt doch die Partei überhaupt nicht. Was hatte die in der FDP zu suchen?“
Die Wissenschaftlerin, die einst fast Pressesprecherin von Willy Brandt geworden wäre, wurde im Juli von Westerwelle mit dem Hinweis angepriesen, sie und zwei weitere Berater seien „noch in den Vierzigern“. Derlei Jugendwahn mag für einen Sieger reichen. Für einen Verlierer nicht.
Wer davon ausgeht, dass Extremismus der Mitte der Gesellschaft entspringt, mag es für verständlich halten, dass die politische Taktik von Westerwelle bisher irgendwo zwischen Neoliberalen und Antisemiten waberte. Eine solche Strategie ist nur in Zeiten des Erfolges populär. Der FDP-Vorsitzende hat sich in den eigenen Reihen viele Feinde gemacht – die gefährlich werden können, auch wenn sie (noch) nicht öffentlich gegen ihn aufzustehen wünschen.
Fast stündlich wächst die Zahl derjenigen, die im Vorfeld über den Flyer informiert gewesen sind. Allein Guido Westerwelle will nichts davon gewusst haben. Entsprechende Briefe seien ihm nicht vorgelegt worden, entsprechende Telefonate sollen ihn nicht erreicht haben. Schatzmeister Günter Rexrodt nannte diese Vorgänge zunächst einen „massiven Bürofehler, der nicht passieren darf“. Dafür sei auch der Chef verantwortlich. Einige Stunden später hörte sich das schon ein wenig anders an: Westerwelle sei „in diese Dinge persönlich nicht verwickelt“. In welche Dinge? In die Führung der Parteizentrale?
Kein FDP-Spitzenpolitiker möchte sich gegenwärtig mit Kritik am Vorsitzenden weit vorwagen. Deshalb hat auch niemals ein Zweifel daran bestanden, dass eine Vertrauensfrage für Westerwelle eindeutig positiv beantwortet worden wäre. Wer hätte denn an seiner Stelle den Parteivorsitz übernehmen können? Etwa der bisherige Vize Walter Döring? Der hat gerade im liberalen Stammländle Baden-Württemberg ein beeindruckend schlechtes Ergebnis eingefahren. Oder sollte der Vorgänger zum Nachfolger werden? Der integre Wolfgang Gerhardt konnte sich zwar im Lauf der letzten Wochen auf eine Weise profilieren, die ihm früher kaum jemand zugetraut hatte – so richtig zukunftsweisend aber wäre eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit nicht.
Wie groß die Verzweiflung in den Reihen der Liberalen sein muss, wird auch daran deutlich, dass sogar Schatzmeister Günter Rexrodt als möglicher Herausforderer von Westerwelle genannt worden ist. Ach ja, und natürlich gibt es noch eine Generalsekretärin. Sie heißt Cornelia Pieper, und ihr Name wird derzeit von überhaupt niemandem erwähnt. Was ja vielleicht zeigt, dass die spaßigen Zeiten für die FDP endgültig vorbei sind. Wer will, mag darin ein Signal der Hoffnung erblicken.
Der Handlungsspielraum von Guido Westerwelle schrumpft täglich – aber es gibt in der FDP derzeit wohl nur einen Mann, den das wirklich von ganzem Herzen freut: Jürgen Möllemann. „Wenn er wirklich eine neue Partei gründen will, dann hat er nur Aussicht auf Erfolg, wenn er die FDP vorher zerlegt“, sagt ein Insider. Verfolgte er tatsächlich diese Strategie, dann wäre er bislang damit ziemlich erfolgreich. Und kaum jemand zweifelt daran, dass Möllemann sich für den Bedarfsfall weitere vergiftete Pfeile in den Köcher gesteckt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen