vorlesungskritik: Joschka Fischer stellte im Streitraum der Schaubühne einige Grundannahmen der Globalisierungskritik in Frage
Große Worte, hilfloses Dahinter
„Goldene Zeiten“ in weißer Schrift auf grünem Grund verspricht das Plakat über dem Eingang des Schaubühnenrundes. Drinnen aber, im „Streitraum“, trafen sich am Sonntagmittag der deutsche Außenminister Joschka Fischer zum Gespräch mit der Journalistin Caroline Fetscher, dem Publizisten Mathias Greffrath und dem Intendanten Thomas Ostermeier.
Nach den Theoretikern der Macht wie Richard Rorty oder Daniel Cohn-Bendit nun also ein mächtiger Macher. Oder ist das eine Illusion in einer Welt, in der transnationale Korporationen, Finanzmärkte und Medien, zum „Empire“ vernetzt und verflochten, sich als die wahren Machthaber erweisen? Das Thema im Streitraum: die neue Weltordnung und Europa.
Kühl ist es im Saal, die Zuschauer sitzen sich in zwei Blöcken gegenüber, auf der Bühne vor blankem Beton vier Stühle und Tische aus Holz. Hier glänzt allein der Redner und sein Wort. Links ein ausgestopfter Geier. Zufall oder Inszenierung? Bob Dylan im Hintergrund: „License to Kill“ und „Man of Peace“. Als die Musik zu „Union Sundown“ lauter wird, treten die Akteure auf. Das sei der früheste Antiglobalisierungssong, den er, Greffrath, kenne, zumal Fischer sich kürzlich erst zu Dylan bekannt habe. „Ich mag Negri nicht“, sagt Fischer, nach seiner Empire-Definition gebe es keine politischen Gestaltungsmöglichkeiten mehr, sondern nur noch Revolten und soziale Bewegungen. „Da standen wir schon in den Siebzigern.“ Unausgeschlafen sieht Fischer aus, aber streitlustig: Ihm sträube sich bereits das Gefieder, angesichts der Rhetorik der Linken: Große Worte korrespondierten nur zu häufig mit einer Hilflosigkeit im Tun.
Da halte er es mit Lenin: Ein Schritt der praktischen Veränderung zähle mehr als 100 Seiten Programm. Zunächst hält Fischer eine halbe Stunde Referat und zweifelt an einigen Grundannahmen der Globalisierungskritik. Die derzeit instabile Weltlage sei nicht eine Folge der neuen Weltordnung der USA, sondern eine Konsequenz ihres Fehlens im letzten Jahrzehnt.
Die Erste Welt habe sich nach dem Ende des Kalten Krieges weltpolitisch zurückgezogen, um die Friedensdividende zu genießen, und dabei die neuen totalitären Gefahren durch den Terrorismus übersehen. Ähnlich wie in den Zwanzigern: Der Nationalsozialismus etwa wäre mit politisch in Europa präsenten USA so nicht möglich gewesen. Also eine neue Weltordnung gestalten: plural, mit Demokratie und Menschenrechten als unverzichtbaren Kern. Wie aber dieses soziale Europa stärken und bewahren? Dies vor allem treibt Publikum und Podium um. Visionen möchten sie von Fischer und Gründe, warum sie wieder Rot-Grün wählen sollen.
Alternative Energien, soziale Reformen – mit wem dies sonst möglich wäre, fragt Fischer und empfiehlt mit Blick auf Frankreich, am Morgen wählen zu gehen und nicht erst am Abend zu demonstrieren. Aber das sei doch viel ästhetischer, wirft Ostermeier ein. Fischer explodiert. Doch um solche interessanten Streitereien auszufechten, war dann wieder einmal keine Zeit.
CARSTEN WÜRMANN
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