wir lassen lesen: Frauen und Bewegung
Ein Sammelband zu Sport und Feminismus beweist, welche Bedeutung Körperkultur für Geschlechterdebatten hat – historisch und aktuell
„§ 1. Die Zeit der Rache ist gekommen!“ Diesen Paragrafen der Satzung eines Frauenturnvereins aus dem Jahr 1851 haben Petra Sturm und Georg Spitaler dem von ihnen herausgegebenen Sammelband zu „Sport und Feminismus“ vorangestellt. Ein schönes Zitat, drückt es doch sowohl das bei diesem Thema nötige kämpferische Bewusstsein aus, als auch gibt es einen Hinweis darauf, wie alt – und dabei doch unverdienterweise vergessen – das Thema ist.
Dabei ist in jüngerer Zeit viel von Feminismus die Rede, auch im Sport. Frauen fordern im Sport, was sie zurecht auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen fordern. Und immer wieder ist zu lesen und zu hören, dass es doch ach so viele Fortschritte gebe, wie schlimm früher alles gewesen sei und dass gewiss bald alle Forderungen erreicht seien.
Ein guter Grund für einen Sammelband, der theoretische und reflektierende Beiträge aus bestimmten historischen Epochen hervorholt. Der Band dokumentiert, das nicht nur vieles, was uns als neues Thema erscheint, schon eine lange Geschichte hat. Er zeigt zudem, dass früher – und heute, freilich in kulturellen Zusammenhängen, die westeuropäischen Lesern und Leserinnen nicht so vertraut sind – schon Antworten und Anregungen gegeben wurden, die aktuelle Bedeutung besitzen.
Die Journalistin Petra Sturm und der Historiker Georg Spitaler, beide aus Österreich, beginnen ihren theoretischen Streifzug in den 1890er Jahren. Das ist nachvollziehbar, weil sich in diesem Zeitraum der Sport, wie wir ihn mit seinen Vereinen, Verbänden, Ligen, Rekorden und Meisterschaften kennen, durchsetzte und weil dies zugleich mit einem Herausdrängen von Frauen aus diesem neuen Phänomen einherging. Die zweite „Schlüsselphase“ verorten Sturm und Spitaler in den 1920er Jahren, mit dem Massensport und dem Konzept der „neuen Frau“. Die dritte Epoche beginnt nach 1968 mit der neuen Frauenbewegung. Zum Abschluss gibt es noch einen Überblick zu aktuellen Geschlechterdebatte zum Sport.
Entlang dieses Konzepts werden Beiträge präsentiert, die teils nicht oder kaum bekannt waren oder noch nicht in deutscher Sprache vorlagen. In diese Kategorie fällt etwa ein Text wie „Champion of Her Sex“ aus dem Jahr 1896, wo eine Amerikanerin namens „Nelly By“ über ihre alltäglichen Kämpfe berichtet, zu denen auch der ums Fahrradfahren gehörte. Oder der Beitrag „Die Befreiung der Frau durch den Sport“, den Marie Deutsch-Kramer 1929 in einer sozialdemokratischen Zeitung veröffentlicht hatte. Oder, recht aktuell, der Aufsatz „Sportliche Gender: Hyperbolische Verkörperung und/oder die Überwindung der binären Geschlechterordnung“ von Judith Butler 1998, der – was bei der Bedeutung der Autorin ungewöhnlich ist – bislang nicht Deutsch vorlag.
Außer solchen historischen Texten gibt es auch wichtige Originalbeiträge, die sich mit Phänomenen wie der einengenden Frauenturnkleidung, mit der Bedeutung des Autorennsports für weibliche Selbstermächtigung, mit dem Frauensports in der DDR, mit Selbstverteidigung als feministische Praxis, mit der Frage, ob es Zeit für einen feministischen Fußball ist, oder mit „(Trans-)Feministischen Perspektiven auf Frauenkörper im Sport“ beschäftigen.
Petra Sturm/Georg Spitaler (Hg.): Sport und Feminismus. Gesellschaftspolitische Debatten vom Fin de Siècle bis heute. Frankfurt/New York 2025: Campus. 444 Seiten. 39 Euro
Es ist ein unglaublich verdienstvoller Sammelband, den Sturm und Spitaler vorgelegt haben. Die größte Stärke des Bandes ist, dass überwiegend in feministischen Debatten nach Beschäftigungen mit Sport gesucht wurde – und die Funde sind grandios. Zugleich deutet sich hier ein – im Vergleich zur Stärke deutlich kleineres – Manko an: Es fehlen teils Erkenntnisse, die sich aus dem Blick auf die weibliche Sportpraxis selbst ergeben.Die ist nämlich älter als der Zeitrahmen dieses Buches.
Boxerinnen, Läuferinnen, Kraftathletinnen und andere Wettkämpferinnen gab es ja schon vor dem politischen Feminismus, dessen Debatten in dem Band abgebildet werden. Die Forderung nach Rache, die der grundsympathische Frauenturnverein 1851 erhoben hatte, basierte ja darauf, dass Frauen erst hinausgedrängt wurden, ehe sie um ihr Recht auf Teilhabe kämpfen mussten. Martin Krauss
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