: Forschen in freier Wildbahn
Zehn Jahre lang war unklar, was aus dem Osteuropa-Institut wird. Nun geht es weiter, es fragt sich nur, wie. Während die Wirtschaft auf die ehemalige Sowjetunion setzt, wollen sich Senat und Studierende mehr um die EU-Kandidaten kümmern
von HEIKO HÄNSEL
Es war auf seine Weise herzerwärmend, was am Montagabend am Osteuropa-Institut der Freien Universität stattfand. Die studentische Fachschaftsinitiative hatte unter dem etwas seltsamen Motto „50 plus 1 Jahr und ein Tag – Totgesagte leben länger“ zu Diskussion und Buffet geladen.
Anlass war die Gründung des Instituts am 24. November 1951. Das fünfzigjährige Jubiläum vor einem Jahr hatte man aufgrund der Dauerkrise wortlos verstreichen lassen. Vor einem Jahr kämpfte man nämlich noch um die Existenz, da war keine Zeit zum Feiern.
Nun wurde aber nicht zur baldigen Beerdigung gerufen, sondern Sieg und Auferstehung gefeiert. Zum Wintersemester haben mit dem Soziologen Nikolai Genov und dem Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Schrettl gleich zwei neue Lehrstuhlinhaber die Arbeit aufgenommen.
Damit nicht genug: Die Universitätsleitung hat auch die baldige Besetzung der anderen zwei vakanten Professuren für Recht und Kulturwissenschaft in Aussicht gestellt. Sollten diese im nächsten oder übernächsten Jahr besetzt werden, würde das Osteuropa-Institut zum ersten Mal seit jüngstem Studentengedenken über die Sollarbeitsstärke von sechs Professuren verfügen. Die FU bekennt sich damit zur Osteuropakompetenz als künftigem Pfund der Universität im berlin- und deutschlandweiten Konkurrenzkampf.
Den etwa einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern – Dozenten, Mitarbeitern, Absolventen, Studierende – stand die Freude darüber ins Gesicht geschrieben. Die endlose Agonie der 90er-Jahre, in denen das Institut von 30 auf zwei Lehrstühle beschnitten worden war, fünf wissenschaftliche Evaluationen durchlitt und in der Öffentlichkeit abgeschrieben wurde, scheint vorbei. Man glaubt an die Arbeits- und Zukunftsfähigkeit der Institution.
Es geht also aufwärts. Aber wo geht es hin? Diese Frage war Leitmotiv der Podiumsdiskussion. Der Institutsratsvorsitzende und Politologe Professor Klaus Segbers erinnerte an Ausbildung, Forschung und Beratung als die drei Säulen der Arbeit am Osteuropa-Institut. Wo aber liegt der Schwerpunkt der Forschung?
Erkennbar schwach wird am Institut momentan zu den EU-Beitrittskandidaten Ostmitteleuropas, Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei und dem Baltikum gearbeitet. Taz-Redakteur Uwe Rada kritisierte diesen Umstand, indem er auf die bekannte Tatsache verwies, dass Polen nur 80 Kilometer entfernt liege. Rada formulierte Ansprüche der Öffentlichkeit an die künftige Arbeit des Instituts. Es müsse Antwort auf die Frage geben, was nach dem EU-Beitritt Polens oder Tschechiens komme. Eine Ansicht, die auch der Senat teilt, der soeben eine Mittel- und Osteuropa-Initiative gestartet und dabei auch die Forschung am Osteuropa-Institut im Blick hat.
Ganz anderer Meinung war allerdings die „Neidhardt-Kommission“, die in der letzten Evaluierungsrunde die Regionalinstitute der FU begutachtet hatte. Hier wurde eine Konzentration der Forschung auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gefordert. Damit soll vor allem dem Interesse der Wirtschaft am russischen Markt Rechnung getragen werden.
Man redet viel von Mittel- und Osteuropakompetenz in Berlin, wenn es aber darauf ankommt, sie zu konkretisieren, weiß man auf einmal nicht mehr, wo anfangen. Dass man dies zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung und zwei Jahre vor der Osterweiterung der Europäischen Union feststellen muss, ist ein wenig löbliches Zeugnis. Aber dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die fehlende Kooperation innerhalb der Region Berlin-Brandenburg betrachtet. Auch hier gibt es Doppelkapazitäten, woanders große Lücken. Die gescheiterte Länderehe macht sich wieder bemerkbar.
