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Chemiewaffen im Hühnerstall?

Laut Berichten britischer Zeitungen versucht die irakische Regierung derzeit, Schlüsselkomponenten ihrer Waffenprogramme vor den UN-Inspektoren zu verstecken – in privaten Wohnhäusern von Beamten und Wissenschaftlern sowie auf Bauernhöfen

von BERND PICKERT

Wenn man den britischen Zeitungen Times und Independent Glauben schenken darf, dann ist der irakische Staatschef Saddam Hussein gerade dabei, die UN-Waffeninspektoren erneut an der Nase herumzuführen. Unter Berufung auf Geheimdienstberichte, die dem britischen Premierminister Tony Blair vorlägen, berichten die Zeitungen, Hussein habe Wissenschaftlern, Beamten und leitenden Persönlichkeiten der regierenden Baath-Partei befohlen, wesentliche Teile irakischer Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen in ihren Wohnhäusern zu deponieren und so vor dem Zugriff der UN-Inspektoren zu schützen.

Auch irakische Bauern seien aufgefordert worden, Lagerbestände von Chemiewaffen unter ihren Pflanzenschutzmitteln zu verbergen, berichten die Zeitungen. Allen sei mit harten Konsequenzen für sie und ihre Familien gedroht worden, sollten sie sich weigern, den Aufforderungen Folge zu leisten.

Blair und US-Präsident George W. Bush, schreibt die Times, seien über diese jüngsten Enthüllungen so aufgebracht, dass sie überlegten, sich persönlich mit einem Aufruf an die irakischen Beamten zu wenden, um sie zur Zusammenarbeit mit den Inspektoren aufzufordern. Das Regelwerk der Inspektoren sieht ausdrücklich die Möglichkeit des Überlaufens irakischer Geheimnisträger vor. Die Inspektoren sind berechtigt, Gespräche und Verhöre mit Personen zu führen, von denen sie annehmen, dass sie über entsprechende Informationen verfügen.

Die Geheimdienstberichte sprechen laut Times und Independent auch davon, dass es im Land selbst eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Führung gebe. So habe das Regime eine informelle Umfrage durchgeführt. Als Frager seien Kurden eingesetzt worden, die bei Dissidenten eher im Ruf stünden, ihrerseits regimekritisch eingestellt zu sein, und denen insofern vertraut würde. Die Antworten, so die Times, zeigten deutlich, dass die Menschen auf ein besseres Leben in einer Post-Saddam-Ära hofften. Allerdings hätten viele Iraker auch Angst vor dem Zerfall des Landes nach dem Sturz des Regimes.

Die Saddam-Regierung sei in Unruhe versetzt worden, nachdem bei der Stimmabgabe zu einem Referendum über den Verbleib Saddam Husseins an der Regierung nicht, wie offiziell behauptet, 100 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben hätten, sondern in Wirklichkeit nur etwa jeder Dritte. Saddam habe darüber hinaus schon vor Monaten damit begonnen, sich die Loyalität seiner Getreuen durch materielle Zuwendungen zu sichern: So hätten höhere Beamte Toyotas erhalten, untere Beamte südkoreanische Kias.

Wie die Zeitungen an die Informationen gekommen sind, legen sie nicht offen – zitiert werden ausschließlich namenlose Geheimdienstquellen. Auch ob diese von sich aus an die Zeitungen herangetreten sind oder von diesen gezielt kontaktiert wurden, wird nicht genannt. Die Geheimdienste wiederum hätten die Informationen vor allem aus abgehörten Telefongesprächen und von Informanten aus dem Irak selbst erhalten. Während der Independent darauf eingeht, dass sich beim letzten Golfkrieg mehrere Geheimdienstberichte im Nachhinein als Fälschung herausstellten, stellt die Times die Informationen nicht in Frage.

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