: Onkel verlernt das Lächeln
Nach einem halben Jahr im Amt weht Polizeipräsident Dieter Glietsch schon ein scharfes Lüftchen ins Gesicht. Kein Wunder, er legt bei Projekten wie der Polizeireform selbst ziemlich Tempo vor
von PLUTONIA PLARRE
Eigentlich müsste Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) einem gewissen „Intimus“ dankbar sein. Diesen Namen hatte sich der Verfasser eines anoymen Schreibens gegeben, das in der Berliner Polizei vergangene Woche erheblich für Unruhe sorgte: Glietsch, behauptete „Intimus“, habe wissentlich verschwiegen, dass er im Mai und Juni nach seinem Wechsel von Nordrhein-Westfalen nach Berlin eineinhalb Monate lang doppeltes Gehalt in Höhe von 9.000 Euro bezogen hatte.
Der Leiter des Landespolizeiverwaltungsamtes wusch Glietsch aber von jeglichem Verdacht rein. Er sprach von einem Buchungsfehler der Gehaltsstelle, den der Polizeipräsident nicht bemerkt habe. Trotzdem: Der Schlag saß. „Dass mir ein ehrenrühriges Verhalten unterstellt wird, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert“, sagte Glietsch. „Das tut weh.“ Nun wisse er, was gemeint war, als bei seinem Amtsantritt die Berliner Polizeibehörde als „Schlangengrube“ bezeichnet wurde. Für die Zukunft sei er gewarnt. „Es handelt sich aber ganz offensichtlich um einzelne Mitarbeiter, mit denen ich nicht die Behörde identifiziere“. „In Berlin“, so Glietschs Fazit, „ist so manches anders als anderswo.“
Als er tags darauf von dem für seinen Galgenhumor bekannten Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, mit „Willkommen in der Schlangengrube“ begrüßt wurde, konnte sich der Präsident nur mit Mühe ein Lächeln abringen. Dabei braucht sich Glietsch, der am nächsten Sonntag ein halbes Jahr Chef der Hauptstadtpolizei ist, nicht zu wundern. Polizeikenner haben mit solchen Attacken eigentlich schon viel früher gerechnet. Schließlich war der ehemalige Inspekteur der NRW-Polizei im Mai 2002 gegen den erbitterten Widerstand von CDU, Grünen und FDP vom rot-roten Senat an die Spree geholt worden. Glietsch habe nur wegen seines SPD-Parteibuchs den Zuschlag bekommen, lautete der Vorwurf. Auch in der Polizei war es ein offenes Geheimnis, dass man lieber den als konservativ geltenden Vizepräsidenten Gerd Neubeck als Nachfolger von Hagen Saberschinsky gesehen hätte.
Das Tempo, mit dem Glietsch drei Wochen nach Amtsantritt eine grundlegende Reform der Organisations- und Führungsstruktur ankündigte, hat vielen in der 28.000 Mitarbeiter zählenden Behörde den Atem verschlagen. Auf den ersten Blick wirkt der 55-jährige, körperlich eher kleine Mann wie der nette Onkel von nebenan. Aber dieser Schein trügt. Nicht umsonst wird er von einigen inzwischen auch „Vollstrecker“ oder „Körtings Terminator“ genannt.
„Was er sich vornimmt, zieht er durch.“ Dieses Zeugnis war Glietsch bereits aus NRW vorausgeeilt. Sein analytischer Sachverstand sei so scharf wie ein Seziermesser. Dass er ein Fuchs ist und mit Tricks arbeitet, hatte er seinerzeit unter Beweis gestellt, als er einen Castor-Transport verfrüht auf die Schiene schickte und damit die Anti-AKW-Bewegung leimte.
Vielleicht muss einer so sein, der ohne Hausmacht in so einem Apparat wie der Berliner Polizei antritt und die antiquierte Behörde in einer Radikalkur vom Kopf auf die Füße stellen will. Das Projekt ist schon weit gediehen. Die unter der Leitung von Gerd Neubeck eingesetzte, aus 30 hochrangigen Beamten bestehende Projektgruppe wird heute dem Innenausschuss des Abgeordnetenhauses einen Zwischenbericht über den Stand der Planung vorlegen. Nicht mal die aus Amts- und Direktionsleitern bestehende große Polizeiführungsrunde ist vorab in die Details eingeweiht worden. Er wolle damit verhindern, das die Zwischenergebnisse zerredet werden, sagt Glietsch.
