Die Politik denkt, das Kapital lenkt

Der peruanische Ökonom Hernando de Soto hat eine einfache Botschaft: Lasst das globalisierte Kapital frei walten, dann wird alles gut. Schön wär’s

von ERHARD EPPLER

Bei vielen gescheiten Sachbüchern fragt man sich am Schluss: Was soll ich nun daraus lernen? Warum wurde es geschrieben? Nicht so bei Hernando de Soto, dem peruanischen Ökonomen, dem kein Geringerer als Bill Clinton bescheinigte, dass er „eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit“ löse. Und schon gar nicht fragt man sich dies bei seinem jüngsten Buch, das den – natürlich irreführenden – deutschen Titel trägt: „Freiheit für das Kapital“.

Dieses Buch hat wirklich eine Botschaft, und tatsächlich nur eine einzige, über 265 Seiten. Aber es ist gerade nicht die These, die der Titel verheißt: Nun lasst eben das globalisierte Kapital endlich frei walten, dann wird alles gut! Nein, die Botschaft ist zwar ähnlich simpel, aber doch ganz anders: Wenn es erst einmal überall auf der Welt klar definierte, einklagbare, durch Kredite belastbare Eigentumsverhältnisse gäbe, dann würden die Armen ihr Elend aus eigener Kraft überwinden. Dann würden Millionen von Kleinstunternehmen in den Slums Afrikas und Lateinamerikas aufblühen und den Wohlstand schaffen, den keine Entwicklungshilfe zuwege bringt. Nein, so de Sotos Botschaft, eigentlich fehlt es nicht an Vermögenswerten, auch nicht bei den Armen, es fehlen Grundbücher, Notariate, Dokumente, um die bescheidenen Hütten in kreditfähiges Kapital zu verwandeln.

De Soto hat errechnet, dass in den Ländern des Südens und des Ostens sich Immobilien im Gesamtwert von 9,3 Billionen Dollar im Besitz der Armen befinden. Aber weil dieses Eigentum nicht präzise legalisiert ist, kann daraus kein Kapital werden. 9,3 Billionen, das sind 9.300 Milliarden Dollar. Und alles totes Kapital. Welche Wirtschaftswunder ließen sich damit vollbringen! Gelänge es, so de Soto, durch eine Eigentumsordnung, wie sie in Westeuropa in den letzten 200 Jahren entstanden ist, diesem toten Kapital Leben einzuhauchen, dann könnten wir alles, was an Entwicklungshilfe versucht, alles, was über die Terms of Trade philosophiert wird, vergessen. Hier liege demnach das „Mystery of Capital“, wie der exakte englische Titel lautet.

De Soto ist dem Geheimnis des Kapitals auf den Fersen, in Haiti, Ägypten, Peru, aber auch in der Geschichte der Vereinigten Staaten, wo es schließlich gelang, die informellen Besitzrechte des Squatters in formelle, also kapitalfähige Rechte umzuwandeln. Der lateinamerikanische Weltökonom geht schließlich bis zu der reichlich steilen Behauptung: „Richtig betrachtet, sind die Armen nicht das Problem, sondern die Lösung.“

Ob das die Armen in den Slums von São Paolo oder Nairobi auch wissen? Seit die neoliberal interpretierte Globalisierung Triumphe feiert, vertieft sich die Kluft zwischen Arm und Reich von Jahr zu Jahr, der Abstand verdoppelt sich in weniger als 20 Jahren. Und dies alles nur, weil die Armen ihren (doch wohl recht bescheidenen) Besitz nicht zu Kapital machen können!

