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Verschärfung des Asylrechts„Es ist ein Anti-Roma-Gesetz“

Rudko Kawczynski vom „Rom und Cinti Union e.V.“ über die drei neuen sicheren Herkunftsstaaten, eine mögliche Klage und deutsche Vernebelungstaktiken.

„Jeder Mensch, der aus triftigen Gründen seine Heimat verlässt, hat nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Anrecht auf Schutz.“ – Romviertel in Belgrad. Foto: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Herr Kawczynski, die Bundesregierung will jetzt weitere Balkan-Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklären, namentlich Albanien, Montenegro und das Kosovo. Was halten Sie davon?

Rudko Kawczynski: Wir werden dagegen klagen und, wenn es sein muss, bis vor das Verfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Denn damit wird die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehebelt.

Welchen Unterschied macht es, wenn ein Land zum sicheren Herkunftsstaat erklärt wird? Kann man gegen einen abgelehnten Asylentscheid nicht immer noch Widerspruch einlegen?

Die Leute, die über die Asylanträge entscheiden, sind keine Richter, sie handeln nach Vorschrift. Indem sie das Verfahren auf diese Weise verkürzt, will die Bundesregierung verhindern, dass unabhängige Gerichte diese Entscheidungen kontrollieren und überprüfen – und eventuell zu einem anderen Ergebnis kommen.

Die Bundesregierung argumentiert, dass aus diesen Ländern kaum jemand Anspruch auf Asyl habe, die vielen Antragsteller aber die Behörden überlasten und man den Platz für andere Flüchtlinge brauche. Ist das nicht nachvollziehbar?

Nein. Wir schaffen ja auch nicht die Polizei ab, wenn sie überlastet ist. Jeder Mensch, der aus triftigen Gründen seine Heimat verlässt, hat nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Anrecht auf Schutz. Das neue Gesetz erlaubt, willkürlich bestimmte Gruppen auszusieben und nur die Gruppen dazubehalten, die genehm sind. Es gibt bei den Anhörungen meistens keine Übersetzung in Romanes. Diese Verfahren sind völkerrechtswidrig. Es ist ein Anti-Roma-Gesetz, auch wenn das keiner so offen sagt. Man redet vom westlichen Balkan, aber meint die Roma. Das ist reine Vernebelungstaktik. Aber darin sind wir Deutschen traditionell gut.

Asylbewerber sollen künftig bis zu ihrer Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben und dort nur noch Sachleistungen erhalten. Die Bundesregierung erhofft sich davon einen Abschreckungseffekt: dass weniger Flüchtlinge kommen, die keine Aussicht auf Asyl haben. Ist das realistisch?

Alle internationalen Organisationen – ob OSZE, Europarat oder Amnesty International – berichten über die institutionelle Diskriminierung und rassistische Verfolgung der Roma, insbesondere in Osteuropa. Doch statt Druck auf diese Länder auszüben, stellt Deutschland ihnen jetzt einen Persilschein aus. Und es zwingt Länder wie Mazedonien und Serbien dazu, ihre Roma an den Grenzen gezielt auszusieben und dafür zu sorgen, dass sie nicht aus ihren Ländern ausreisen – das ist ein neuer Eiserner Vorhang, aber nur für eine bestimmte Gruppe. Wenn das keine politische Verfolgung ist, was dann?

Das ist ein tödliches Signal.

Rudko Kawczysnki

Die EU hat diverse Strategien entwickelt, um die Lage der Roma in ihren Herkunftsländern zu verbessern. Warum haben sie so wenig gebracht?

Deutschland hat mitgewirkt an der Zerstörung Jugoslawiens. Nach dem Krieg sind dort lauter ethnisch definierte Nationalstaaten entstanden, zuletzt im Kosovo. Schon damals hätte Deutschland aufstehen und fragen müssen, was mit den vier Millionen Roma ist – wie sie gleichberechtigt und in vernünftigen Positionen an der Regierung beteiligt werden. Was wir erleben, sind die Nachwehen dieser Geschichte. Bis heute versuchen diese Staaten, ihre Roma loszuwerden.

Muss Deutschland deshalb alle Roma aus Osteuropa aufnehmen?

Bild: dpa
Im Interview: Rudko Kawczynski

Rudko Kawczynski, 61, ist Bürgerrechtsaktivist und Vorsitzender des „Rom und Cinti e.V.“ in Hamburg, der sich für die Belange alteingesessener Sinti und neu zugewanderter Roma aus Osteuropa einsetzt. Kawcynski, in Krakau geboren, engagierte sich früher auch in der SPD und später bei den Grünen, für die er 1989 als Spitzenkandidat für die Europawahl kandidierte. Er ist Mitglied des Hamburger Integrationsbeirates und der Hamburger Stiftung „Hilfe für NS-Verfolgte“.

