: Voll krass, digga
Kunstsprache, die aus der Notwendigkeit erwuchs, den Arbeitslärm zu übertönen: Sondersprachenforscher Klaus Siewert hat in seinem Buch „Die Kedelkloppersprook“ die von 1850 bis 1930 im Hafen von den Kesselklopfern benutzte Geheimsprache erstmals schriftlich und akustisch fixiert.
Haste maloche oder miese? Dann gibt‘s bambule? – Viele Begriffe aus dem Kiez-Rotwelsch haben inzwischen Eingang in die Alltagssprache gefunden. Dennoch sind längst noch nicht alle historischen und regional begrenzten Insidersprachen erforscht. Mit seinem Buch über die „Kedelkloppersprook“ hat Klaus Siewert jetzt die erste ausführliche Studie über eine im Hamburger Hafen entstandene Geheimsprache vorgelegt. Kurz vor ihrer Extinktion gelang es dem Sondersprachenforscher, diese Spezies erstmals schriftlich und tontechnisch zu fixieren.
Die „Kesselklopfersprache“ ist nicht mit einem Dialekt zu verwechseln. Entstanden ist sie Mitte des 19. Jahrhunderts im Hamburger Hafen unter den Kesselklopfern – Arbeitern, die die Rückstände, die bei der Dampferzeugung zurückblieben, von den Kesselwänden schlugen. Durch ihre spezielle Verfremdungstechnik auf Basis des Plattdeutschen wurden die einzelnen Silben der Worte und besonders die Anfangskonsonanten gegen den Arbeitslärm hervorgehoben und somit verständlich. „Der erste Buchstabe (nur Konsonanten) des Wortes oder der Silbe werden nach hinten versetzt und ein i angehängt“, erklärt einer Insider. Also: Esthi udi eni Igazietteri orfi mi? – Hast Du eine Zigarette für mich?
Ähnlich wie heute Sprachcodes die Zugehörigkeit zu bestimmten Interessens- und Altersgruppen identifizieren, entwickelte sich die Kedelkloppersprook zu einer Geheimsprache unter den wenig angesehenen Kesselklopfern, um sich von in der Sozialhierarchie höher gestellten Hafenarbeitern abzugrenzen. Aber auch ihre Verwendung gegenüber britischen Gefängnisaufsehern im Ersten Weltkrieg, polnischen Fremdarbeitern und Nazi-Kollegen kann Siewert belegen.
Um 1930 verlor die Dampfschifffahrt ihre Bedeutung, und das Kedelkloppern wandelte sich zu einer „Spielsprache“ unter Kindern auf Schulhöfen und Spielplätzen. Noch heute sollen ältere Kiez-Ganoven sich ihrer bedienen. Klaus Siewert lässt viele ehemalige Hafenarbeiter zu Wort kommen, die die gesellschaftlichen Umstände der Zeit 1850 bis 1950 im Hafen und in St. Pauli schildern. Exkurse über andere Kunstsprachen wie die unter Kalle-Blomquist-LeserInnen beliebte Räubersprache und drei Kneipenschlager der Zeit runden die akademische Rundschau ab.
Christian T. Schön
Klaus Siewert: Die Kedelkloppersprook - Geheimsprache aus dem Hamburger Hafen, 2002, Selbstverlag, mit Audio-CD, 19,90 Euro
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