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„Filme sind keine Schrauben“

Leo Kirch sagte im Prozess gegen die Brüder Haffa aus. Statt die Betrugsvorwürfe gegen die beiden ernsthaft zu entkräften, sagte er viel Erheiterndes. Doch Kirchs Exstellvertreter, Dieter Hahn, verdarb den EM.TV-Vorständen dann doch den Spaß

aus München OLIVER HINZ

Leo Kirch verlässt den Sitzungssaal des Münchner Landgerichts eher wie ein Strafgefangener, nicht wie ein Zeuge. Dabei bleibt der 76 Jahre alte Neupleitier nach der gestrigen Vorladung ein freier Mann. Doch weil der ehemalige Medienzar sich so sehr vor Journalisten, besonders Kameraleuten und Fotografen scheut, verschwindet er durch den separaten Ausgang. Keiner bekommt ihn mehr zu Gesicht.

Bis auf seine junge Betreuerin, die sich in seinen linken Arm eingehakt hat. Sie führt den frisch frisierten Kirch auch um Punkt 10.00 Uhr im Blitzlichtgewitter in den Gerichtssaal. Dort sitzen bereits angespannt Florian und Thomas Haffa, ebenfalls angeschlagene Medienunternehmer, angeklagt wegen Betrugs der EM.TV-Aktionäre.

Kirch soll Aufschluss darüber geben, ob ein Vertrag zwischen Junior TV – einem Gemeinschaftsunternehmen von Kirch und EM.TV – und EM.TV bereits im ersten Halbjahr 2000 geschlossen wurde. Die Staatsanwaltschaft meint, dass das nicht der Fall war, sondern der Vertrag erst im Herbst geschlossen wurde. Die Haffa-Brüder hätten aber dennoch schon mal rund 30 Millionen Euro Umsatz aus diesem Vertrag verbucht.

Kirchs Betreuerin bringt ihm noch einen Becher Wasser, den er jedoch eine Stunde und 20 Minuten lang nicht anrühren wird. So lange dauert die Einvernahme des Zeugen Dr. Leo Kirch, Filmhändler, München.

„Ich kann nicht sehen, ich kann auch Sie nicht sehen“, bescheidet der wegen schwerer Zuckerkrankheit fast blinde 75-Jährige die Vorsitzende Richterin Huberta Knöringer, als sie ihm einen Vertrag zeigen will.

Später erklärt der einstige Herrscher über die ProSiebenSat.1-Familie und den größten Filmrechtehandel Deutschlands: „Ich kann ja kein Fernsehen sehen. Also musste ich jemanden haben, der mir sagte: Das ist etwas von Wert.“

Blind gibt sich Kirch oft auch im übertragenen Sinn: Mit vielen Einzelheiten seiner Geschäften kenne er sich nicht aus, betont er bei seiner Aussage immer wieder. Nicht einmal die Aufsichtsräte der gemeinsamen Tochterfirma mit EM.TV, Junior TV, kann er alle aufzählen. Er vergisst dabei ausgerechnet seinen einstigen Stellvertreter Dieter Hahn. Als ihn der Verteidiger von Florian Haffa korrigiert, räumt Kirch immerhin ein, er halte es für „möglich“, dass dieser in dem Gremium saß.

Der Gerichtstermin mit Leo Kirch hat von Beginn an mehr Unterhaltungs- als Aussagewert. Er wisse seine Postleitzahl nicht, offenbart Kirch bei der Feststellung der Personalien.

Auch sonst macht es Kirch offenbar Spaß, lieber mit Bonmots (s. Kasten) statt akribischen Einzelheiten zu glänzen: Filme seien nun mal „keine Schrauben, bei denen es auf die Länge ankommt“, umreißt er die Spielregeln seines Handwerks, „deswegen hat es mir so viel Spaß gemacht“. Und sagt etwas sehr Wahres: Thomas Haffa und er hätten „zwei verschiedene Gesichter: Er ist börsengetrieben, ich bin programmgetrieben.“ Am Ende genützt hat es beiden nicht.

Neben dem fast amüsierten Kirch wirkt auch Thomas Haffa entspannt: Bis dahin war es ein guter Tag für ihn. Sein Exboss sagte, er habe den 30-Millionen-Euro-Lizenzvertrag mit Junior TV nämlich bereits im Juni 2000 als vollzogen betrachtet. Dumm nur, dass Kirchs früherer Stellvertreter Dieter Hahn genau das Gegenteil zu Protokoll gab.

Doch Kirch mag halt nichts Schlechtes über „den Thomas“, wie er Haffa die ganze Zeit nennt, sagen. Der sei auch „der sehr viel bessere Verkäufer gewesen als ich“. Spricht’s und winkt den Brüdern Haffa zum Abschied feundlich zu.

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