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wahlkampfarithmetikIn der Klemme

Hat Rot-Grün eine Chance?

War das schon ein Signal für den kommenden Wahlkampf? Als am Sonntagabend bei Sabine Christiansen der unvermeidliche ARD-Talk zum Berliner Wahlkampf lief, war die PDS mit Gregor Gysi, die SPD mit Hans Eichel und die CDU mit Friedrich Merz dabei. Die Grünen mussten draußen bleiben. Kein Spitzenkandidat, keine Medienauftritte.

Ähnlich waren die Schlagzeilen der gestrigen Zeitungsausgaben. „Gysi sagt Wowereit den Kampf an“, titelte der Kurier, „Steffel und Gysi gegen Wowereit“ die Berliner Morgenpost, „PDS-Gysi will Berlin regieren“ die B.Z. Was für die Grünen gilt, gilt offenbar auch für ihren Koalitionspartner SPD. Kaum in den Schlagzeilen und auf der Regierungsbank angekommen, befindet sich Klaus Wowereit, der Hoffnungsträger der Berliner SPD, schon in der Klemme. Auf der einen Seite Popstar Gregor Gysi, von dessen Kandidatur noch keiner sagen kann, welche Eigendynamik sie gewinnen wird, auf der andern der Reinickendorfer Frank Steffel, dem wohl noch lange das Attribut des Schäuble-Nachfolgers und -Nachtreters anhaften wird.

Auf die Rededuelle, Talkshows und Schlammschlachten der nächsten Monate angesprochen, gibt es wohl keinen, der nicht vom spannendsten und polarisierendsten Wahlkampf der letzten elf Jahre redete. Spannend vor allem, weil noch unklar ist, wie viele Stimmen der Frontstadt-Wahlkämpfer Frank Steffel der SPD abnimmt und an die FDP verliert. Spannend aber auch, weil Gregor Gysis Ankündigung, die SPD zu überholen und als Regierender ins Rote Rathaus zu ziehen, es vielleicht sogar zu Wetteinsätzen bei den Londoner Buchmachern bringen wird. Nur für die Grünen ist der Wahlkampf nicht spannend, ganz im Gegenteil.

Mögen grüne Abgeordnete und Wahlkämpfer noch so sehr betonen, dass ihr Stammwählerpotenzial von rund zehn Prozent stabil sei und dass es, von Kreuzberg-Friedrichshain abgesehen, kaum Überschneidungen im Wählerpotenzial von Grünen und PDS gebe, so verkennen sie dabei doch zweierlei: Eine hohe Wahlbeteiligung kann die Grünen bei gleich bleibenden Wählerstimmen gleichwohl Prozente kosten. Mehr noch aber werden sich auch die Wähler im grünen Milieu in Westberlin vor die Frage gestellt sehen, ob sie Rot-Rot-Grün unter Klaus Wowereit oder unter Gregor Gysi wollen. Weil aber jede Stimme für Grün eine Stimme für Wowereit wäre, könnten viele Grüne am Ende doch zur PDS springen.

Aber auch für die SPD ist die Situation nicht gerade rosig. Zwar kann sich Klaus Wowereit glücklich schätzen, nicht zwischen Gysi und Schäuble geraten zu sein. Doch auch so werden die Sozialdemokraten wohl Stimmen an die CDU und die PDS verlieren. An die einen wegen des CDU-Lagerwahlkampfs, an die andern wegen Gregor Gysi. Hoffen kann die SPD dagegen auf eine hohe Wahlbeteiligung und eine weitaus höhere Mobilisierung ihres Wählerpotenzials. Schließlich stehen den 22,4 Prozent der SPD aus der letzten Abgeordnetenhauswahl knapp 38 Prozent für die SPD bei der vergangenen Bundestagswahl gegenüber.

Für Rot-Grün wird es in dieser wahrlich nicht komfortablen Situation deshalb entscheidend sein, welche Schwerpunkte und Signale der Übergangssenat in den nächsten 100 Tagen setzen kann. Gelingt es der neuen Finanzsenatorin Christiane Krajewski, als Siegerin aus den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich hervorzugehen, gelingt es Justizsenator Wolfgang Wieland, die Ermittlungen zum Thema Bankgesellschaft und CDU-Affäre voranzutreiben, und gelingt es schließlich Klaus Wowereit, sich ein Image als Regierender Bürgermeister im Kampf gegen die Korruption zu geben, stehen die Erfolge der Regierung bloßen Versprechungen der PDS gegenüber. Das nennt man dann Amtsbonus, und den kann man, auch wenn es knapp ist, in drei Monaten erwerben.

Mag die Kandidatur von Gregor Gysi dem Regierungswechsel in Berlin und dem begonnenen Wahlkampf tatsächlich jenen Kick verpassen, der in der Hauptstadtpolitik nahezu eine Dekade lang gefehlt hat: Auf einen Regierenden Bürgermeister Gysi müssen seine Fans wohl noch eine Weile warten. Nicht nur der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, hält es für völlig ausgeschlossen, dass die PDS die SPD überrundet. Es sei ein Erfahrungswert, so der Meinungsforscher, dass „die Faszination einer Person sich nicht automatisch auf eine Partei überträgt“.

Aber auch in PDS-Kreisen selbst weiß man, dass ein Regierender Bürgermeister Gysi eher unwahrscheinlich ist. Der tatsächliche Kick der Gysi-Kandidatur besteht weniger in der Wahrscheinlichkeit seines Sieges als vielmehr im Gedankenspiel mit einer entfernten Möglichkeit, dass tatsächlich ein unwahrscheinlicher Fall eintreten könnte. Und selbst dann würde die SPD alles daransetzen, Gysi zu verhindern. Eher würde sie der PDS sämtliche Kernressorts anbieten als den Posten des Regierenden.

Das mag man bedauern oder nicht. Freude bereitet dagegen auf jeden Fall das Dilemma, in dem sich die CDU befindet. Selbst wenn die FDP ins Parlament käme, würde sie dies nur auf Kosten der Christdemokraten zustande bringen. Mehr als die 41 Prozent, die die CDU bislang allein hatte, sind also für Steffel und Rexrodt wohl nicht zu holen. Eine schwarz-gelbe Koalition in Berlin ist damit nahezu ausgeschlossen, da mag die CDU noch so sehr den drohenden Untergang des Abendlandes bemühen.

Dass die CDU nun wirklich ohne Chance ist, ist aber nicht nur das Verdienst ihres proletenhaften Spitzenkandidaten Frank Steffel, der die seriösen Konservativen womöglich noch mehr das Fürchten lehrt als die angeblichen „Verräter“ von der SPD.

Es ist auch das Vermächtnis von Eberhard Diepgen, der in bewährter Manier den einzig aussichtsreichen Kandidaten der CDU weggebissen hat. Wir gratulieren zum finalen Realitätsverlust. UWE RADA

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