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Eilschritt zum Überwachungsstaat

Nach den gewonnenen Kongresswahlen versucht die US-Regierung, das Tempo bei der Schaffung eines Superministeriums für innere Sicherheit anzuziehen. Dabei schafft sie en passant das größte Personenüberwachungssystem der Welt

aus Washington MICHAEL STRECK

Das republikanisch dominierte US-Repräsentantenhaus hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Nationalen Sicherheit verabschiedet. Wichtigster Baustein der „nationalen Strategie für den Heimatschutz“ von US-Präsident George W. Bush ist die Einrichtung eines neuen Superministeriums für innere Sicherheit. Rund 170.000 Beamte sollen dort beschäftigt werden und Aufgaben aus mehr als hundert verschiedenen Einzelbehörden bündeln. Für die Gründung des Ministeriums und einen Großteil seiner anderen Antiterrorpläne braucht Bush die Zustimmung des Kongresses.

Die demokratischen Abgeordneten votierten überwiegend gegen den Entwurf. Er muss jedoch auch dem scheidenden Senat vorgelegt werden, der Änderungen vornehmen kann. Eine knappe Mehrheit scheint sicher, da vor allem demokratische Senatoren nach der Wahlschlappe bereits angekündigt haben, ihren monatelangen Widerstand gegen die Grundzüge des Gesetzes aufzugeben. Das überrascht, da sich viele Abgeordnete erbost zeigten über hastig neu aufgenommene Klauseln. So soll die Regierung etwa das neue Ministerium später nach Belieben umgestalten können, ohne den Kongress zu konsultieren.

Dennoch blicken auch viele Republikaner im Senat mit großem Unbehagen auf die neuen Regierungsvollmachten. Denn der Krieg gegen den Terror macht im Land der – eigentlich gerade von Republikanern – gepflegten Staatsferne und gehegten Privatsphäre bislang Undenkbares möglich. Er bringt eine monströse und unter Experten heftig umstrittene Behörde hervor, die an den Orwell’schen Überwachungsstaat erinnert. Der „Homeland Security Act“ erlaubt nämlich den Aufbau einer in ihrer Dimension bisher unbekannten zentralen Datenerfassung. Unter dem harmlosen Namen „Information Awareness Office (IAO)“, was übersetzt so viel heißt wie Büro für Informationsbewusstsein, plant eine Unterabteilung des Pentagon mit Hilfe eines neu zu entwickelnden Computersystems die weltweit flächendeckende Personenüberwachung. Jede elektronische Spur, die ein Mensch hinterlässt, soll gespeichert werden. „Wissen ist Macht“, so lautet das offizielle Motto des IAO. Aus Flugbuchungen, Geldtransfers, Online-Einkäufen, E-Mails, Arzneibestellungen, Führerscheinanträgen und und und soll ein computergestütztes individuelles Dossier erstellt werden. Die Schnüffler hoffen dabei, aus der Fülle privater, geschäftlicher und behördlicher Daten jene verdächtigen Signale herauszufiltern, die auf mögliche Terroraktivitäten hindeuten. Angaben der Washington Post zufolge verhandelt das IAO bereits mit der US-Verkehrssicherheit, um die Daten von Flugpassagieren zu erhalten.

Chef der neuen Behörde mit einem Budget von 200 Millionen US-Dollar ist pikanterweise John Poindexter. Der ehemalige Berater von Präsident Ronald Reagan war in die Iran-Contra-Affäre verwickelt, hatte wichtige Dokumente vernichtet, den Kongress belogen und wurde daher zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. „Der Meister der Täuschung ist zurück“, schreibt William Safire in einer giftigen Kolumne der New York Times über die peinliche Berufung. Poindexters neue Pläne, jeden Amerikaner ausspionieren zu dürfen, seien noch skandalöser als die damalige Affäre.

Die Tragweite des bislang wenig bekannten Vorhabens scheint die US-Öffentlichkeit noch nicht zu ermessen. Nur vereinzelt schlagen Datenschützer Alarm. Allerdings ist das IAO längst nicht in trockenen Tüchern. Schon einmal scheiterte die US-Regierung am öffentlichen Aufschrei. Das vom Justizministerium im vergangenen Frühjahr geplante Projekt „Tips“, bei dem Postboten und Klempner zu Spitzeln im Nebenberuf werden sollten, wurde nach scharfer Kritik von Bürgerrechtlern und Politikern begraben.

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