Wahrscheinlich ist de Soto klüger, als sein Buch vermuten lässt. Wahrscheinlich ist er kein Verfechter monokausaler Theorien, der meint, endlich den Stein der Weisen gefunden zu haben, auch wenn es Passagen gibt, die sich so lesen. Aber es finden sich auch Bemerkungen wie diese: „Eines Tages, wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, wie wichtig gute politische Institutionen und Eigentumsrechte sind.“

Die Freiheit der Politik

De Soto weiß also auch, dass es nicht nur um Grundbücher geht, sondern um einen funktionsfähigen Staat. Was helfen klare Eigentumstitel, wenn die Justiz korrupt, die Verwaltung träge ist, die miserabel besoldete Polizei keine Lust hat, Verbrecher zu stellen. Wer soll, wo der Staat verfällt wie in Westafrika oder Zentralasien, ein „integriertes Eigentumssystem“ aus dem Boden stampfen? Und was würde ein solches System da nutzen, wo das staatliche Gewaltmonopol längst durch das Recht der stärkeren Warlords ersetzt ist? Das Problem ist de Soto klar, aber er deutet es nur an, da es die Schlüssigkeit seiner These mindert: „Den Armen die Tür zum Kapitalismus aufzustoßen wird schwieriger sein, als Bulldozer durch Müll fahren zu lassen. Eher lässt es sich mit dem Versuch vergleichen, die vielen tausend Äste und Zweige eines riesigen Adlerhorstes neu zu ordnen – ohne dabei den Adler zu reizen.“

Das Bild vom reizbaren Adler zeigt, dass de Soto durchaus erkannt hat, wie sehr es hier um Fragen der Macht geht und wie ohnmächtig diese Armen sind, die vom Problem zur Lösung werden sollen. Daher ruft de Soto nach der Politik, nach einer „kraftvollen politischen Initiative“, einer, die „eine überzeugende Botschaft und ausreichende Mehrheiten“ hat.

Damit wird klar: De Soto setzt gerade nicht einfach auf den Markt, er fordert Politik, die den Armen Zugang zum Markt, auch zum Kapitalmarkt frei macht. Sein Buch lässt sich also auch lesen als eine der vielen Spezialstudien zum Generalthema der Institutionen. Entwicklungspolitiker begreifen inzwischen, dass es wirtschaftlichen Fortschritt nur da geben kann, wo man sich auf Institutionen verlassen kann, solche der Zivilgesellschaft (Industrie- und Handelskammern, Gewerkschaften, karitative Vereine) und solche des Staates (Verwaltung, Justiz, Polizei). Zu diesen Institutionen, ohne die die Märkte nicht funktionieren, gehört auch unter anderem, eine verlässliche Eigentumsordnung. Sie lässt sich nur dort aufbauen, wo eine kompetente Verwaltung sich nicht korrumpieren lässt und wo politische Kräfte das, was sie im Interesse des Gemeinwohls als nötig erkannt haben, über ihre Partikularinteressen stellen. Kurz: Es geht gerade nicht um die Freiheit für das Kapital – die niemand mehr zu postulieren braucht –, sondern um die Fähigkeit der Politik, den Märkten einen verlässlichen Rahmen zu zimmern.

Das „Mystery of Capital“ besteht darin, dass das Kapital die Ordnung nicht schaffen kann, in der es gedeiht, ja dass es Politik braucht, damit aus Eigentum Kapital wird.

Gänzlich überflüssig ist übrigens das Vorwort von Lothar Späth. Dass er von Entwicklungspolitik nichts versteht, konnte man vorher schon wissen. Und dass er, mehr als de Soto, zu Simplifikationen neigt, auch. So übertreibt Späth die Einseitigkeiten des Buches bis zur Karikatur. Das hat offenbar auch der Lektor des Verlages bemerkt. Er hat, so ist zu vermuten, das Fazit Späths korrigiert, das in den Fahnen noch lautet: „Mit dem vorliegenden Buch hat de Soto eine Vision entworfen, wie der Weg aus der Armut verlaufen muss.“ Im Buch steht: „(…) wie die Armut in der Welt effektiver bekämpft werden kann.“ Das ist etwas näher an der Wirklichkeit und ihr doch immer noch ziemlich fern.

Hernando de Soto: „Freiheit für das Kapital! Warum der Kapitalismus nicht weltweit funktioniert“, 288 Seiten, Rowohlt, Berlin 2002, 19,90 €