: Schröders schnelle Eingreifpuppe
von BETTINA GAUS
Doris Schröder-Köpf ist eine bedeutende Frau, die eine wichtige Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik spielt. Oder? Wenn sie etwas zu sagen hat, dann wird das immerhin zum Gegenstand seriöser Nachrichtensendungen. Und sie ist trotzdem so volksnah geblieben! „Wenn Klara ihre Zahnspange wieder eingestellt bekommt, sitzen wir genauso im Wartezimmer wie alle anderen auch“, betont die Kanzlergattin in einem Interview. Kein roter Teppich, keine Fanfaren? Bescheiden.
Allerdings stellt sich die Frage, weshalb die 11-jährige Tochter den regelmäßigen Fünf-Minuten-Termin beim Kieferorthopäden nicht alleine wahrnimmt, wie das andere Kinder ihres Alters zu tun pflegen. Vielleicht kann das ein Mädchen nicht, das noch als Neunjährige abends um sieben Uhr ins Bett geschickt wurde. Wie ihre Mutter die Öffentlichkeit in einem selbst verfassten Zeitungsartikel wissen ließ.
Frau Schröder-Köpf mag es übrigens gar nicht, wenn Journalisten über ihr Privatleben berichten. Was die Öffentlichkeit erfahren soll, möchte sie schon selbst entscheiden dürfen. Schließlich kann ihr niemand nachsagen, dass sie in dieser Hinsicht mit Informationen geizt: „Ich bügele auch“, erzählt sie in der ARD-Talkshow von Gabi Bauer. Das sei ihre Entscheidung, ihr Mann könne die Schmutzwäsche schließlich auch in Berlin in eine Reinigung bringen. Aber: „Ich finde es praktischer und schöner, wenn ich das zu Hause selber mache. Es gibt aber auch Sachen, beispielsweise schwierige Näharbeiten, die ich nicht kann. Dann warten wir auf meine Mutter.“ Gut zu wissen.
Die Ehefrau des Bundeskanzlers plaudert nicht nur aus dem häuslichen Nähkästchen. Gerne und häufig äußert sie sich auch zu aktuellen Fragen. „Ich würde wahrscheinlich krank werden, wenn ich nicht dann, wenn ich etwas besonders schlimm finde, meine Meinung äußern könnte“, hat sie dem Spiegel mitgeteilt. Das kann natürlich niemand wollen.
Doris Schröder-Köpf hat viele Hüte im Schrank, und stilsicher setzt sie sich immer den auf, der gerade passt. Mal den der Mutter, mal den der Gemahlin, mal den der ganz, ganz tapferen kleinen Frau. Wenn sie politisch Stellung bezieht, dann verweist sie regelmäßig auf ihre Vergangenheit als Journalistin: Überaus altmodisch wäre es doch wohl, so legt dieser Hinweis nahe, wenn sie sich nur deshalb nicht mehr zu Wort melden dürfte, weil sie einen bestimmten Mann geheiratet hat, der eine herausgehobene Position bekleidet.
Als ob sich die Öffentlichkeit nicht ausschließlich deshalb für sie interessierte. Spaß beiseite: Welche Wirkung hätte es wohl gehabt, wenn die Focus-Redakteurin Doris Köpf sich in einem Brief an die Verlegerin Friede Springer über den „Schmutz-Journalismus“ der Bild-Zeitung beschwert hätte? Oder den Kanzlerimitator Elmar Brandt als jemanden bezeichnete, „der parasitär Geld verdient“? Oder den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine zum Austritt aus der Partei aufgefordert hätte?
Gar keine Wirkung hätte es gehabt, außer vielleicht für sie persönlich. Gewiss wären ihre Äußerungen jedenfalls nicht stündlich als „Exklusiv-Interview“ in den Nachrichtensendungen von N24 gesendet worden. Das übrigens erkennbar in einem ICE-Abteil geführt worden ist. Üblicherweise kommen Gäste für ein ausführliches Interview ins Studio. Aber jemand wie die Ehefrau des Kanzlers hat dafür natürlich keine Zeit, da muss ein Gespräch halt zwischen zwei Termine gepresst werden. Bei ihrem Mann oder George Bush ist das schließlich nicht anders. Versteht sie das unter Gleichberechtigung?
Niemand hindert Frau Schröder-Köpf daran, weiterhin in ihrem Beruf zu arbeiten, falls sie das wünscht. Von politischen Themen sollte sie sich allerdings fern halten. Nicht deshalb, weil sie dafür nicht qualifiziert wäre – sondern aus Solidarität mit ihrem eigenen Berufsstand. Wenn eine eheliche Gemeinschaft nicht den Tatbestand der unzulässigen Nähe zwischen Politik und Journalismus erfüllt: welcher denn dann? Natürlich kann auch der Mann seinen Beruf aufgeben. Die Entscheidung darüber bleibt dem Ehepaar überlassen. Und, in diesem Fall, vielleicht auch den Wählern.
Doris Schröder-Köpf hat offensichtlich die Bodenhaftung verloren, und zwar schon länger. „Deutschland dankt“, sagte sie einem Stern-Porträt zufolge schon vor einigen Jahren zu jemandem, der ihr freundlicherweise Feuer gab. Da sie bisher nicht durch besonderen Sinn für Ironie aufgefallen ist, kann man nicht einmal sicher darauf vertrauen, dass sie einen Scherz machen wollte. Aber selbst wenn: jeder Witz braucht für seine Pointe einen wahren Kern. Worin liegt der in diesem Falle – nach Ansicht der Kanzlergattin?
