: Buttermilch und Vögelei
In der „Lila Eule“ in der Bernhardstraße sprechen heutzutage keine Veteranen des Räteaufstands, es geht nicht um Sex für alle, die Musiker differierender Jazz-Strömungen ziehen sich auch nicht mehr brüllend an den Schlipsen. Aber immerhin gibt es den Club wieder – seit genau einem Jahr
„Musik stopp. Licht an, es wird nichts mehr verkauft!“ Wieder einer dieser Abende, an dem vor dem Tresen der Lila Eule ein aufgebrachter Jugendschutzbeamter stand, mit zwei Delinquenten am Schlafittchen. Des öffentlichen Knutschens hatten sie sich schuldig gemacht und das konnte Mitte der Sechziger nicht geduldet werden. Die Eulengemeinde tanzte und knutschte dennoch lange weiter – und heute wieder.
Vor genau einem Jahr nämlich tat sich das alte Orga-Kollektiv wieder zusammen und belebte die alte „Eule“, die nach einem kurzen Techno-Disse-Zwischenspiel die Flügel gestreckt hatte. Viel verändert hat sich nicht in Bremens Kult-Jazzclub. Gut, die Wandbemalung: Früher waren es Szenen aus New Orleans, heute sind es die Apokalyptischen Reiter. Aber die enge Metalltreppe stieg auch schon Rudi Dutschke hoch zur Toilette, nachdem er nach einer „abenteuerlichen Flucht vor der Berliner Polizei“ (so die damalige Presse) in der „Eule“ agitierte. „Jahrelang galt sie als alte rote Zelle. Auch heute noch jagt ihr Name so manchem Bremer einen heiligen Schrecken ein“ – schrieb der Weser-Kurier 1970.
Angeblich soll ein Drittel aller BremerInnen ihre lang andauernden Verbindungen in der Eule geknüpft haben („hat mal jemand untersucht“), sagt Olaf Dinné, 67, damaliger und heutiger Eulenmitbetreiber. Dabei ging es offenbar keineswegs immer wild und heillos besoffen zu – an der Theke wurde auch reichlich Buttermilch ausgeschenkt.
Ab und zu provozierten sie, zum Beispiel als Günter Amendt sein Aufklärungsbuch „Sexfront“ vorstellte. Am Abend darauf gab es ein Aufbereitungstreffen, an das sich Dinné ganz gut erinnert: „Da schwangen sich Epigonen auf und sagten: ‚Jetzt ziehen wir uns aus, fahren zum Werdersee und wer kein Feigling ist, nimmt an einer Massenvögelei teil.‘ Dort standen wir dann rum und es wurde überlegt, ob man nicht erst gemeinsam was singt. Paare verloren sich im Dunkel, die anderen gingen nach Hause.“
Dass die „Eulenjugend“ politisch wurde, war zuerst nicht beabsichtigt. „Es ergab sich aus der Jazzbewegung. Wir wollten uns nicht alles gefallen lassen.“ Da kam es den jungen Revoluzzern gerade recht, dass Menschen wie Leutnant Wollenberg, der beim Räteaufstand in Königsberg dabei war und Lenin persönlich kannte, in der „Eule“ flammende Reden hielten. Dinné: „Den Jünglingen juckte das Fell.“
Heute juckt nicht mehr so viel. „Die Welle der Revolution“ hat sich überschlagen“, sagt Dinné. In der Eule wird trotzdem noch gerne getanzt, wenn sich auch kaum noch Musiker wegen differierender Jazzströmungen brüllend am Schlips ziehen. Das alte Orga-Kollektiv will „in der Gegenwart stehen und gleichzeitig an alte Wurzeln anknüpfen“. Dazu gehört wieder ein bisschen Politik, so die Sonntagabend-Diskussionsrunden zu bestimten Themen wie Israel oder Ausländerintegration.
Geschäftsführerin Constanze Radziwill sieht die Eule allerdings noch lange nicht auf der sicheren Finanzierungsseite. Von dem gerade gegründeten „Verein der Freunde der Lila Eule“ erhofft sie sich „flankierende Maßnahmen für die Live-Musik-Konzerte“.
Manchmal kann man an solch’ einem Konzertabend einen älteren Herrn mit auffällig runden Augen und Locken am Tresen sehen – in der Hand ein kleines Gerät. „Ich beobachte, was die Leute für ein Gesicht machen, wenn sie die Musik hören“, erklärt Olaf Dinné. Dann misst er mit seinem Schallmesser den Lärmpegel – damit sich die Nachbarn nicht beschweren. Das hätte es früher auch nicht gegeben.
Susanne Polig
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