piwik no script img

Protest gegen die AsylrechtsreformVerschenkte Menschenrechte

Flüchtlinge und Unterstützer versammelten sich vor dem Bundesrat. Sie demonstrierten gegen die Erleichterung von Abschiebungen und gegen die Grünen.

Flüchtling in der Landesaufnahmebehörde für Asylsuchende in Braunschweig Bild: dpa

BERLIN taz | „Es geht um Menschenrechte, und die sind nicht verhandelbar. Wenn die Grünen das meinen, sind sie für uns kein Verhandlungspartner mehr!“ Mit diesen Worten wandte sich die Rechtsanwältin Berenice Böhlo an die Protestierenden vor dem Bundesrat in Berlin. Etwa 150 Menschen, darunter viele Flüchtlinge, hatten sich hier versammelt, um gegen die geplante Verschärfung des Asylrechts zu demonstrieren. Böhlo hatte während der Besetzung der Gerhart-Hauptmann Schule zwischen dem grün regierten Bezirk und den Flüchtlingen vermittelt.

Die Reform sieht unter anderem vor, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt werden. Damit ist es für Flüchtlinge aus diesen Ländern quasi unmöglich, in Deutschland Asyl zu erhalten. In den Staaten des westlichen Balkans sind jedoch vor allem Roma und Homosexuelle immer wieder Verfolgung und Ausgrenzung ausgesetzt. „Wir reden hier nicht nur über Armut, wir reden über strukturelle Diskriminierung“, sagte Böhlo.

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte dem Gesetzentwurf am Freitagvormittag zugestimmt und so den Beschluss ermöglicht. Er rechtfertigte diesen Schritt mit der Durchsetzung „substanzieller Verbesserungen“ im Flüchtlingsrecht, denn die Reform sieht auch vor, den Arbeitszugang zu erleichtern, und hebt die umstrittene Residenzpflicht für Flüchtlinge teilweise auf. Auch wolle man das Sachleistungsprinzip abschaffen, also die Ausgabe von Kleidung und Lebensmitteln statt finanzieller Mittel an Flüchtlinge.

Geduldete nicht berücksichtigt

„Kretschmann ist schäbig. Die Grünen verlieren hier ihr Gesicht“, erklärte Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin, einer der Anmelder der Protestkundgebung. „Was er verschweigt, ist die Tatsache, dass das Sachleistungsprinzip eigentlich in fast keinem Bundesland mehr angewandt wird. Die einzigen, die es noch nicht abgeschafft haben, sind Bayern und Kretschmanns Baden-Württemberg.“

Auch bedeute die Aufhebung des Arbeitsverbots oder der Residenzpflicht für Flüchtlinge keineswegs eine Verbesserung der Lage für Geduldete. „Daran will man offenbar festhalten“, sagte Classen. „Kretschmann hat die Menschenrechte nicht verhandelt, er hat sie verschenkt.“

Fanny-Michaela Reisin, Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, erklärte den Protestierenden, Deutschland habe gerade gegenüber den Roma eine besondere Verpflichtung. „Es ist beschämend, dass nun genau diese drei Länder zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.“

Was in der Bundesrepublik geschehe, sei eine Demontage internationalen Rechts und Stimmungsmache und Hetze gegen die geflüchteten Roma. „Und das sind nicht die CDU oder die AfD, das sind die Grünen, die uns das hier verkaufen wollen.“ Die Entscheidung der Grünen in Baden-Württemberg bezeichnete Reisin als unmoralisch. Sie forderte alle Grünen auf, entweder auszutreten „oder in der Partei aufzuräumen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Ich denke, Dubiosus wird mir Recht geben, denn er kennt sich im Asylrecht aus, dass die Roma selbstverständlich weiterhin das Recht haben, einen Asylantrag zu stellen und dass dieser auch geprüft wird. Das "sichere Herkunftsland" bedeutet - das war jedenfalls bisher die Rechtslage, als ich zuletzt damit zu tun hatte - allein, dass man keinen Abschiebeschutz während des Verfahrens hat und dass man "spezielle" Gründe vortragen muss, um diesen ausnahmsweise zu erhalten.

    Da bisher in 99 % der Fälle solche Umstände nicht vorlagen, halte ich die Einstufung für richtig, dass in Serbien usw. nicht politisch verfolgt wird.

     

    Weiter wird in verschiedenen Studien für Deutschland behauptet, Arme und Ausländer hätten schlechtere Bildungschancen und stünden auch gesundheitlich deutlich schlechter da als der Mittelstand. Nach den Kriterien, die hier einige aufstellen, werden sie also "politisch verfolgt" und könnten in einem anderen Land Asyl beantragen? Ich denke nicht, dass das das Kriterium ist, wie sich politische Verfolgung definieren lässt. Auf Schwarze und Latinos in den USA wurde ja auch schon hingewiesen und vor 10 Jahren hätte Deutschland dann offenbar auch noch Schwule und Lesben politisch verfolgt.

