piwik no script img

Reformiert die Religion!

Der Weg nach Europa (6): Nur wenn die türkischen Eliten einen europäischen Islam ausprägen und propagieren, hat die Türkei künftig einen Platz in der Europäischen Union

Die Beschimpfung der EU als Christenclub darf nicht von den anstehenden Aufgaben ablenken

Das Hauptargument gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft ist, dass die Türkei ein islamisches Land sei und daher nicht in eine christlich-westlich orientierte Wertegemeinschaft passe. Doch der Hinweis auf den islamischen Charakter eines Landes genügt nicht, um ihm die Mitgliedschaft in der EU zu verweigern. Der Islam ist bei seiner Religionsstiftung zwar arabisch gewesen, aber als eine Alltagskultur hat er sich im Rahmen seiner Verbreitung an andere kulturelle Umwelten angepasst, so dass es im Islam eine große Vielfalt gibt; er kann also auch europäisch werden. In Westafrika habe ich den Islam als Afro-Islam erlebt, der den lokalen afrikanischen Kulturen nach seiner Anpassung nicht fremd ist. So wie es in Afrika einen Afro-Islam gibt, lässt sich in Indien beobachten, dass die dortigen Muslime einen Indo-Islam, also einen anderen als den arabischen Islam, in ihrer Alltagskultur praktizieren. Warum sollte dies nicht in Europa möglich sein?

Der Euroislam wäre ein wertemäßig und alltagskulturell europäisierter Islam, der mit säkularer Demokratie, individuellen Menschenrechten, Zivilgesellschaft, laizistischer Toleranz, Kultur- und Religionspluralismus vereinbar ist. Wenn ein solcher Islam in der Türkei akzeptiert würde, dann könnte das Argument entkräftet werden, dieses Land sei islamisch und passe daher nicht in die EU.

Davon ist die Türkei aber weit entfernt: Ihre Säkularisierung unter Kemal Atatürk erfolgte oberflächlich und basiert auf einer „Revolution von oben“. Nicht zivilgesellschaftlich, sondern allein durch Verordnung per Dekret brachten die Kemalisten die säkulare Modernität in die türkische Gesellschaft. So wurden die Scharia und ihre Gerichte vom Staat verboten, ohne dass es hierfür eine Religionsreform als Grundlage gab. Die Europäisierung wurde durch Verbot der traditionellen islamischen Symbole wie Schleier und Turban verordnet. Seit mehreren Jahrzehnten blühen sowohl der Islamismus als auch der orthodoxe Islam als Widerstand gegen diese verordnete Säkularisierung. Aus diesen Fakten geht hervor, dass weder von den Kemalisten noch von ihren Gegnern der Versuch gemacht wurde, einen türkisch-europäisch orientierten Islam zu etablieren. Das Schleierverbot durch die Kemalisten sowie die entgegengesetzte ostentative Zurschaustellung des Kopftuches durch die AKP-Islamisten können nicht als euroislamisch gedeutet werden. Beide Extreme finden wir sowohl in der Türkei als auch in der türkischen Islam-Diaspora in Westeuropa.

Als Beispiel für die bislang fehlende europäische Kompatibilität des Islam in der Türkei ist die oberflächlich kemalistisch orientierte Diyanet-Behörde, die unter anderem Imame nach Deutschland schickt und auf die laizistische Trennung von Religion und Politik nur formal achtet. Diese Behörde ist jedoch schon lange islamistisch unterwandert und schickt deshalb keine europäisch orientierten Imame in den Westen. Wären die entsandten Imame Vorbilder für einen Euroislam, wäre dies eine gute Werbung für die Türkei als EU-Land.

