Zurück auf Anfang

Den Grünen steht ein erneuter Verhandlungsmarathon mit Schily und der Union bevor

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Einen Vorteil hatte das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Rot-Grün: Überraschend kam es nicht, das vorläufige Scheitern des Zuwanderungsgesetzes. Dafür hatte es zu viele Vorwarnungen aus Karlsruhe gegeben. Also konnte man sich vorbereiten. Äußerlich entsprechend gelassen reagierte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). „Haben Sie mich schon einmal zornig erlebt?“, fragte er gestern auf seiner Pressekonferenz. „Das sieht ganz anders aus!“

Auch die Grünen taten so, als wäre nicht gerade die Reform des Einwanderungsrechts gestoppt worden, für die sie jahrelang gekämpft hatten. Der grünen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt gelang es sogar, etwas Positives aus dem Urteil herauszuinterpretieren. Die kleinen Parteien seien in Karlsruhe „sehr gestärkt“ worden, befand Göring-Eckardt, weil nun klar sei, dass sie im Bundesrat nicht einfach vom großen Koalitionspartner überstimmt werden können.

Die Position der Grünen innerhalb der Bundesregierung ist freilich keineswegs leichter geworden. Im Gegenteil: Eigentlich – und das konnten die ersten Reaktionen nur mühsam überspielen – muss es den Grünen grauen vor dem neuen Verhandlungsmarathon mit Schily und der Union, der nun bevorsteht.

Die Koalition einigte sich gestern darauf, das Zuwanderungsgesetz im Januar noch einmal unverändert in den Bundestag und später in den Bundesrat einzubringen. Dann soll im Vermittlungsausschuss noch einmal mit der Union verhandelt werden. Genau diesen Weg hatte Rot-Grün im März noch abgelehnt – weil die Grünen damals nicht zu weiteren Zugeständnissen an die Union bereit waren.

Was sich an dieser Haltung geändert habe, wurde Grünen-Chefin Angelika Beer gestern gefragt – sie blieb eine Antwort schuldig. Auch Göring-Eckardt wollte über mögliche Verhandlungspunkte ebenso wenig „öffentlich spekulieren“ wie Schily. Kein Wunder: Schon das bisherige Gesetz war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, der vielen in der grünen Partei schon viel zu weit ging. Das Familiennachzugsalter wurde nicht auf 18 Jahre erhöht, wie es die Grünen ursprünglich wollten, sondern auf 12 Jahre heruntergesetzt. Das eigentlich Neue und Innovative an dem Gesetz, nämlich das Punktesystem für neue Migranten, wurde eingedampft und sollte laut Schily „frühestens in zehn Jahren“ zur Anwendung gebracht werden. Um das Gesetz zu retten, schluckten die Grünen auch einige Kröten, etwa die „Ausreisezentren“ für abgelehnte Flüchtlinge. Es grenzt deshalb an Euphemismus, dass die Grünen-Chefin Beer gestern sagte, schon das bisher vorliegende Gesetz sei in ihrer Partei „hoch und runter diskutiert“ worden. Diese Diskussion dürfte neu beginnen.

Die zuständigen Unionspolitiker erklärten, mit Schily könne man sich rasch einigen. Eine Übereinstimmung zwischen der CSU und den Grünen wäre aber „extrem schwierig“, sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) gestern und verwies auf die Wunschliste der Union. Die ist lang – und widerspricht allen Zielen der Grünen aus den letzten Jahren. Was von den Grünen durchgesetzt wurde, wollen CDU und CSU streichen: die Härtefallregelung für Flüchtlinge, die Ermessensspielräume beim Familiennachzug und den verbesserten Schutz für Opfer nichtstaatlicher Verfolgung. „Die Bundesregierung muss auf unsere Position zugehen“, forderte CSU-Chef Edmund Stoiber.

Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt entgegnete: „Wir wollen, dass die wesentlichen Punkte, die in dem Gesetz enthalten sind, erhalten bleiben.“ Dazu gehöre auch der „Flüchtlingsschutz“. Wie unter diesen Voraussetzungen ein Kompromiss zwischen CSU und Grünen zustande kommen soll, dafür fehlte dem innenpolitischen Sprecher der FDP, Max Stadler, die Fantasie. „Von der Sache her wäre es notwendig, dass ein Zuwanderungsgesetz zustande kommt“, sagte Stadler der taz.

Richtig beginnen werden die Verhandlungen erst nach den Landtagswahlen im Februar. Aber leicht werden sie nur, wenn sich der Traum von Grünen-Chefin Angelika Beer erfüllt: „Dann haben wir wieder eine Mehrheit im Bundesrat.“