: Die Wahl im Zementgarten
aus Newark MICHAEL STRECK
Gregory Haines zittert vor Kälte. Der Himmel ist grau, das Wetter ungemütlich, und irgendwie hat er sich das alles anders vorgestellt an diesem Sonntag. Er kam im T-Shirt, mit Flugblättern, er hoffte auf Sonne, einen mit Studenten gefüllten Campus und zugkräftige Politprominenz. Er wollte etwas dagegen tun, dass New Jersey dieses Mal in die Hände der Republikaner fällt, am kommenden Dienstag bei den Wahlen zum Kongress. Denn die Community der „LGBTI“ – die Abkürzung steht für lesbian, gay, bisexual und transgender – tritt für die Demokraten ein und also auch der 21 Jahre alte Gregory Haines, der Mitglied der Gemeinschaft ist.
Aber kaum jemand ist gekommen zur Veranstaltung in der renommierten Rutgers-Universität von Newark, New Jersey. Kaum jemand, dem Haines seine Flugblätter in die Hand drücken kann, niemand, der diskutieren will. So sitzt er auf einer Bank, und seine Gesprächigkeit hat Grenzen. Hinter seinem Rücken bastelt ein Mann, der im schwarzgoldenen Gewand aussieht wie ein afrikanischer König, eifrig am Rednerpult herum, als könne er damit die Situation retten.
US-Universitäten genießen den Ruf, dass hier politisches Engagement zu Hause ist und kritische Studenten die Politik des Präsidenten analysieren. Aber das ist vielleicht in Berkley, California, so – auf den Campus von Newark, New Jersey, trifft die Beschreibung nicht zu. Fragt man Studenten am Sonntag bei Gregory Haines Veranstaltung, aber auch an anderen Tagen nach Politik, nach den Wahlen zum Kongress, reagieren sie desinteressiert.
Haines Kollegen stecken noch ein paar blauweiße Wimpel und Wahlschilder in den Rasen, „Frank Lautenberg for Senate“ steht drauf. Das ist der Kandidat, der eigentlich hier sprechen sollte. Er hat abgesagt. Wegen der Beerdigung eines Senatorenkollegen, so verkündet es der bunte König.
Auf Frank Lautenberg ruhen die politischen Hoffnungen der Demokraten im Bundesstaat New Jersey und den USA (siehe Kasten). Noch ist die Wahl nicht gewonnen, aber Lautenberg hat immerhin einen der dramatischsten Stimmungswechsel in der Geschichte der amerikanischen Wahlen hinbekommen und steuert auf einen Sieg zu, der den Demokraten im Senat die knappe Mehrheit von einem Sitz sichern könnte.
Mit wem man in Newark und Umgebung auch spricht, immer schneidet Kandidat Lautenberg besser ab als sein Herausforderer, der glatte Geschäftsmann Douglas Forrester. Dabei schien es noch bis vor vier Wochen, dass die Bürger von New Jersey erstmals seit über 30 Jahren wieder einen republikanischen Senator wählen würden. Amtsinhaber Robert Torricelli verprellte mit Finanzaffären auch viele Demokraten und musste schließlich abtreten. Der Ersatzkandidat erwies sich als vielleicht rettende Besetzung. Der 78-jährige, weißhaarige Politrentner Lautenberg mit dem Habitus eines gutmütigen und weisen Großvaters scheint die verloren geglaubte Wahl herumzureißen. Der tolerante Charme des Mannes, der schon 18 Jahre im Senat saß, bezirzt sogar Republikaner und beschert ihm in Umfragen zwölf Prozentpunkte Vorsprung.
Die misslungene Veranstaltung muss Gregory Haines also nicht so beunruhigen. Vielleicht wäre die Aktion an einem Werktag strategisch günstiger gewesen, überlegt er. Die meisten Studenten sind Pendler, kaum jemand wohne auf dem Campus, geschweige denn in der Stadt selbst. Die Universität sei wie ein Satellit inmitten von Newark, ohne Verbindungsbrücken zur Stadt, obwohl sie sich nur wenige Straßen vom Zentrum entfernt befindet. Gregory Haines studiert Kriminologie, er wünscht sich eine wiederbelebte Innenstadt ohne Drogen und Kriminalität. Deshalb befürwortet er eine schärfere Schusswaffenkontrolle. Einen Häuserblock hinter dem Campus beginne eine andere Welt, sagt er: „Newark ist eine unheimliche Stadt.“
Ganze Straßenzüge von „Downtown“ sind verwaist. Allenfalls Ramschläden okkupieren das Erdgeschoss, die Etagen darüber stehen leer. Auf der Straße verkaufen fliegende Händler Hot Dogs und Videos, die wichtigsten Überlebenszutaten. Wenn man hier Passanten nach Politik befragt, schauen einen ungläubige Gesichter an, als ob man ihnen erklären wolle, Jesus sei eine Frau gewesen. Nein, damit wollen sie nichts zu tun haben. Hinter der nicht völlig ausgestorbenen Market Street, in der flackernde Reklameschilder aus den 50er-Jahren überlebt haben, stehen Lagerhallenuinen neben verlassenen Hochhäusern mit bröckelnden Jugendstilfassaden und eingezäunten riesigen Brachen. Ein Kranz schäbiger Reihenhäuser, wo jedes zweite mit Schildern an den Zäunen vor beißenden Hunden warnt, schließt sich um das Zentrum, bevor sich die Landschaft in den Vorstädten verliert.
Newark ist eine fragmentierte und kaputte Stadt. Bei klarer Sicht erkennt man am Horizont die Skyline von Manhatten. Am Wochenende fahren viele mit dem Zug über den Hudson dorthin, auch werktags hasten die Menschen zu Bahnhof und Bushaltestellen, um aus der Großstadt in New Jersey ins noch größere New York City zu fliehen.
„N.J.“ ist der Gegenpol zu „N.Y.“. Das Konzentrat der industrialisierten und suburbanisierten Teile der Vereinigten Staaten. Gregory Haines auf dem Campus sagt: „Wir sind die Achselhöhle Amerikas.“ Eine gängige Redewendung laute: „Your state smells“, „euer Staat riecht.“ New Jersey ist Müllhalde, Schlafstadt und Versorgungsarterie der großen Metropole im Osten. Weil in New Jerseys schöneren, nicht zuzementierten Teilen der Obst- und Gemüseanbau Tradition hat, steht auf den Nummernschildern aller Autos „The Garden State“. In Newark kann man den Titel jedoch allenfalls als selbstironische Anwandlung oder als Mutmacher für eine gesündere Zukunft verstehen.
The Garden State. In kaum einer Region der USA drängt sich der Umweltschutz so auf. 85 Prozent der Gewässer seien so verschmutzt, dass sie weder für Trinkwasser noch zum Baden genutzt werden könnten, erzählt eine Kommilitonin von Gregory Haines auf dem Campus. Nirgendwo gebe es eine so hohe Dichte verseuchter Flächen. Die Republikaner fordern, verantwortliche Firmen vom geltenden Verursacherprinzip und den damit verbundenen Reinigungskosten zu befreien. Das müsse verhindert werden, sagt die Studentin. Damit liegt sie im Trend: Die Mehrheit der Bevölkerung New Jerseys findet, Umweltauflagen könnten nicht streng genug sein. Wer wird hier einen Senator der Partei von George W. Bush wählen?
In den weißen Vorstädten, einige Meilen nördlich von Newark, ist der Vorsprung des Demokraten Lautenberg offensichtlich. Im neonbeleuchteten Großraumrestaurant „Tick Tock Diner“ in Clifton gehen die Hamburger zu tausenden über den Tresen. Hier, wo man es gar nicht erwartet, trifft man mehr politische Wesen als an der Universität von Newark. Die Finanzberaterin Carolyn Buck ist eigentlich registrierte Republikanerin. Die Mutter zweier Kinder beschreibt sich selbst als „sozial sehr liberal“ und will auf jeden Fall für Lautenberg stimmen. „Ich lehne die konservative christliche Rechte ab. Sie haben die Republikaner in eine Richtung getrieben, die nicht mehr die meine ist.“
Eine andere junge Frau will ebenfalls den Demokraten unterstützen, da er sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt. Ein älteres Paar blickt sogar Richtung Washington und will, dass sich die Machtverhältnisse im Kongress nicht zu ungusten der Demokraten verändern. Beide sagen, dass sie vor zwei Jahren noch für Präsident Bush gestimmt haben. In Afghanistan habe er auch „einen prima Job“ gemacht. Aber einen Irakkrieg könnten sie nicht unterstützen. „Da sind wir doch der Aggressor.“ Deshalb müsse man einen republikanischen Senat verhindern.
Im Vorort Weehawken haben die Republikaner noch weniger zu lachen. Neben patriotischen Schildern mit dem Gelöbnis auf Gott und Nation hängen in den Fenstern von Cafés und Geschäften spanischsprachige Wahlplakate, die für Lautenberg werben. Im „Presto’s“ sitzt Luis Mendez beim morgendlichen Kaffee und wartet, dass es aufhört zu regnen. Vorher wird auf seiner Baustelle ohnehin nicht weitergearbeitet. Der gebürtige Kolumbianer spricht ein gebrochenes Englisch. Er erzählt vom Bürgerkrieg in seiner Heimat, dass er gern wieder zurückwill, wenn er keine Angst haben muss, erschossen zu werden.
Solche Ängste sind aber auch in New Jersey aktuell. An den Bar- und Restauranttischen reden die Gäste über den Heckenschützen von Washington. Ginge es nach Mendez, würden Waffen komplett verboten. Deshalb will er für Lautenberg stimmen, da der zumindest den Waffenverkauf erschweren will. In dieser Gegend, sagt er stolz, würden die Republikaner keinen Fuß auf den Boden kriegen. Selbst der Kneipenchef, ein Exilkubaner, wähle demokratisch. Mendez lacht. „Der einzige Exilkubaner in den USA.“ New Jersey ist anders.
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