: Die Leiden der Mac-Gemeinde
Apple gilt immer noch als politisch korrekte Alternative zu Microsoft. Dabei sind beide Firmen in ihrer Geschäftspolitik längst zum Verwechseln ähnlich. Der wirkliche Unterschied liegt in einem wenig beachteten Punkt: dem Umgang mit dem Code
von NIELS BOEING
Wenn das kein Multimedia-Erlebnis ist! Im Web surfen? Einfach auf das bekannte „e“-Symbol klicken, das unübersehbar auf dem Desktop prangt. Der Internet Explorer öffnet sich. Die Bilder der neuen Digitalkamera laden und bearbeiten? Einfach das Gerät einstöpseln, und schon poppt die Fotobearbeitungssoftware auf. Wow, der DVD-Player springt sofort an. Und die MP3-Datei des Elvis-Remixes, die mir ein Freund gemailt hat, wird auch gleich erkannt und abgespielt. Alles ist fertig eingerichtet und nahtlos integriert.
Nein, es geht nicht um diese monopolistische Technologie des Softwarekonzerns Microsoft, der alle guten Ideen seinem Betriebssystem Windows einverleibt und damit die Konkurrenz platt macht. Es geht um ein Produkt der Firma Apple. Das Betriebssystem heißt „Mac OS X“ (sprich: „O-S-zehn“) und kann alles, was Windows XP auch kann. Schlimmer noch: Sogar die Hardware stammt von Apple.
Das riecht nach vertikalem Monopol. Doch Apple hatte keinen Prozess am Hals. Denn bei Apple sind die Guten, die Davids gegen den bösen Goliath Microsoft. Mit einem Marktanteil von schätzungsweise 6 Prozent kann man wohl keine Produktpolitik verfolgen, die Kunden vor die Wahl „friss oder stirb“ stellt. Denken viele. Nur: Man kann.
Mitte Juli hat Apple seine neueste Betriebssystemversion „Jaguar“ auf den Markt gebracht. Mit dem üblichen Bombast um den Firmengründer Steve Jobs, der seine Produktankündigungen wie Messen zelebriert. Und wie es sich für eine Sekte gehört, müssen die Jünger Kasteiungen erleiden: Selbst wer wenige Wochen vor dem Start von Jaguar einen Apple-Rechner gekauft hat, bekommt kein OS-X-Upgrade. Der einzige Weg, von Version 10.1.5 auf Version 10.2 zu kommen, ist der Neukauf eines Jaguar-Pakets für 161,24 Euro. Begründung der Apple-Hotline: „Das ist ein ganz neues Produkt.“
So radikal ist nicht mal Microsoft mit Updates zwischen zwei Folgeversionen. Der Umgang mit Anwendungen anderer Hersteller erinnert dagegen längst an Redmonder Sitten. Das Suchprogramm „Watson“ etwa erfreute sich unter Mac-Usern großer Beliebtheit, weil es dem hauseigegen Modell „Sherlock“ überlegen war. Um so größer war das Erstaunen, dass der neue „Sherlock 3“ im Jaguar-Betriebssystem der Watson-Funktion verblüffend ähnelt. Nur deren Entwickler sahen alt aus: Sie haben nicht einmal ein „Credit“ bekommen. Die Stillosigkeit wurde in Mac-Foren mit Bitterkeit vermerkt.
iCash
Programme wie „iPhoto“, „iDVD“ und „iTunes“ sorgten schon länger für einen unkomplizierten Digital Lifestyle. Mit Jaguar kamen weitere dazu: iCal ist ein vernetzbarer Terminplaner, iSync gleicht Daten ab, etwa zwischen Organizer und Mac, iChat ist ein Instant Messenger, der privates Chatten neben der Surfen ermöglicht. Dank dieser hippen i-Parade muss man sich um die Installation von Alternativprodukten nicht mehr kümmern. Eine Nutzerfreundlichkeit, über die sich deren Hersteller kaum freuen könnnen.
Weil heute der PC vor allem ein Bullauge in den Cyberspace ist, geht nichts mehr ohne ausgefeilte Internet-Services. Also startete Apple im vergangenen Jahr den Dienst „iTools“ (i, was sonst?). Nach der Registrierung bekam man eine E-Mail-Adresse mit der schicken Endung „mac.com“ und etliche Megabyte Webspace (namens, na? „iDisk“), um Dateien im Netz zu deponieren oder auch Freunden zugänglich zu machen. Eine eigene Homepage konnte man sich auch bauen. Und was passiert, wenn man zum ersten Mal sein Mailprogramm einrichtet? Man wird gefragt, ob man ein „mac.com“-E-Mail-Konto hat. Falls nicht, ob man es einrichten möchte. Eine gute Idee. Effizient. Wie die Verknüpfung des Dienstes „Hotmail“ mit anderen Microsoft-Produkten.