  • Bisher:

    1) Roma aus den 3 Ländern kommen her, beantragen Asyl, werden nach 3 Monaten alle abgeschoben

    2) Asylbewerber dürfen nicht Arbeiten, haben strenge Einschränkung der Mobilität, bekommen häufig die Unterstützung als Essensmarken

     

    Jetzt

    1) Roma aus den 3 Ländern werden sofort abgeschoben

    2) Asylbewerber dürfen eher Arbeiten, bekommen keine Essensmarken mehr und erhalten mehr Bewegungsfreiheit.

     

    => Wo ist jetzt der Verlierer? Die sofort abschieben, die eh abgeschoben werden?

  • Mit seiner Entscheidung, besagte Balkanländer zu "sicheren Herkunftsstaaten" zu erklären, hat Herr Kretschmann Linie gezeigt und klare "realpolitische" Grünen-Politik gemacht. Immerhin, dank ihm ist Belgrad nun endlich genauso "sicher" wie Stuttgart. Und nun können die armen Bildunsgbürger Baden-Württembergs, die aus lauter Angst vor den wilden Horden Hunderttausender Balkan-Flüchtlinge kaum noch schlafen konnten, aufatmen. Endlich fällt dieses lästige, individuelle "hilfe-ich-werde-verfolgt-prüfen" weg und die kriminellen Zigeuner bleiben auf dem Balkan, weil da ist es ja sicher und außerdem haben die netten Nachbarn da unten immer eine Mordslaune. Ich sage Hut ab, Kretschmann, darauf einen Bio-Latte-Macchiato, natürlich mit Ökozucker und Biomilch aus deutschen Landen.

    • @Hamann mit Hut:

      Die Olivgrünen gehen eben den Weg aller Bananen: gestern grün und heute gelb, und morgen sind ´se schwarz (Zitat Marc Uwe Kling: Der Zug der Oportunisten)

      • @Flujo:

        Suu-uppi!

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Deutschland ist ein reiches Land. Was haben denn hier arme Leute zu suchen?

  • D
    D.J.

    "Demontage internationalen Rechts"

     

    Soso. Hartes Kaliber. Kann mir jemand erklären, wieso? M.W. hat D nach wie vor eine der großzügigsten Asylgesetzgebungen weltweit. Und das ist auch gut so.

    • @D.J.:

      Ja es kann Ihnen erklärt werden, indem Sie einfach mal den Artikel lesen, den Sie kommentieren...

    • @D.J.:

      Was ist denn eine "großzügige Asylgesetzgebung"?

       

      Die meisten Flüchtlinge nimmt die BRD nicht auf.

      Kann sein, dass die Flüchtlinge hier insofern materiell gut ausgestattet sind, weil die BRD jedem, der behauptet, politisch verfolgt zu sein, das gleiche Geld fast zubilligt wie jedem, der hier 30 Jahre lang malocht hat, aber dann krank wird und länger wie ein Jahr arbeitslos ist.

      Ob die davon betroffen das aber "großzügig" nennen?

  • Sind die USA eigentlich auch ein "sicheres Herkunftsland"? Stichwort Edward Snowden, Jacob Appelbaum, Laura Poitras...

    • @Smaragd:

      Ein richtiger Hinweis, aber ich sehe da noch was anderes.

       

      Wenn bereits eine gesellschaftliche Benachteiligung einen ausreichenden Asylgrund in der BRD darstellt, dann hat jeder Afro- und Hispano-Amerikaner aus den USA ein Anrecht auf Asyl in der BRD.

  • Ich kann mich auch täuschen, aber ich habe den Eindruck, 'Die Grünen' sind die neue FDP.

  • Die Grünen in BW können müssen sich halt entscheiden: Entweder eine 10%-Protestpartei, oder die von Kretschmann geführte 25%-Volkspartei, die auch für bürgerliche Wähler tragbar ist.

     

    Beides geht nicht, denn ein Großteil der Wähler denkt in Punkto Massenzuwanderung per Asyl nicht so, wie die radikalen Linken es gerne hätten.

    • @DerKommentator:

      Die Grünen stehen bei 23% in BW (Umfrage vom 17.09.14); Bei der letzten Landtagswahl holten Sie 24,2%. Das sind außerordentlich geringe Verluste, vor allem wenn man Bedenkt das die 24,2% unter dem Eindruck von Stuttgart21 und Fukushima/EnBW-Kauf passiert ist. Die SPD musste mehr federn lassen 23,1% bei der Wahl, 19% bei der Umfrage. Ich denke nicht das Kretschmanns Abstimmung was kosten wird. Eher nimmt es der CDU Wind aus den Segeln, die würde ihm das (und die Auswirkungen auf die Kommunen) sonst im Wahlkampf unter die Nase reiben.