Der Umgang mit den Roma ist ein Lackmustest dafür, ob die Deutschen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben oder nicht. Aber die deutsche Vergangenheitsbewältigung ist schizophren. In Deutschland gab es einmal Abschiebezentren für Juden aus Osteuropa. Jetzt gibt es in Bayern ein Abschiebelager für Roma. Die Roma sind die größte Minderheit in Europa. Aber sie haben keinen eigenen Staat und darum keine Lobby. Das ist das Problem.

Welche Möglichkeiten hätte Deutschland denn, Druck auf diese Länder auszuüben, die Rechte ihrer Roma-Minderheiten zu achten?

Wo Menschenrechte verletzt werden, muss das angeprangert werden. Und die Roma-Organisationen müssten politisch und finanziell unterstützt werden, damit sie in ihren Ländern politische Verantwortung übernehmen können. Hier eine kleine Schule und da ein kleines Projekt fördern – das sind nur Tropfen auf den heißen Stein. Aber wenn wir diesen Staaten jetzt quasi einen Persilschein ausstellen, indem wir sie „sicher“ nennen, sagen wir: Das Problem ist nicht, dass die Roma in diesen Ländern ausgegrenzt werden. Wir sagen: die Roma sind eben integrationsunfähig und selbst schuld an ihrem Schicksal. Das ist ein tödliches Signal. Wir sollten diesen Staaten, die um Aufnahme in die EU bitten, sagen: so lange ihr die Roma ausgrenzt, so lange kommt ihr nicht in die EU - aber wir nehmen die Roma auf, die ihr verfolgt. Statt dessen passiert das Gegenteil.

Überschätzen sie nicht die Möglichkeiten der EU, Druck auf diese Länder auszuüben? Selbst in Bulgarien und Rumänien, die inzwischen zur EU gehören, ist die Lage der Roma beklagenswert.

Im Zuge der Aufnahmeverhandlungen dieser Länder gab es positive Ansätze – Roma haben sich politisch organisiert, die Regierungen haben hingehört. Aber das wurde nicht konsequent weiter verfolgt. Und kaum, dass ihre Staaten in der EU waren, hat sich das Blatt für die Roma wieder gewendet: Ihre Grundstücke wurden enteignet und sie wurden aus den Stadtzentren vertrieben – um die Innenstädte aufzuwerten, wie es hieß. So sind sie gezwungen, nach Deutschland auszuwandern, wo sie zu Hungerlöhnen für Sklavenarbeiten heran gezogen werden. Und die deutsche Wirtschaft profitiert davon.

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12 Kommentare

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  • Übrigens: Man kann die "Möglichkeiten der EU, Druck [...] auszuüben" gar nicht hoch genug einschätze. Allerdings nur, so lange die Druckmittel nicht leichtfertig aus der Hand gegeben werden von den Verantwortlichen. Wer aus rein ökonomischem Kalkül Staaten aufnimmt in die Gemeinschaft, von denen er genau weiß, dass sie ganz eigentlich noch gar nicht "reif" sind für die Aufnahme in die EU, der trägt mindestens so viel Verantwortung für die Folgen, wie die "Sitzenbleiber" selbst. Und wer diese Staaten nach ihrer Aufnahme nicht einmal kontrolliert, der ist vermutlich ohnehin zu faul zum Arbeiten. Damit das keiner merkt, zeigt er dann ja vielleicht mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Roma und die Sinti: "Die sind doch selber Schuld. Die sind einfach zu faul zum Arbeiten!“ Geschichte wiederholt sich nicht? Das wäre wohl so etwas wie ein echtes Wunder, wenn alles andere sich wiederholt.

     

    Ach ja, eins noch: Kaum ein Deutscher ist Mitglied der Bundesregierung. Und einen Anspruch darauf, den selben Einfluss wie Regierungsmitglieder zu haben und ebenso hofiert zu werden, haben die "Normalbürger" gleich gar nicht. Sollte die Demokratie also nicht besser sofort abgeschafft werden? Ich meine: Sie überlastet doch nicht selten die Behörden und bindet Geld, das anderswo gebraucht wird...

  • "Deutschland hat mitgewirkt an der Zerstörung Jugoslawiens. Nach dem Krieg sind dort lauter ethnisch definierte Nationalstaaten entstanden, zuletzt im Kosovo"

     

    Lustige Definition... evtl. sollte der Herr schauen wie denn Jugoslawien entstanden ist, dann wüsste er, dass die Staaten schon vorher da waren und unter Zwang in diesem künstlichem Staatengebilde gehalten wurde.

  • Vielleicht wäre es besser für die Roma in den jeweiligen Herkunftsländern für ihre Rechte zu kämpfen, vor Gericht natürlich.

    Balkan, Rumänien und Bulgarien liegen ja nicht irgendwo, sondern in Europa.

    Das geht auch mit Unterstützung von EU und NGO's sicher nicht von heute auf morgen, ist aber meines Erachtens besser als alles aufzugeben, in ein fremdes Land zu gehen und mangels Ausbildung ohne Perspektive dauerhaft auf Almosen angewiesen sein.

    • @sowieso:

      Waren Sie schon Mal dort? Schon mal selbst die Verhältnisse erlebt? Mit den Betroffenen VOR ORT geredet, mit offenen Ohren und offenen Augen? Schon Mal die mazedonische/serbische Polizei, Grenzer bzw. Behörden erlebt? Schon Mal mit Roma in der Stadt gewesen oder sie beim Einkaufen begleitet? Nein? Dann bitte schweigen oder zumindest bescheiden einräumen, davon nichts zu verstehen.

      Abgesehen davon, dass der Balkan sowieso anders tickt als wir, sind Machtspielchen, Rassismus und speziell Antiromaismus praktisch allgegenwärtig. Es ist gefährlich für Roma, sich dagegen zu stellen. Ich fürchte, die Einstufung zu den „sicheren Herkunftsländern“ hat dies noch verstärkt. NGOs haben wenig Einfluss, die EU schweigt (man blicke auf Ungarn, Slowakei usw.).

      Sämtliche mir bekannten Familien, die im Ausland leben, haben Sehnsucht nach Zuhause. Ihr größter Wunsch wäre, im eigenen Land mit Lebensperspektiven leben zu können, in ihrer Heimat, nahe der Familie und dem Freundeskreis - statt in unser menschlich ziemlich abgekühltes Land zu kommen.

    • @sowieso:

      das tun sie schon seit jahren!

      für die urteile aus Straßburg interessiert sich allerdings kein *wein, weder in den verpappten staaten noch hier.

      stattsdessen plappert mann weiter von sicheren herkunftsstaaten. täte mann das nicht, müßte mann nämlich anerkennen, dass das, was da geschieht, asylrelevante gruppenverfolgung ist.

  • "Die Roma sind die größte Minderheit in Europa. Aber sie haben keinen eigenen Staat und darum keine Lobby. Das ist das Problem."

     

    Und warum gibt es keine Bestrebungen, einen Roma-Staat zu gründen so wie es Bestrebungen gab, einen jüdischen Staat zu gründen und es immer noch Bestrebungen seitens palästinensischer Araber gibt, einen arabisch-palästinensischen Staat zu gründen?

    • @Nicky Arnstein:

      Nickyarnstein: Ihnen ist aber schon bewusst, dass man die Verhältnisse, wie sie sich für Roma um Vergleich zu den von Ihnen genannten Völkern ergeben, nicht vergleichen kann. Es fällt mir schwer, Ihre Argumentation ernst zu nehmen.

    • @Nicky Arnstein:

      ach, Sie möchten sinti+roma+ wohl gern gleich bis nach Indien verschuben?

    • @Nicky Arnstein:

      Die Bestrebung mag in einem oder zwei Köpfen vorhanden sein, aber es gibt dafür null Unterstützung. Wie überhaupt in fast allen EU-Staaten mehr oder weniger Antiziganismus vorhanden ist und oft unterschwellig wirkt, aber zu praktischen Konsequenzen führt. Das EU-Land Ungarn verfolgt Roma und Cinti zielstrebing mit dem Ziel sie in liberale EU-Staaten zu exportieren. Dennoch hat sich Horst Seehover mit Orbán hingestellt und ihn aufgewertet. Mal kurz zusammengefall: Wo soll die Unterstützung für so einen Staat herkommen und wäre er nicht so etwas wie ein Reservat? Ich glaube die EU muss sich als Wertegemeinschaft ernster nehmen und wirklich Menschenrechte vollständig für jeden und überall durchsetzen.

  • "In Deutschland gab es einmal Abschiebezentren für Juden aus Osteuropa."

     

    Abschiebezentren? In Deutschland gab es keine "Abschiebezentren für Juden", sondern Sammellager für die Deportation in Zügen zu den Todeslagern! Sie banalisieren das, was zwischen 1933-1945 geschah und ziehen Vergleiche, die völlig inakzeptabel sind. Wollen Sie etwa sagen, Deutschland oder Bayern deportiert Sinti und Roma und bringt sie in Todeslager wie einst die Nazis?

  • Man braucht gar nicht in die Ferne schweifen. Direkt nebenan, in Tschechien, werden Roma systematisch diskriminiert. U.a. weden Kinder von Roma fast automatisch in Sonderschulen gesteckt, obwohhl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das bereits 2007 verboten hat.