Glückliche iTools-Nutzer traf dann Ende Juli der Schlag: „Today we announced .Mac, pronounced ‚Dot Mac‘, that replaces the Apple iTools service.“ War schon der schwachsinnige Name, der fatal an Microsofts imperiale Internetvision „.Net“ erinnert, eine Beleidigung für Apple-Kunden, versetzte die Ankündigung eines Abosystems die Gemeinde in Rage. Ein Jahr .Mac kostet knapp 100 Dollar, iTools-Nutzer bekamen 50 Dollar Rabatt. Die Proteststürme konnten Apple nur dazu erweichen, die Umstellung um zwei Monate zu verlängern. Neben unerheblichen Gimmicks bietet „.Mac“ einen automatisierten Back-up-Dienst, der wichtige Daten nach einem frei wählbaren Zeitplan auf Apple-Server hochlädt.
Multimedial einfach
Soll man diesem Konzern auch noch die Sicherheitsverwahrung persönlicher Daten anvertrauen? Wohl kaum. Die Aufregung über Microsofts Firmenpolitik ist heuchlerisch, die Verdammung der integrierten Fähigkeiten des Betriebssystems Windows realitätsfern und der Prozess gegen den Softwaregiganten anachronistisch. Die üblen Bodychecks für die Konkurrenz und die Hiebe für die Kunden, die man Microsoft vorwirft, sollte man Apple nicht verzeihen. Dass Apple dem Markt damit nicht wehtut, ist nur seinem geringen – und wegen der früheren Lizenzpolitik selbst verschuldeten – Anteil zu verdanken.
Im Kern verhält sich der kalifornische Computerbauer nicht viel anders als sein einstiger Zulieferer aus Redmond bei Seattle.
Aber: Was die Weiterentwicklung ihrer Betriebssysteme angeht, verhalten sich beide vollkommen richtig. Windows XP und Mac OS X lösen zum ersten Mal den Anspruch der Multimediafähigkeit ein. Sie sind einfach und intuitiv zu benutzen und ersparen tatsächlich das Studium von Installationsanweisungen. Obwohl der Computer längst ein Massenprodukt ist, war seine Ausstattung bisher nicht im Henry-Ford-Zeitalter angekommen: Räder, Motor, Chassis, Lenkrad, all das wurde meist getrennt geliefert, mit grottenschlechten Anleitungen zum Einbau. Die Unterscheidung in Betriebssystem und Anwendungen, erst recht Internetanwendungen, mag für Informatiker unverzichtbar sein, das Gros der User interessiert sie nicht. Sie wollen nur, dass die Kiste funktioniert. Und das tut sie mit hochintegrierten Betriebssystemen besser denn je.
Offener Code
Problematisch wird es erst, wenn derartig fundamentale Software eine Blackbox ist. Wenn der Code, also das Wissen, das darin steckt, der Öffentlichkeit verschlossen bleibt. Hier zeigt sich, warum Apple und nicht Microsoft zurecht als Innovator gilt. Denn der Kern von Apples Mac OS X – genannt „Darwin“ – baut auf dem offenen Betriebssystem „freeBSD“ (für „Berkeley Software Distribution“) auf. Damit ist es Abkömmling der Unix-Sippe, zu der auch das ganz freie System Linux gehört. Seinen Nutzern bietet es, zumindest theoretisch, die Möglichkeit, Herr der eigenen Software zu sein, sie zu analysieren und auch zu verändern – Grundidee der politisch motivierten Free Software Foundation, die 1984 von Richard Stallman gegründet wurde. Wenn auch mit der umstrittenen Einschränkung, dass Änderungen zum privaten Gebrauch Apple mitgeteilt werden müssen.
Der Biochemiker Michael Lowe hat diese Möglichkeit ausgenutzt und mit seinem „GNU-Darwin-Projekt“ (www.gnudarwin.org) ein Softwarepaket entwickelt, das rund 2.000 frei verfügbare Programme Mac-kompatibel macht.
Anders als Microsoft, aber auch anders als die Richter ist Apple damit technologisch in der Zukunft angekommen. Der Prozess gegen Bill Gates’ Unternehmen wurde noch im Geiste des 20. Jahrhunderts begonnen: Technologiegiganten soll man zerschlagen, so geschehen mit Standard Oil, AT&T und beinahe auch IBM. Im 19. Jahrhundert hätte man sie noch verstaatlicht. Diese Option wurde im Laufe des Prozesses fallen gelassen. Die dem 21. Jahrhundert angemessene Lösung wäre aber die Offenlegung der Quellen gewesen. Denn die stellen die neue Infrastruktur des Informationszeitalters dar, ein kostbares Gut, dass der Allgemeinheit gehören sollte. Dazu konnten sich die Richter nicht durchringen: Microsoft muss, neben einigen unbedeutenden Auflagen, nur Informationen offen legen, die das direkte Zusammenspiel seiner Produkte mit anderen Programmen betreffen. Der De-facto-Standard Windows bleibt dagegen der Öffentlichkeit verschlossen.
Dass Apple hier die Zeichen der Zeit erkannt hat, ist das Einzige, wofür Apple noch Respekt verdient. Vielleicht noch für die Ästhetik seiner Produkte. Der Rest ist business as usual.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen