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wissenschaft wahrnehmen: computerarbeiten von tyyne claudia pollmann

Kunst, die sich mit Wissenschaft beschäftigt, hat Tradition. Die Anatomien eines Leonardo oder Fragonards fantastische medizinische Studien wirkten auf den Kunstfreund ebenso erbaulich wie auf den Körpertheoretiker. Heute hat sich aus der perfekten Darstellung ein Diskurs über Wahrnehmungsweisen entwickelt. Die Wissenschaft beobachtet, die Kunst erzeugt ein Bewusstsein für diese Beobachtung.

Tyyne Claudia Pollmanns Arbeiten stehen quer zu dieser Koppelung – obwohl sie in beiden Feldern ausgebildet wurde. Als Medizinerin hat die 1959 in Düsseldorf geborene Künstlerin gelernt, dass man der Vermittlung biologischer Phänomene misstrauen muss. Stets beruht Theorie auf einer Umwandlung in Sprache, die Erkenntnisse beschreibend erfasst. Umgekehrt verklärt der künstlerische Zugriff auf Wissenschaft oft deren komplexe Grundlagen. Forschungsergebnisse erscheinen als visuelle Spielmarken einer entschlüsselten Welt – bis hin zum Gattaca-Scrabble im FAZ-Feuilleton.

Für Pollmann sind beide Formen der Repäsentation nicht Beleg, sondern Werkzeug der Aneignung von Wirklichkeit. Deshalb entstehen ihre Cibachrome-Fotos am Computer, der „immer schon das Produkt der Sache ist, die ich reflektiere“.

Auch ihr im Internet einsehbares Projekt www.translate2020.de kommentiert, wie grenzwertig sich die Codes von Kunst und Wissenschaft zueinander verhalten. Gegeben ist bei „9 cm“ (Foto) eine fiktive Laborsituation: Reagenzgläser, Messröhrchen, Vitrinen. Doch das Experiment, das hier stattfindet, ist die Darstellung des Experimentierens selbst, per „povray“-Grafikprogramm hat Pollmann die Anordnung der Apparatur komplett errechnet. Zugleich spiegelt sich in den Oberflächen aus Glas (der Malerei van Eycks vergleichbar) der Laborraum – und darin die Gestalt von Ada Lovelace. Die Wissenschaftlerin entwickelte bereits im 19. Jahrhundert unter Einsatz von Lochkarten eine Programmiersprache, deren mechanische Umsetzung damals ihrem Partner Charles Babbage allerdings noch nicht gelang.

Mit „Nietzsche bynite“ nähert sich Pollmann nun auf entgegengesetztem Weg der vorgeblichen Erklärbarkeit der Welt. Der Philosoph hatte in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ festgestellt, dass wir trotz immer exakter werdender Beschreibungen in der Forschung „alles erst zum Bilde machen“. Wieder ist es diese Notwendigkeit der Übersetzung, die im Computerausdruck ein Pendant findet. Pollmanns Arbeiten sind ab 3. Mai bei Pepperprojects, Christburger Straße 6 in Berlin zu sehen. HARALD FRICKE

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