Die Ausschusssitzung verspricht turbulent zu werden, nachdem die CDU vorige Woche in einer Presseerklärung unter Berufung „auf Informationen“ aus der großen Polizeiführungsrunde behauptete, Glietsch habe sich wegen seines „autokratischen und geheimbündlerischen Führungstils“ massive Kritik anhören müssen. Es sei eine „zum Teil emotionale Aussprache“ gewesen, sagt dazu Glietsch. Einige Teilnehmer hätten sich betroffen darüber gezeigt, dass ihre Erfahrungen nicht von der Projektgruppe abgefragt worden seien. „Aber kein Wort von dem, was die CDU behauptet, ist gefallen.“ Die Dinge würden von Einzelnen absichtlich verfälscht, um Unruhe zu stiften und die Reform zu behindern.
Es gibt Leute, die erzählen, im Polizeipräsidium herrsche derzeit ein Klima wie in der Eiszeit. Angst und Unsicherheit beförderten Konkurrenz und Katzbuckelei. Junge Polizeiräte ackerten, was das Zeug halte, Oberräte witterten ihre Chance, Direktor zu werden, junge Direktoren wollten zu Leitenden aufsteigen. Die „Dinosaurier“ hingegen, die in der Behörde bisher das Heft in der Hand hatten, seien so gut wie abgemeldet und dementsprechend frustriert. „Man muss knallhart sein, wenn man den Wasserkopf abbauen und die alten Besitzstände zertrümmern will“, meint ein Behördenkenner. „Was fehlt, ist ein bisschen menschliche Wärme.“
Glietsch sagt, er wisse um die Verunsicherung der Leute, aber er spüre nichts von einem eisigen Klima. Im Gegenteil: Die Zustimmung zu der Reform sei groß, wenn er durch die Behörde gehe und die Abschnitte besuche. Dass Menschen Probleme mit seiner Ausstrahlung hätten, hätte er schon in NRW gehört. „Aber ich bin nicht so kühl, wie ich wirke.“ Das würden die Leute merken, wenn sie ihn länger kennen. „Ich bin weder der nette Onkel von nebenan noch der Technokrat ohne Gefühl.“ Er lege aber großen Wert auf gute Leistung. „Das kann man von Führungskräften auch erwarten.“
So schwierig das Binnenverhältnis auch sein mag – in der linksliberalen Öffentlichkeit hat Glietsch sich bereits einen ausgesprochen positiven Ruf erworben. Was Form und Inhalt angeht, unterscheidet er sich deutlich von seinem Vorgänger Saberschinksy. Er ist nach außen offen, entschuldigt sich für die Fehler seiner Leute, tritt aus Überzeugung für Deeskalation ein, findet es richtig, dass es für Drogenabhängige Druckräume geben soll, will vom Corpsgeist gedeckte Polizeiübergriffe nicht hinnehmen. Nach den antisemitischen Zwischenrufen bei der Rückbenennung der Jüdenstraße traf er sich mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und sprach von einem „beschämenden Vorfall“. Zusammen mit dem Vorstand des Türkischen Bundes (TBB) überlegte er, wie mehr Migranten zu Polizisten ausgebildet werden können. „So ein Engagement“, sagt TBB-Geschäftsführer Kenan Kolat, haben wir bei der alten Polizeiführung vermisst.“ Die Plakatfahndungsaktion nach 1.-Mai- Steinewerfern billigte Glietsch allerdings genauso wie sein Vorgänger.
Die eigentlichen Bewährungsproben stehen allerdings noch aus. Wie er es mit der Einführung von Namensschildern und dem Kampf gegen den Corpsgeist und der Befriedung des 1. Mai hält, muss Glietsch noch zeigen. Die Besetzung der Posten im neuen Leitungsstab wird eine Nagelprobe. Glietsch wird noch Nerven brauchen. Seine Mitarbeiter auch.
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