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Plappern verboten

Kanzler Schröder und die Grünen kritisieren SPD-Fraktionschef Müntfering. Der hatte für weniger Konsum, für mehr Staat und mehr Steuern plädiert

aus Berlin HANNES KOCH

Innerhalb und außerhalb der SPD haben die jüngsten Äußerungen von Fraktionschef Franz Müntefering über die Rolle des Staates und die Steuerpolitik helle Empörung ausgelöst. Nach der Präsidiumssitzung der SPD kritisierte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern die „Kakophonie aus den eigenen Reihen“. Kritik hagelte es auch von diversen Wirtschaftsverbänden und vom grünen Koalitionspartner.

In einem Zeitungsinterview hatte SPD-Fraktionschef Müntefering als Devise formuliert: „Weniger für den privaten Konsum –und dem Staat Geld geben, damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können.“ Über die Idee, weitere „befristete Steuererhöhungen“ zu beschließen, hatte Müntefering gesagt: „Dieser Gedanke muss einem nicht fremd sein.“

Schröder stellte gestern klar, dass „es keinen Anlass zu weiterführenden Debatten“ gebe. Dies habe er im Präsidium seiner Partei „freundlich“, aber mit aller „Deutlichkeit“ festgestellt. Der Kanzler und Parteichef legte nahe, dass eine zusätzliche Steuererhöhung, etwa eine flächendeckende Anhebung der Mehrwertsteuersätze, nicht in Frage komme. Die notwendigen Maßnahmen seien in den bisherigen Plänen der Bundesregierung „exakt“ beschrieben.

Die Grünen grenzten sich grundsätzlich von den Äußerungen Münteferings ab. „Wir halten nichts von Konsumverzicht“, sagte Parteichefin Claudia Roth. Ihr sind ähnliche Debatten – Stichwort „fünf Mark pro Liter Benzin“ – und ihre Folgen bekannt. Stattdessen müsse die Binnenkonjunktur angekurbelt werden, sagte Roth. Nur so ließen sich mehr Arbeitsplätze schaffen. Über die Politik der SPD hieß es in der grünen Fraktion: „Man kann vieles tun, um unter 20 Prozent zu kommen.“

Für den kleineren Koalitionspartner geht die Position des SPD-Fraktionschefs über einen einfachen Streit um Maßnahmen hinaus. Manche Grüne sehen eine grundsätzliche Differenz im Verständnis dessen, was der Staat leisten soll. So stellte die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel in den Vordergrund, dass die Belastung der Bürger mit Steuern abnehmen, nicht zunehmen müsse. Die Debatte über weitere Steuererhöhungen würden die Grünen nicht führen, sagte Scheel. In eine ähnliche Richtung ging die Kritik von CDU-Chefin Angela Merkel. Sie warf Müntefering „eine perverse Auffassung vom Staat“ vor. Dieser habe den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.

Während eines Wirtschaftsempfanges der SPD riet Arno Metzler, Geschäftsführer des Bundesverbandes freier Berufe, dem sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden: „Nicht alles sofort an die Presse ausplappern.“ Müntefering selbst hat seine Steuer-Stellungnahme inzwischen relativiert. Es sei ihm um den Vorstoß von Nordrhein-Westfalen gegangen, die Vermögensteuer zu erhöhen, um Bildungsinvestitionen zu bezahlen. Die Staats- und Steuerdebatte war nicht der einzige Quell der Missstimmung. Die Grünen wollen die Rente bald ändern, SPD-Generalsekretär Scholz ist nicht dafür.

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