Ihr steigendes Mitteilungsbedürfnis ließe sich achselzuckend als sehr privates, wiewohl ernstes Problem zu den Akten legen. Wenn sich die politische Klasse dem monarchisch anmutenden Anspruch der ehemaligen Redakteurin verweigerte. Das Gegenteil ist der Fall. Warum? Weil es gegenwärtig – aus unterschiedlichen Gründen – sowohl vielen Politikern als auch vielen Journalisten ins Konzept zu passen scheint, die Unverbindlichkeit zum Programm zu erklären. Das macht den Fall von Doris Schröder-Köpf zu einem Symbol für den rapiden Verfall des demokratischen Diskurses. In diesem Zusammenhang greifen derzeit wie Zahnräder verschiedene Mechanismen ineinander, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander gemein zu haben scheinen.
Kaum eine politische Arbeitsbesprechung und so gut wie kein Referentenentwurf bleiben noch vertraulich. Indiskretion wird mit Transparenz verwechselt. Was dazu führt, dass die Kreise immer kleiner werden, in denen ergebnisoffen diskutiert werden kann, und dass die Öffentlichkeit fast nur noch Versatzstücke aus dem Baukasten politischer Gemeinplätze zu hören bekommt. Für die Medien ist das unbefriedigend. Deshalb hat es sich eingebürgert, Leuten ohne jede berufliche Funktion denselben Stellenwert einzuräumen wie gewählten Volksvertretern.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der freiwillig auf Ämter und Mandat verzichtet hat, macht Schlagzeilen mit dümmlich zugespitzter Regierungskritik. Der ehemalige grüne Abgeordnete Oswald Metzger, dem von seiner Partei ein aussichtsreicher Listenplatz verweigert wurde, wird von den Medien behandelt, als sei er Fraktionsvorsitzender. Der „Historiker“ Arnulf Baring hält es für geboten, zur Revolution aufzurufen, weil ihm die Politik der gerade neu gewählten Bundesregierung nicht gefällt. Hier kommen keine Elderstatesmen zu Wort, sondern politische Rabauken. Zugegeben: This makes great copy. Auflagen- und quotenfördernd ist es allemal.
Warum aber lassen sich Abgeordnete und Minister in ungezählten Talkshows auf dieses Niveau herunterziehen? Weil es auch ihnen nützlich sein könnte. Werden bestimmte pointierte Statements von der Öffentlichkeit gut aufgenommen, dann kann man sie sich zu Eigen machen. Werden sie abgelehnt, dann lässt sich stets darauf verweisen, dass der oder die Betreffende schließlich keine Funktion innehat, ja, nicht einmal Mitglied der jeweiligen Partei ist. Arnulf Baring mutierte so innerhalb weniger Tage vom „bedeutendsten deutschen Historiker“ (Bild) zum ehemaligen Anhänger von Willy Brandt.
Der gemeine Talkshow-Gast erfüllt heute ungefähr dieselbe Funktion, die früher der Vorkoster am Fürstenhof innehatte: Er hat erst einmal zu prüfen, welche Meinungsäußerung bedrohlich sein könnte. Ist das geklärt, dann können Politiker auf dem nunmehr gesicherten Wege folgen. Dieses Verhalten zeugt nicht gerade von Zutrauen in die Überzeugungskraft eigener Konzepte und in die Funktionsfähigkeit demokratisch legitimierter Institutionen. Es ist kein Zufall, dass die Opposition gerade jetzt das ehrwürdige Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Verlängerung des Wahlkampfs mit anderen Mitteln missbraucht.
Schlimm genug, wenn sich das politische Fußvolk aus Angst vor Popularitätsverlust dieser Form des Populismus nicht mehr zu widersetzen wagt. Wenn jedoch selbst der Regierungschef sich den vermuteten Gesetzen des Medienmarktes im beschriebenen Ausmaß zu unterwerfen bereit ist, dann bedeutet das eine Missachtung der eigenen Funktion. Will man nämlich nicht unterstellen, dass der Kanzler schlicht die häusliche Auseinandersetzung scheut, dann liegt der Verdacht nahe, dass er gerne seine Ehefrau vorschickt, um immer mal wieder die Außentemperatur zu testen. Dafür ist er nicht gewählt worden.
Oskar Lafontaine war nicht nur Finanzminister, sondern auch Vorsitzender der SPD. Er hat den Bettel auf eine Art und Weise hingeschmissen, die eine bis dato beispiellose Missachtung seiner Anhänger bedeutete. Unvergessen das Bild, wie er seinerzeit auf dem Balkon des Eigenheimes stand, den kleinen Sohn auf den Schultern, und wartenden Journalisten zurief, dass er gar nicht verstünde, was sie von ihm wollten. Als Privatmann müsse er keine Interviews geben.
Ein Privatmann, fürwahr! Diese Äußerung alleine hätte eigentlich für ein Parteiordnungsverfahren genügen müssen – jedenfalls zeugte sie von sehr viel größerer Verachtung gegenüber demokratischen Prinzipien als Lafontaines unangemessener Vergleich zwischen Schröder und dem gescheiterten Reichskanzler Brüning, der Hitler unfreiwillig den Weg bereitet hatte. Unmittelbar nach dem Rücktritt des ehemals starken Mannes aber hat sich keiner an Lafontaine herangewagt. Und offenbar glaubt der SPD-Vorsitzende bis heute, seine Frau vorschicken zu müssen. Da braucht man sich über fehlende Konzepte der rot-grünen Koalition eigentlich nicht zu wundern.
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