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Das große Fressen

Bei der Einweihung des neuen Großmarkts im ehemaligen Überseehafen durften sich die Besucher mit allerlei Köstlichkeiten vollstopfen. Ob den Händlern und Kunden der graue Alltag ebenso munden wird, bleibt offen

„Der Senat hat uns hierhin gesetzt, das muss ich halt akzeptieren“

Gestern war der große Tag von Erich Thiemann. Der „Marktinspektor Großmarkt“, so der Titel des hünenhaften, leutseligen Mannes mit der Schiebermütze, arbeitet seit 33 Jahren auf dem Bremer Großmarkt. Er ist eine Art Vermittler zwischen Händlern, Kunden und der Geschäftsführung. Nun musste Thiemann mit dem ganzen Laden, also mit über hundert Mietern, vom Neuenlander Feld in die alten Hafenreviere umziehen.

6.000 Kunden habe man zur Eröffnung des neuen Bremer „Frische-Zentrums“ eingeladen, erzählt Thiemann. Und wirklich: Schon zu früher Stunde wälzt sich eine PKW-Schlange via Hansator und Konsul-Smidt-Straße auf das 16 Hektar große Gelände des zugeschütteten Überseehafens. Die Massen drängeln sich in den lichten Markthallen vorbei an Obst und Gemüse, an eingeschweißten Schweinenacken und Rindersteakhüften, an Hummern und Krebsen. Auf Eis gelegte tote Fische starren Menschen an, die sich gerade ein Stück „Lachspastete“ in Richtung Gaumen schieben. Multikulti-Freaks futtern türkische Knoblauchwurst aus Lamm und Geflügel, Bodenständigere vertilgen Bratkartoffeln, Matjes oder Knipp mit Gurke. Auf der Bühne, auf der später der Wirtschaftssenator würdige Worte finden wird, swingen „Angie und Band“. Bei Früchte-Eckhoff mixen dunkelhäutige Jungmänner exotische Cocktails, in der Blumenhalle sammelt der Floristenverband Unterschriften gegen einen höheren Mehrwertsteuersatz für Zierpflanzen.

Wilfried Schaffer ist mit dem elf Jahre alten Naturkost-Kontor, einem Erzeugerzusammenschluss von fünf Bio-Landwirten, bereits in der vergangenen Woche umgezogen. „Die Idee, Eröffnungsfeier und Umzug an einem Wochenende zu veranstalten, fanden wir zu stressig“, sagt er. Das Kontor ist einer von 15 Mietern in der Spezialitäten-Halle, einer Novität im Großmarkt, von der sich Schaffer „einen Schub“ für den neuen Standort verspricht. Mit dem Umzug stockten die Landwirte ihre Verkaufsfläche um 100 Quadratmeter auf – andere reduzierten ihren Raum aufgrund höherer Mietkosten. Die neue Halle sei kundenfreundlicher, sagt Schaffers Mitgesellschafter Ernst Röhrs: Im alten Großmarkt habe es kein Tageslicht gegeben, und die Kunden seien nur über eine hohe Rampe ins Lager gelangt.

Rickmer Süsens dagegen trauert dem alten Großmarkt nach. Seit vier Generationen gibt es den Fruchthandel der Süsens, Rickmer ist auf dem Großmarkt aufgewachsen. „Das vorige Areal war ein gewachsener Großmarkt“, sagt Süsens. Auch sei der direkt an der A1 gelegene Standort besser an den Fernverkehr angebunden gewesen. Jetzt habe der Senat „uns halt hierhin gesetzt, das muss ich halt akzeptieren“. Seine Kunden kauften ja nicht nur bei ihm. Süsens macht sich Sorgen um seine Zukunft: Der Einzelhandel breche „immer mehr weg“, und große Ketten „beziehen die Ware von eigenen Fruchtagenturen“. Süsens ganze Hoffnung gilt den Kunden, „die noch auf Qualität setzen“: den Wochenmärkten und der gehobenen Gastronomie.

Markus Jox

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