       

      Wähler von linken Parteien sind oft eh Gesellschaftspolitisch rechter als die Partei. Viele BW-Grünen Wähler sind außerdem NIMBYs (Not in my Back Yard) - für die ist die Regelung gut. Weniger Asylbewerber UND die die es gibt besser Integrieren. Die anderen sind ja in Mazedonien.

    • @DerKommentator:

      Bezüglich der Prozente warten wir doch einfach mal die nächsten Wahlen ab. Eines garantiere ich jedoch heute schon: Es werden ganz gewiss weniger als 25%. Wenn die Konservativen nämlich nicht gerade vor Angst zittern, interssieren grüne Inhalte sie nämlich nicht. Wäre das anders, würde die ÖDP nicht so ein kümmerliches Schattendasein führen

    • @DerKommentator:

      Ersten geht es hier um Asyl und nicht um Zuwanderung. Zweitens ist es genau diese widerliche Konservativ-anbiedernde Denke, die die Grünen in BaWü wird abstürzen lassen. Man kann nicht einfach seine Prinzipien über den haufen werfen, nur weil ein gefühlter Prozentsatz der Bevölkerung vielleicht will. In Deutschland findet sich bestimmt auch eine Mehrheit für die Einführung der Todesstrafe, sollen die Grünen das also als nächstes konservatives Projekt annehmen?

       

      Glücklicherweise sind nämlich auch viele Bürgerliche oder Christen der Meinung, dass Roma nicht weiter diskriminiert werden dürfen. Das wir eine Verantwortung gegenüber der zweitgrößten Opfergruppe des Naziregimes haben. Und dass es ein Recht ist, ein individuelles Asylverfahren zu durchlaufen. Das nennt man Menschenrechte, und wenn dafür die "radikale Linke" steht - Nun, dann muss ich wohl ein radikaler Linker sein.

      • @Dubiosos:

        Die Prinzipien der Grünen in Kreuzberg sind nicht die Prinzipien der Grünen in Freiburg.

      • @Dubiosos:

        absolut richtig! Es scheinen sich ja doch noch rational geleitete Menschen in den Kommentarspalten zu tummeln. Meist graut einem vor so viel schlecht verpacktem Chauvinismus und Ressentiment, siehe auch mal wieder die jetzigen anderen Kommentare...

      • @Dubiosos:

        "...geht es hier um Asyl und nicht um Zuwanderung."

        Eben nicht! Es geht um Zuwanderung, denn eine politische Verfolgung lässt sich ja Fällen gerade nicht nachweisen.

        Ich halte das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten ebenfalls für problematisch, aber irgendwelche Vorschläge, wie man ein Asylrecht handhaben soll, das faktisch zur Einwanderung genutzt wird, habe ich von denjenigen, die sich hier empören, noch nie gehört.

        • @Schalamow:

          "denn eine politische Verfolgung lässt sich ja Fällen gerade nicht nachweisen" Und das ist eben falsch und dieser Zirkelschluss, der das Ganze ad absurdum führt. Anträge von Roma werden vom Bamf prinzipiell abgelehnt und dann begründet man mit diesen hohen Ablehnquote, dass die Länder angeblich "sicher" wären.

           

          Das kann man, wenn man das möchte, natürlich fortan mit jedem Land machen.

           

          Zahlreiche Menschenrechtsberichte zeigen auf, dass die Menschen eben doch verfolgt werden - Weile eine kumulierte Diskriminierung kann durchaus eine Verfolgung im Sinne des Asylrechts darstellen.

           

          Fast keiner (Ausnahmen gibt es immer) der mir bekannten Romaflüchtlinge hat einfach nur gesagt "Ich will hier mehr Geld verdienen", sondern alle haben Geschichten von Ausgrenzung, Verfolgung durch bspws. serbische Nationalisten, Diskriminierung und ähnlichem zu erzählen.

           

          Nur, weil das Bamf dies nicht anerkennen möchte, heißt es nicht, dass diese Verfolgung nicht existiert.

          • @Dubiosos:

            Das, was diese Romaflüchtlinge Ihnen erzählt haben, zweifle ich nicht im geringsten an! Aber es ist eben keine politische Verfolgung im Sinne des Gesetzes (auch nicht vor der Änderung 1993), und so unerfreulich die Lebensbedingungen für viele sind, begründen sie dennoch keinen Anspruch auf politisches Asyl. Ich bin mir darüber im klaren, dass die Trennung in manchen Fällen schwierig sein kann, aber wie wollen Sie denn Diskriminierung definieren, ohne dass es zum uferlosen Wischiwaschi-Begriff wird und vor allem: Wie soll so etwas dann noch in der Einzelfallüberprüfung festgestellt werden, die Sie ja fordern? Genügt dann die einfache Aussage, man werde diskriminiert? Oder der Hinweis, dass man einer bestimmten ethnischen Minderheit angehöre?