: „Da hat mich Fischer überrascht“
Der Völkerrechtler Michael Bothe über die UN-Resolution 1441 gegen den Irak, den „Automatismus zum Krieg“ und die Interpretationskünste des deutschen Außenministers
taz: Herr Bothe, ist ein bewaffneter Angriff auf den Irak eigentlich auch ohne weitere Resolution des UN-Sicherheitsrates möglich?
Michael Bothe: Nein, nach der UN-Resolution 1441 vom 8. November muss der Sicherheitsrat neu zusammenkommen, wenn die UN-Inspekteure über ein Fehlverhalten des Irak berichten. In dieser Sitzung könnte dann eine Resolution gefasst werden, die zu einem Angriff auf den Irak ermächtigt.
„Ernsthafte Konsequenzen“ werden aber auch schon in der Resolution 1441 angedroht. Ist das keine Ermächtigung für einen Angriff?
Nein, das ist eine zu unbestimmte Floskel. Welche Konsequenzen wirklich zu ziehen sind, muss der Sicherheitsrat zu gegebener Zeit entscheiden.
Außenminister Joschka Fischer hat vor einigen Tagen erklärt, die UN-Resolution 1441 lasse offen, ob vor einem Angriff eine weitere Resolution erforderlich sei.
Das fand ich äußerst überraschend – gelinde gesagt!
Die US-Regierung und Großbritannien sagen doch: Eine Resolution wäre wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich. Ist deren Auslegung der Rechtslage völlig falsch?
Sicher hat die Resolution 1441 im Wortlaut gewisse Zweideutigkeiten. Aber wenn zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrates – ich denke hier an Frankreich und Russland – einen Automatismus zum Krieg eindeutig verhindern wollten, dann kann die Resolution 1441 nicht als das Gegenteil ausgelegt werden.
Eine der Zweideutigkeiten ist die „Erinnerung“ an Resolution 678 von 1990. Sie erlaubte der damaligen Anti-Irak-Koalition, „alle erforderlichen Mittel“ einzusetzen, um Frieden und Sicherheit in der Region wiederherzustellen. Ist diese Resolution noch in Kraft?
Die Amerikaner behaupten das. Ich halte dies aber für falsch. Resolution 678 hatte ein klares Ziel, die Befreiung Kuwaits. Dieses Ziel wurde 1991 erreicht. Dann wurden Waffenstillstandsregelungen getroffen, zu denen auch die Abrüstung des Irak gehört. Das ist ein völlig neues System von Regeln, für dessen Durchsetzung der Sicherheitsrat bis heute keine Waffengewalt erlaubt hat.
Resolution 1441 verpflichtete den Irak mit einem klaren Zeitplan, sein Rüstungsprogramm offen zu legen und mit den UN-Inspektoren zu kooperieren. Wer stellt fest, ob der Irak gegen diese Verpflichtungen verstoßen hat?
Verbindlich kann dies nur der Sicherheitsrat selbst feststellen.
Es genügt also nicht, dass der Chefinspektor Hans Blix einen Verstoß erkennt?
Die Inspektoren wurden vom Sicherheitsrat beauftragt und erstatten ihm Bericht. Wie dieser Bericht bewertet wird, entscheidet dann der Sicherheitsrat als Auftraggeber.
Muss jeder Verstoß des Irak zum Krieg führen?
Nein, es kommt ja auch auf die Art und Schwere des Verstoßes an, die auch im Gesamtkontext politisch bewertet werden muss. Außerdem darf der Sicherheitsrat bei kleineren Verstößen einen Waffengang gegen den Irak gar nicht autorisieren, da auch er das Prinzip der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ achten muss.
Was ist, wenn der Sicherheitsrat trotz eines schweren Verstoßes des Irak durch ein Veto (zum Beispiel Russlands) blockiert wird? Können dann die USA die Sache in die eigene Hand nehmen?
Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats gehört zu den verbindlichen UN-Regeln, mit denen alle Mitgliedstaaten leben müssen. Im Übrigen nutzen sie dieses Vetorecht selbst oft genug und legen weiter Wert darauf.
Wenn der Sicherheitsrat einen Krieg gegen den Irak mandatieren würde, wie würde eine solche Resolution dann aussehen?
Vermutlich würden bestimmte Staaten autorisiert, „alle erforderlichen Mittel“ anzuwenden, um die Verstöße des Irak gegen seine Verpflichtungen abzustellen.
Ist der Begriff „alle erforderlichen Mittel“ nicht auch eine unbestimmte diplomatische Floskel?
Nein, dieser Begriff ist durch eine mehr als zehnjährige Praxis bestimmt und umfasst eindeutig auch die Möglichkeit zur militärischen Gewaltanwendung.
Auch die Möglichkeit, einen Regimewechsel herbeizuführen?
Das hängt davon ab, welches Ziel der Sicherheitsrat definiert. Für die Beseitigung von Massenvernichtungsmitteln ist ein Regimewechsel nicht notwendig.INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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