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Schönes neues Österreich

Nach der Wahl: Eine Neuauflage der rot-schwarzen Antireformkoalition käme einem Wiederbelebungsprogramm der abgestürzten Freiheitlichen Jörg Haiders gleich

Entscheidend war Wolfgang Schüssels Mut, längst fällige Reformen in Angriff zu nehmen

Österreich bietet nach dem Triumph von Kanzler Wolfgang Schüssels ÖVP ein neues Bild. Die Aufstiegskurve der Haider-Partei, bisher mit dem Lineal schräg nach rechts oben verlängerbar, brach von 26,9 Prozent auf 10,2 Prozent ab. Sozialdemokraten wie Grüne hatten wesentlich mehr erwartet. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen schien stattzufinden, Rot-Grün im Bereich des Möglichen zu liegen. Wie konnte es so anders kommen?

Die erste, nicht sehr angenehme Lehre aus diesem Wahlergebnis lautet: Es gibt in Österreich nach wie vor keine Mehrheit links der Mitte. Auch Kreiskys legendäre absolute Mehrheit der SPÖ war mit Hilfe jener heimatlosen Rechten (inklusive der alten Nazis) gelungen, denen er angeboten hatte, „ein Stück des Weges mit ihm zu gehen“. Die Hoffnung auf einen Richtungswahlkampf blieb leer. Österreich wählt weiterhin rechts. Die zweite Lehre ist angenehmer. Das kleine Land, das mit dem unaufhaltsam scheinenden Aufstieg des Rechtsextrempopulisten Jörg Haider ein europäisches Signal setzte, zieht diese Flagge wieder ein. Die Haider-Partei ist auf exakt jenen Stand reduziert, den sie hatte, als Jörg Haider 1986 ihre Führung übernahm. Kanzler Schüssel hatte seinen Anteil an dieser Entwicklung; er wird nun allgemein als Drachentöter angesehen. Wobei der Drache Haider noch nicht ganz tot ist. Zu oft wurde er schon totgesagt, und Totgesagte leben bekanntlich länger.

Schüssel hatte das politische Tabu gebrochen und die Haider-Partei in die Regierung aufgenommen. Anschließend spaltete er die Haider-Partei in eine Regierungs- und eine Haider-Fraktion, umarmte die eine und versuchte die andere kaltzustellen. Als die Haideristen die Regierungsgruppe putschartig unter Druck zu setzen begannen, traten einige FPÖ-Minister zurück. Schüssel nutzte die Gunst der Stunde, ließ die Regierung platzen und setzte Neuwahlen an.

Keineswegs darf jedoch übersehen werden, dass die Sanktionen der Europäischen Union bei dieser Strategie von großer Bedeutung waren. Man hat sie zwar zu Recht als politisch wenig durchdacht und juristisch ungeschickt kritisiert. Sie bewirkten aber, dass sich Haider nicht als Vizekanzler in die Regierung setzte und bald auch – zumindest formell – den Parteivorsitz abgab. So ermöglichten die Sanktionen erst Wolfgang Schüssels Strategie der Spaltung. Das anhaltend kritische gesellschaftliche Klima gegenüber der freiheitlichen Regierungsbeteiligung, der so genannte Widerstand, spielte demgegenüber eine nicht zu unterschätzende, aber eben doch eine geringere Rolle.

Dritte Lehre: Das Wahlergebnis ist europäisch. Der Sanktionen wegen, aber auch, weil Schüssel, der zu allzu vielen Provokationen des mitregierenden rechten Randes schwieg, immer klarstellte, dass er die Zustimmung zur EU-Erweiterung keineswegs in Frage stellen lassen ließ. Keine andere Partei hat sich so entschlossen als Europapartei dargestellt wie die ÖVP, obwohl gerade sie durch den Haider-Pakt das europäische Ansehen Österreichs nachhaltig beschädigte. Die Grünen versteckten ihren intellektuellen, aber unberechenbaren Johannes Voggenhuber – einen der führenden Köpfe – beim EU-Konvent. Die Roten machten so gut wie nichts aus der Kandidatur Wolfgang Petritschs, der als High Representative in Sarajevo hervorragende Arbeit geleistet hatte. Und die FPÖ stand mit Veto-Drohungen gegen den Beitritt Tschechiens und mit Haiders Reisen zu Saddam Hussein geradezu für die Beschädigung österreichischen Ansehens in Europa.

