piwik no script img

zahl der wocheDer russisch-amerikanische Hähnchenkrieg

Geschmuggelte Bush-Beinchen

Wika, eine Moskauer Fremdsprachensekretärin und Mutter um die 30, erinnert sich: „Während der großen Lebensmittelknappheit 1990 besuchte ich eine Außenhandelsorganisation, die tiefgefrorene US-Hähnchenschenkel aus Armeebeständen importierte. Auf den Packungen sah ich, dass die Verfallsdaten überschritten waren.

So sind sie, die Amerikaner. Womit sie ihre eigenen Soldaten zu vergiften fürchten, das ist ihnen für uns gerade gut genug.“ Wikas Logik ist aktuell. Zu Monatsbeginn brach er wieder heftig aus, der schon ein sattes Jahrzehnt tobende russisch-amerikanische Handelskrieg um die „Bush-Beinchen“. So nennt der russische Volksmund die transatlantischen Hähnchenschenkel nach dem Vater des heutigen US-Präsidenten und ersten Versenders des Geflügels. Dabei wiederholt sich das Argument, die Schenkel untergrüben die russische Volksgesundheit. Die Zeitung Nesawisimaja Gaseta behauptete 1998 sogar, die Amerikaner äßen ihre Broiler nicht selbst, weil man davon Sodbrennen bekäme.

Dabei erreichte Russland schon 1996, dass nur US-Farmen Hühnerfleisch liefern dürfen, die sich einer Kontrolle durch russische Tierärzte unterwerfen. Diese sollen demnächst überprüfen, wie es mit der Anwendung von möglicherweise krebserregenden, chlorhaltigen Desinfektionsmitteln in den US-Ställen steht. Auch eine Einfuhrgrenze für US-Geflügel wurde beantragt.

Der wahre Grund für diese Demarche ist kaum ökologischer Natur. Zu Jahresbeginn hat die Ukraine die Bush-Hühner ganz verboten, China teilweise. Russland befürchtet deshalb ein Überschwappen der amerikanischen Produktion auf den eigenen Markt und eine Schwächung seiner Produzenten. Die päppeln zwar Jahr um Jahr mehr Federvieh, schlachteten aber trotzdem im vergangenen Jahr erst wieder 880.000 Tonnen Lebendgewicht, halb so viel wie vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Offiziell verdoppelten sich die US-Geflügelimporte nach Russland vergangenes Jahr von 687.000 Tonnen im Jahre 2000 auf 1,36 Millionen Tonnen, auf die Hälfte des russischen Verbrauchs.

Dass es sich dabei allerdings nur um eine Scheinzunahme handele, erklärte Albert Dawlejew, Leiter des Moskauer Büros des US-Geflügel- und Eier-Exportrats. Der graue Import von Geflügel nach Russland habe sich einfach seit einer Zollsenkung im Jahre 2000 legalisiert . Mit einem Wort: Die Bush-Beinchen erreichen russische Mägen so und so, wenn nicht legal, dann illegal, vor allem über die baltischen Staaten. Deshalb und weil Geflügelfleischmangel das Volk erbost, wird das Landwirtschaftsministerium die Importquote innerhalb der Regierung nur schwer durchsetzen können. Aber als Resultat des russischen Drohgehabes sind die Preise der Bush-Beinchen in den USA erst einmal um 5 Prozent gefallen. Und der niedrige Preis macht sie, obgleich zäh wie Gummi, in den Augen russischer RentnerInnen unschlagbar. BARBARA KERNECK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen