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„Fürbittgottesdienste bringen nichts“

Heute vor zehn Jahren wurde der 27-jährige Silvio Meier im U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis erstochen. Sein Freund Ekkehard wurde lebensgefährlich verletzt. Man solle eher Antifas unterstützen, als die Rechten zu therapieren, meint er heute

von GEREON ASMUTH

Es kann jeden treffen! Diese Nazis ermorden nicht mehr nur Afrikaner in Eberswalde, vertreiben nicht mehr nur Asylbewerber aus Hoyerswerda, zünden nicht mehr nur Ausländerwohnheime in Rostock an. Silvio Meier ist tot. Ein Deutscher, erstochen von Neonazis, mitten in Berlin, im U-Bahnhof Samariterstraße. „Es gab damals viele solche Reaktionen“, erzählt Ekkehard S., „dieses: Es hätte auch mich treffen können.“

Den heute 31-Jährigen hatte es getroffen. Ekkehard wohnte 1992 zusammen mit Silvio in einem besetzten Haus an der Schreinerstraße in Friedrichshain. Mit zwei Freunden wollten sie am 21. November tanzen gehen. Auf dem Treppenabsatz des U-Bahnhofs Samariterstraße trafen sie eine Gruppe von Jungnazis. Einer trug den Aufnäher „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“. Bei einem kurzen Gerangel rissen sie ihm den Aufnäher ab und gingen runter zum Bahnsteig. Weil der letzte Zug aber schon durch war, wollte die Besetzergruppe ein Taxi nehmen. Beim Rückweg warteten die Nazis auf der Treppe und gingen auf die vier los, einer mit einem Messer. Der 27-jährige Silvio Meier starb noch im U-Bahnhof. Ekkehard erlitt lebensgefährliche Stichwunden, ein weiterer Freund wurde verletzt.

Für Ekkehard war es bereits die zweite Erfahrung dieser Art. „Seit der Wende gab es überall Gewalt von den Nazis“, sagt der Geografiestudent. Auch in seinem Heimatort Saalfeld in Thüringen. „Wildost, eine schlimme Zeit.“ Ein paar linke Jugendliche hätten beraten, was man tun könne. Die meisten hätten vorgeschlagen, sich mit den Nazis zusammenzusetzen. „Lieb Kind machen, vielleicht schlagen sie uns dann nicht“, nennt Ekkehard das. Es habe dann sogar eine Abmachung gegeben mit einem Typen von der rechtsextremistischen Nationalen Alternative: Keine Angriffe mehr. „Zwei Wochen später haben 20 Nazis meine Wohnung gestürmt. Da war ich schon mal halb tot.“

Ekkehard spricht von Erfahrungen. Seinen Erfahrungen: „Wo sich Leute zusammengetan haben gegen die Nazis, war es angenehmer zu leben.“ In thüringischen Kleinstädten und später auch in Friedrichshain. „Fürbittgottesdienste bringen doch nichts, da lachen die doch nur.“ Deshalb hätten sie auch damals im U-Bahnhof nicht lange nachgedacht, ob sie die Nazis auf den Aufnäher ansprechen. „Abstrakt gesehen“, weiß Ekkehard, „war es das einzig Richtige.“

Persönlich aber denkt er bis heute darüber nach: „Wenn wir einfach vorbeigegangen wären, würde mein Freund dann noch leben?“ Sich selbst quälen nennt er das. Eine Antwort darauf gebe es nicht. Nur ein anderes Wenn: „Wenn wir nicht so spät tanzen gegangen wären, würde Silvio auch noch leben.“ Und eine Konsequenz. Ekkehard hat sich organisiert. Er ist aktiv bei der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB).

Die wird im Berliner Verfassungsschutzbericht 2001 als militant und linksextremistisch eingestuft. „Der ‚Antifaschistische Kampf‘ von Linksextremisten richtet sich nur vordergründig gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Er zielt darauf ab, die freiheitlich verfasste Demokratie, bezeichnet als ‚kapitalistisches System‘, und damit die angeblichen Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“, heißt in dem Bericht. „Wenn man versucht, über Nazis zu reden, wird einem gleich unterstellt, andere Zwecke damit zu verfolgen“, meint Ekkehard. Und fügt mit einem Lächeln hinzu, er sei stolz darauf, wenn ihm jemand das Etikett „linksradikal“ anhänge. „Im letzten Jahr habe ich eine Demo und ein Konzert organisiert und zwei Projekttage an Schulen. Wenn das kriminell sein soll, okay.“

Vor zwei Jahren ging er mit anderen AABlern auch zum „Aufstand der Anständigen“. 200.000 Menschen demonstrierten damals am Brandenburger Tor für Menschlichkeit und Toleranz. „Ein großer Teil des janusköpfigen Brimboriums war von oben organisiert, aber ich sehe das gar nicht so negativ“, betont Ekkehard. Zwar habe es dadurch nicht weniger Nazis gegeben, aber immerhin mehr Aufmerksamkeit. „Mehr zivile Courage“ forderte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Ekkehard hielt mit Freunden ein riesiges Transparent in die Menge: „Nazis morden – der Staat schiebt ab“. Das Spruchband wurde heruntergerissen, Ekkehard verhaftet und verurteilt: „Ich soll dabei eine Gruppe von fünf Zivilpolizisten angegriffen haben.“

Auch drei der Jungnazis vom U-Bahnhof Samariterstraße wurden 1993 zu Jugendstrafen verurteilt. Sie sind längst wieder auf freiem Fuß. Doch die Täter interessieren Ekkehard nicht. „Es hat mich fünf Jahre gekostet, mich selbst wieder auf die Reihe zu kriegen.“ Man solle eher die unterstützen, die etwas gegen die Nazis tun, als die Rechten zu therapieren, meint er heute. Auch wenn er sich selbst nicht immer daran hält. Vor zwei Jahren konnte er „mal wieder die Klappe nicht halten“, als er drei junge Rechte in der Straßenbahn sah. Die hätten gleich ihre Messer gezückt. Ekkehard kam diesmal ungeschoren davon. Dank seines großen Hundes, sagt er. Und weil andere Fahrgäste sich einmischten.

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