Doch nach Werbung steht Erdogan nicht der Sinn. Bei seinem Besuch in Berlin machte er deutlich: „Ein Datum für die Aufnahme der EU wäre ein positives Signal dafür, dass es keine Diskriminierung der islamischen Welt mehr gibt.“ Das klingt wie eine Erpressung, bei der faktisch weggezaubert wird, dass das Kopftuch eine Scharia-Vorschrift ist; nur in einem Gottesstaat wie dem Iran gibt es für diese Vorschrift ein islamisches Gesetz. Kommt dies nun auch auf die Türkei zu? Das passt nicht zu Europa – und auch nicht zu einer säkularen Türkei. Es gibt zahlreiche Indizien, die die Glaubwürdigkeit der Europa-Kompatibilität der AKP-Islamisten in Frage stellen. Bei der AKP findet sich keine Spur von Reformtheologie; der einzige bekannte türkische Reformtheologe, Öztürk, wirkt bei der sozialdemokratischen CHP mit.

Das zweite Problem ist der Bedarf des Westens an einen islamisch-westlichen Sicherheitsdialog angesichts der anhaltenden Bedrohung des islamistischen Dschihad-Terrorismus. Der Dschihadismus ist heute eine wichtige Strömung innerhalb der islamischen Zivilisation. Die Dschihadisten des politischen Islam sind keine Einzelgänger und berufen sich nicht auf Konfuzius oder Buddha, sondern auf die islamische Dschihad-Doktrin und glauben, in ihrem Dienst zu stehen. Die Sicherheitsdienste sprechen von einem Dschihad-Netz mit etwa 7 Millionen Dschihadisten. Das ist eine Minderheit unter den 1,5 Milliarden Muslimen, aber sie ist sehr wirksam. Zudem ist es falsch zu behaupten, dass der Dschihadismus gar nichts mit dem Islam zu tun habe; er ist eine religiös-politische Interpretation. Wenn die AKP-Funktionäre nur ein kleines Zeichen einer der reformislamischen Richtung in Europa förderlichen Geste gegeben hätten, wäre ich geneigt, Erdogan bei seinen Berliner Äußerungen Glauben zu schenken, aber dies ist nicht geschehen. In Berlin sagte der Islamist Erdogan seinen nicht informierten deutschen Gesprächspartnern, „dass der von vielen befürchtete Zusammenstoß der Zivilisationen beim EU-Beitritt der Türkei nicht stattfinden wird“. Und wie steht es mit der Scharia-Vorschrift des Kopftuchs? Wie sagte Goethe so schön? „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“

Die Türkei muss nicht nur ihre wirtschaftlichen Probleme lösen und ihr politisches System international gültigen Menschenrechtsstandards anpassen, um europafähig zu werden; auch und vor allem müssen türkische Eliten und dortige religiöse Führer an einem Islam arbeiten, der Reformen zulässt. Weder der Islamismus der AKP noch der orthodoxe Islam der Diyanet-Behörde passen zu Europa. Für mich als Reformmuslim bieten islamische Enklaven der Hidjra- Migranten kein Vorbild. Ein islamischer Migrant kann durch die Annahme einer europäischen Bürgeridentität ein Euromuslim werden; diese Erkenntnis gilt für die Türkei. Anders formuliert: Die Türkei muss noch viele Hausaufgaben bewältigen, ehe sie europatauglich wird. Eine Beschimpfung Europas als Christen-Club soll nicht von der fehlenden Erfüllung der anstehenden Aufgaben ablenken.

Weder die Kemalisten noch ihre Gegner haben versucht, einen europäischen Islam zu etablieren

Eine europäische, nicht aber eine von Islamisten regierte Türkei kann zur EU gehören. Auch der Islam gehört zu einer europäischen Türkei, aber nur als reformierter Euroislam. Eine islamische Theologie, die die Trennung von Religion und Politik legitimiert, säkulare Demokratie, Pluralismus und individuelle Menschenrechte zulässt, dies schulden uns die AKP-Islamisten. Wenn die AKP uns Anzeichen einer euroislamischen Version offen legen würde, könnten wir aufhören, sie als islamistisch zu bezeichnen. Diese Hausaufgabe wird nicht durch den Besuch Erdogans bei Bush ersetzt. Dieser hatte dem Islamistenführer kürzlich gesagt: „Sie sind ein Freund und Verbündeter.“ Es ging um den Irakkrieg. Bush will die Europäer zwingen, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen, um seinen strategischen Verbündeten zu belohnen. Doch dies darf nicht als Kriterium für die Aufnahme gelten.

BASSAM TIBI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen