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Am Zürcher Stadtrand hat der Architekt Beat Kämpfen ein viergeschossiges Solarhaus gebaut – aus Holz
von AXEL KRÄMER
Architektur, die zukunftsweisend sein soll, wird häufig als bautechnisches und ästhetisches Spektakel inszeniert. Manchmal jedoch offenbart sich das Innovative in unauffälliger Gestalt. Und jenseits exponierter Lagen. Zum Beispiel „Im Oberen Boden“. So heißt eine verschlafene Straße, die sich im gutbürgerlichen Norden Zürichs einen Hang hinaufschlängelt, vorbei an dicht gedrängten Wohnanlagen. Kaum ein Wagen parkt am Wegesrand. In der Nachbarschaft eines Bauernhofes steht ein Gebäude, das in diesem Jahr mit dem Schweizer Solarpreis ausgezeichnet wurde. Dahinter kommt nur noch Wald. „Sunny Woods“ nennt sich das Mehrfamilienhaus, das nun auch den Europäischen Solarpreis einheimsen wird.
Schon von der Straße aus sieht man dem schlichten Gebäuderiegel an, dass er sich von den Solarhäusern der ersten Generation deutlich unterscheidet. Großen Wert hat Architekt Beat Kämpfen darauf gelegt, dem Klischee der „Birkenstockarchitektur“ zu trotzen. Etwa durch kanadisches Zedernholz. „Das macht einen eleganteren Eindruck als einheimische Hölzer, die sich mit der Zeit schwarzgrau verfärben“, so der 47-Jährige. Inzwischen schimmern die Zedernlatten in einem silbrigen Ton. Nach knapp einem Jahr Wind und Wetter. „Mir war wichtig, dass das Haus nicht einfach nur nach Energiespargebäude aussieht, sondern nach moderner Architektur“, sagt Kämpfen. So tarnen sich Warmwasserkollektoren als Balkongeländer, und über einem leicht geneigten Flachdach sind Photovoltaikzellen versteckt.
Betritt man eine der Wohnungen, wird man sofort von der Helligkeit überrascht. Die gesamte Südseite ist großzügig verglast und gibt den Blick auf ein Panorama frei, das von den Türmen der Altstadt bis weit in das Zürcher Umland reicht. Wenn der Himmel so klar ist wie an diesem Herbstnachmittag, sieht man dahinter auch die Alpen emporragen. Da zu dieser Jahreszeit die Sonne erheblich tiefer steht als im Sommer, flutet sie selbst zur Mittagszeit weit in die Wohnräume herein. Und sorgt dafür, dass über den ganzen Tag hinweg kaum zusätzliche Beheizung nötig ist. Falls nötig, springt automatisch eine Luftwärmepumpe an.
Mit Solarenergie hat Beat Kämpfen schon in mehreren Projekten experimentiert. Für das Nullheizenergiehaus „Sunny Woods“ hat er nun High-Tech-Photovoltaik eingesetzt. Die Zellen der neuesten Generation produzieren auch bei bewölktem Himmel Energie. Wenn das nicht ausreicht, werden die Elektrizitätswerke angezapft. In sonnigeren Phasen wird hingegen überschüssige Energie abgegeben.
Eine wesentliche Rolle spielt auch die Wärmedämmung, etwa zehn Zentimeter dicker ist als bei einem konventionellen Gebäude. Dank der feingliedrigen Statik sind die Außenwände trotzdem nicht voluminöser als jene von gewöhnlichen Neubauten. „Es ist das bislang einzige Mehrfamilienhaus in der Schweiz, das in reiner Holzbauweise entstanden ist.“ Wände, Böden, Dächer – die gesamte Stabilität des Gebäudes beruht auf Holzplatten, die gerade mal 35 Millimeter dünn sind. Über ganze vier Stockwerke hinweg. Eine höhere Geschosszahl mit Holz läge laut Kämpfen nicht mehr im Bereich des technisch Machbaren. Kein Wunder, dass das Experiment in der Branche große Aufmerksamkeit erregt hat. Schon während der Bauzeit musste er „zwischen ein- und zweitausend Baufachexperten aus Holland, Deutschland, Nordafrika, Japan“ durch die Baustelle führen.