Schüssels Sieg hatte eine Reihe weiterer Ursachen. Zuerst den Kanzlerbonus; Österreich ist autoritätsgläubig. Bis auf die Info-Illustrierte News stand Schüssel die gesamte Medienlandschaft inklusive des mächtigen, angeblich von der Regierung „entparteipolitisierten“ ORF (noch nie war er so schwarz wie heute) und der fast ebenso mächtigen Kronenzeitung zu Gebot (die vergebens versucht hatte, ihn von der Bildung seiner Regierung abzubringen). Eine gewisse Bedeutung hatte wohl auch die Übertragung der derzeitigen, hysterisierten Anti-Rot-Grün-Stimmung in Deutschland.

Entscheidend dürfte aber Schüssels Mut gewesen sein, diese Regierung zu bilden und längst fällige Reformen in Angriff zu nehmen. Er stellte damit einen glaubwürdigen Kontrast zu jenen rot-schwarzen Blockaden dar, deren Teil er jahrzehntelang selbst gewesen war. Er signalisierte, wenn auch viele seiner Reformen ungeschickt oder ungerecht ausfielen, immerhin den Willen zu Reformen und unterstrich seine Fähigkeit, Modernität wenn nicht zu praktizieren, dann wenigstens darzustellen. Etwa durch die Aufnahme des überaus populären FPÖ-Finanzministers Grasser in sein „Kompetenzteam“.

Allein vom Gesichtspunkt der Modernisierung des Landes aus dürfte es nun nimmermehr eine schwarz-rote Koalition geben. Dennoch ist gerade sie die wahrscheinlichste Perspektive. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hatte zwar versprochen, bei Platz zwei in Opposition zu gehen, aber hatte nicht Schüssel bei der letzten Wahl desgleichen getan? Der gelernte Österreicher weiß, was er von so was zu halten hat. Starke Kräfte in ÖVP und SPÖ drängen auf Rot-Schwarz; die Sozialpartner zuallererst, die Mächtigen in den großen Medien und dazu der rote Wiener Bürgermeister Häupl und der schwarze niederösterreichische Landeshauptmann Pröll, zwei starke Männer in ihren Parteien. Schwarz-Rot wäre jedoch ein Haider-Wiederbelebungsprogramm, denn es würde die Fortsetzung von Reformblockaden und Postenschacher bedeuten, die den Nährboden für Haiders Aufstieg bildeten.

Die FPÖ ist auf jenen Stand reduziert, den sie hatte, als Haider 1986 ihre Führung übernahm

Eine Koalition mit den Grünen scheint ausgeschlossen, weil zu wenig von einem politischen Projekt zu sehen ist. Allgemein würde es zwar als spannend empfunden, es ist jedoch auf beiden Seiten inhaltlich und personell kaum angedacht. Die Grünen haben vermutlich nicht vor, sich wegen ein paar Ministerposten zerreiben zu lassen.

Die FPÖ und ihr Obmann Herbert Haupt hingegen können ihre Regierungsgeilheit kaum verbergen; gäbe es die Reste dieser Partei ohne Haider, wäre die Fortsetzung von Schwarz-Blau gesichert. Der brachte mit seinem Ritual des Rücktritts und Rücktritts vom Rücktritt die Partei wieder hinter sich; nun würde sie von Dissidenten gesäubert, Grasser und andere waren schon ausgeschlossen. Nur wenige Stunden später galt das Kommando: alles zurück. Die Basis rebellierte, Haupt übte Selbstkritik. Kann sein, dass am FPÖ-Parteitag im Dezember Jörg Haider tatsächlich abmontiert wird und auch von seinem Amt zurücktritt. Eine haiderfreie FPÖ bleibt nämlich so lange Wunschdenken, wie Haider Landeshauptmann von Kärnten bleibt. Kanzler Schüssel, ohnehin ein Meister des Koalitionspokers, hat jedenfalls alle Karten in der Hand. Er kann mit allen drei Parteien koalieren, mit Sicherheit für seine ÖVP das Maximum herausholen und seine Kanzlerschaft auf Jahre absichern. Wer immer sein Partner wird, darf sich warm anziehen. ARMIN THURNHER

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