Die Studenten sind in dieser Frage jedenfalls weiter. Die Regionalinitiative Osteuropastudierender in Berlin-Brandenburg „Ostblick“ bot am Montag einen 81-seitigen Studienführer für die ganze Region an. Ihnen war auch die Organisation des Abends zu danken. (www.ostblick.org)
Segbers merkte zur Frage der Schwerpunktsetzung des Instituts an, dass man sich in der Forschung auch mit sechs Professuren eben nicht alles leisten könne. Eventuell werde man sich auf Russland und den postsowjetischen Raum beschränken müssen. In der Lehre will Segbers jedoch an einem möglichst breiten Osteuropa-Verständnis und dessen Präsentation am Institut festhalten.
Es fragt sich nur, in welchem Rahmen. Für die Ausbildung der Studenten ringt das Osteuropa-Institut wie gegenwärtig so manche andere universitäre Institution um die Einrichtung eines Master-Studienganges „Osteuropastudien“, der den jetzigen Magisterstudiengang – ein Produkt des Studentenstreiks von 1988 – ablösen soll. Gleichzeitig will man auch einen Fernstudiengang „East European Studies“ anbieten.
Der weiterhin multidisziplinär ausgerichtete Master wird auf einem Bachelor-Abschluss in den sechs am Osteuropa-Institut vertretenen Fachrichtungen Geschichte, Politik, Kulturwissenschaften, Ökonomie, Recht und Soziologie aufbauen. Er soll zwei Jahre umfassen und ein Praktika sowie ein Semester im Ausland beinhalten. Am Ende steht die Master-Arbeit.
Jenni Winterhagen als Vertreterin der studentischen Fachschaftsinitiative, die an der Ausarbeitung des neuen Studiengangs eingebunden ist, ist jedoch noch immer skeptisch. Insbesondere das Problem der Sprachausbildung sei noch nicht geklärt. Winterhagen erinnerte daran, dass es gerade die Beherrschung von Russisch, Polnisch, Lettisch, Serbokroatisch oder Albanisch sei, die die Absolventen des Osteuropa-Instituts vor ihren Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt auszeichne.
An der FU Berlin, die im Vorjahr die Slawistik abgeschafft hat, wird allerdings keine Ausbildung in osteuropäischen Sprachen mehr angeboten. Die Studierenden müssen sich an die Humboldt-Universität oder nach Potsdam wenden. Institutsleiter Segbers konnte dazu nur Kooperationen in Aussicht stellen und verlangte zudem einen großen Flexibilitätswillen der Studenten, sich die Sprache selbst anzueignen.
Das alles sind natürlich von außen betrachtet technische Fragen. Wichtig ist: Am Montagabend hat sich das Osteuropa-Institut öffentlich wieder zurückgemeldet. Rechnet man zum Osteuropa-Institut die noch immer gut ausgestattete Slawistik an der Humboldt-Universität als Sprach- und Literaturzentrum sowie die Staatsbibliothek, deren Sammelschwerpunkt zu Osteuropa einige hunderttausend Bände in Originalsprachen bereitstellt, zusammen, dann ist Berlin – auch ohne Brandenburg – ein Schwergewicht, der deutschland-, sogar der europaweiten Beschäftigung mit den ehemals sozialistischen Staaten Europas. Die Ressourcen sind vorhanden, jetzt dürfen sie genutzt werden.
In diesem Sinn sprach der neu berufene Wirtschaftsprofessor Wolfram Schrettl das Schlusswort des Abends. Er hätte in der ganzen Diskussion doch eine gewisse Verzagheit bemerkt, stellte Schrettl fest. Dies sei vollkommen unnötig. Man müsse weg vom Prinzip des zoologischen Gartens, wo man frisst, was einem der Wärter über den Zaun wirft. Das Osteuropa-Institut müsse zum Serengeti-Prinzip übergehen, wonach man frisst, was man in freier Wildbahn erjagt.
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