Vor dem Haus steht noch das Bauschild, mit Skizzen und Grundrissen der Eigentumswohnungen, die den Bewohnern Spielraum für die Aufteilung ihrer Räume lassen. Robert und Claudia Eichenberger bewohnen mit ihren drei Kindern rund zweihundert Quadratmeter auf zwei Etagen. Das Wohnzimmer befindet sich im unteren Geschoss. Die Sitzgruppe erinnert ein wenig an Biedermeier, an den Wänden hängen in Messing gerahmte Lithografien. „Zunächst haben wir uns für das Objekt vor allem wegen der Lage interessiert“, sagt Robert Eichenberger. Als er von dem energetischen Konzept und der Holzkonstruktion erfuhr, holte er zunächst den Rat von unabhängigen Fachleuten ein. Nach knapp einem Jahr Wohnen in dem architektonischen Pionierprojekt macht Eichenberger den Eindruck, sich selbst im Lauf der Zeit zum Solarexperten entwickelt zu haben.
Die Eichenbergers sagen, dass sie alle „sehr zufrieden“ seien: „Es sind immer zwanzig oder 21 Grad, auch wenn draußen die Temperatur auf minus zehn fällt.“ Dazu steuert auch der Boden aus schwarzem Schieferstein seinen Anteil bei. „Wenn die Sonne flach hereinscheint, heizt er sich auf und speichert die Wärme bis zum anderen Morgen.“ Die Helligkeit wirke sich vor allem im Winter positiv aufs Gemüt aus. „Wir würden nie wieder in einen konventionellen Betonbau zurückkehren“, sagt Robert Eichenberger.
Vor zu viel Hitze soll ein vollautomatisches Rollo schützen, der Sonnenstrahlen filtert, aber nicht verdunkelt. Anfangs hat es die Eichenbergers etwas verunsichert, dass Fensterläden nicht vorgesehen waren. Ausgerechnet in der traditionsbewussten Schweiz, wo das eigentlich zum Standard gehört. „Aber daran haben wir uns schnell gewöhnt. Man lernt, mit dem Tag und mit der Nacht zu leben.“ Für viele dürfte auch gewöhnungsbedürftig sein, dass es im Haus keine Heizkörper gibt und die Fenster generell geschlossen bleiben sollen. Damit die gesparte Energie nicht wieder verloren geht, wird Frischluft durch ein Lüftungssystem vorgewärmt und in die Räume geblasen, während die verbrauchte Luft an anderer Stelle abgezogen wird. Heizung und Belüftung sind eins. Für die Eichenbergers war das von Anfang an ein Plus: „Selbst in Hitzeperioden trägt das zu einem angenehmen Raumklima bei.“ Wenn die Fenster konsequent geschlossen blieben, sei es mindestens vier Grad kühler als draußen.
Auch das Ehepaar Berger wohnt schon seit einem Jahr hier. „Jedes Mal, wenn wir in die Wohnung kommen, ist alles gut durchlüftet“, sagt Markus Berger. Seine Frau Ruth fügt hinzu: „Wir empfinden das eher als Vorteil, die Fenster nicht öffnen zu müssen – vor allem wenn es regnet oder an stürmischen Tagen.“ Besonders angenehm sei zudem die gleichmäßige Verteilung der Wärme. Die obere Etage ihrer Wohnung sieht aus wie ein luxuriöser Loft: Küche, Essbereich und Wohnraum gehen nahtlos ineinander über. Und vor der Fensterfront eine riesige Terrasse.
Anfänglich hatten die Bergers befürchtet, die Schallisolierung der Holzkonstruktion könne nicht ausreichen. Das hat sich als unbegründet erwiesen. Von ihren Nachbarn hören sie keinen Ton. Auch die Lüftungsanlage gibt keinen Laut von sich. Dabei waren Geräusche, die von der Haustechnik ausgehen, bis vor kurzem noch ein gängiges Problem in Solarbauten.
Gibt es etwa gar keine Kinderkrankheiten mehr? Die Bewohner halten sich mit Kritik zurück. Es ist der Architekt, dem dann doch etwas einfällt. Durch die Luftwärmepumpe werde das Raumklima im Winter etwas zu trocken. „Es wäre ein großer Fortschritt, wenn man die Zuluft befeuchten könnte“, sagt Beat Kämpfen. Aber er ist sich sicher: Auch dieses Problem werde sich bald in Wohlgefallen auflösen.
AXEL KRÄMER, 36, ist freier Journalist in Berlin
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