: Aus dem Schatten zerren
Fast vergessene Frauenbiographien ins Visier genommen: Elfriede Brüning und Christiane Barckhausen-Canale lesen im Literaturzentrum über den Werdegang der Schriftstellerin Cläre Jung und der Fotografin Tina Modotti
Frauen im Schatten ihrer Männer – ein immer aktuelles Phänomen. Weibliches Schattendasein bedeutet, dass mindestens ein Mann im Umfeld der Frau sämtlichen Ruhm kassiert. Verdienstvolle Frauen dagegen bekommen oft nicht einmal einen Eintrag im Lexikon. Zum Glück gibt es aber immer wieder Bemühungen, in Vergessenheit geratene Frauen in den Blick zu nehmen.
Direkt nach Appell klingt der Titel einer Lesung im Literaturzentrum am kommenden Montag: Frauen, an die wir uns erinnern sollten. Zu diesen Frauen zählen die Schriftstellerin Cläre Jung und die Fotografin Tina Modotti. Und noch eine Dritte, die eigentlich zu den Referentinnen gehört: Elfriede Brüning.
Brüning, Jahrgang 1910, ist die letzte Frau im 1928 gegründeten „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, dem auch Anna Seghers und Bert Brecht angehörten. Schon als Jugendliche hatte Brüning mit dem Schreiben begonnen. Während der 20er schrieb sie für Berliner Tageszeitungen, später Romane und Tatsachenberichte. In ihrer Autobiographie heißt es: „Ich wollte schreiben, immer nur schreiben.“ Unermüdlich scheint die Schriftstellerin, die in der ehemaligen DDR zu den meistgelesenen gehörte, auch noch heute. Die Leiterin des Literaturzentrums, Heidemarie Ott, ist beeindruckt vom Engagement der alten Dame: „Sie ist eine ganz ungewöhnliche Person, die nicht mit Verbitterung auf die Vergangenheit reagiert. „Es ist ein Phänomen, wie jemand mit 92 noch so vital sein kann.“
Tatsächlich kam die Anregung zu einem Abend über vergessene Frauen von der Autorin selbst. Zudem passt das Thema gut in die Veranstaltungsreihe über Frauenbiographien im Literaturzentrum. Heidemarie Ott: „Brüning, Modotti und Jung sind alle herausragende Frauen, die gegen die Zumutungen ihrer Zeit standen. Die etwas gewagt haben, was selbst heute viele Frauen nicht wagen.“ Am Montag wird Brüning aus einem Vortrag über Cläre Jung lesen, die an der Seite ihres zweiten Mannes Franz Jung linkspolitisch aktiv war.
Auch die dritte Frau des Abends ist eine sozialistisch geprägte Persönlichkeit: Die Italienerin Tina Modotti emigrierte schon als Jugendliche nach San Francisco und modelte dort in den 20ern für ihren späteren Mann Edward Weston. Über ihn kam sie zur Fotografie – als eine der ersten Frauen überhaupt. Lange stand sie im Schatten ihres Mannes, bis sie mit ästhetischen und politischen Sozialreportagen über die mexikanische Bevölkerung ihren Stil fand. Christiane Barckhausen-Canale, die Tochter von Elfriede Brüning, wird aus ihrer Biographie über die Fotografin lesen. Liv Heidbüchel
Montag, 16. Dezember, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38
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